Predigt zum Herrentag der Kreuzverehrung (Hebr. 4: 14 – 5: 6; Mk. 8: 34 – 9: 1) (23.03.2014)

Liebe Brüder und Schwestern,

 

zur Mitte der Großen Fastenzeit richten sich unsere Blicke auf das Kreuz Christi. Unser Herr hat uns ja die Freiheit von der Knechtschaft der Hölle gebracht, weil wir in Ihm „einen erhabenen Hohepriester haben, Der die Himmel durchschritten hat“ (Hebr. 4: 14). Jetzt dürfen die Befreiten Gebrauch von ihrem Wahlrecht machen: Gut oder Böse, Leben oder Tod, Paradies oder Hölle. Folglich ergeht der Aufruf zur Nachfolge des Herrn nicht als Imperativ, sondern als „Option“: „Wer Mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge Mir nach“ (Mk. 8: 34). Christus hat ja Selbst sein Kreuz auf Sich genommen, und dadurch haben „wir ja nicht einen Hohepriester, Der nicht mitfühlen könnte mit unserer Schwäche, sondern einen, Der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat“ (Hebr. 4: 15). Zuvor wurden unsere Stammeltern in Versuchung geführt - und sündigten. Sie streckten ihre Hände nach der verbotenen Frucht aus und kosteten den Tod, so dass der lebendige Baum für uns alle zum Einfallstor des Todes wurde

Der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt. 16: 16) dagegen hing am toten Holz, das als neuer „Baum des Lebens“ (Gen. 2: 9) für uns wieder zugänglich wurde (s. Gen. 3: 24). Der Heiland streckte Seine Arme am Kreuze aus und umschlang uns alle: „Da nämlich durch einen Menschen der Tod gekommen ist, kommt durch einen Menschen auch die Auferstehung der Toten. Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden“ (1. Kor. 15: 21-22). Dadurch wurde die anfängliche Ungerechtigkeit (einer sündigte – alle starben) durch das Kreuz in unendliche Gerechtigkeit (vgl. Mt. 3: 15) umgewandelt.

Das lebensspendende Kreuz ist „Baum der Erkenntnis“ und „Baum des Lebens“ zugleich, denn mit seiner Hilfe geschieht sowohl die Abkehr von der Sünde (durch den Menschen), als auch die Erlösung von der Macht des Todes (durch Gott). Am Festtag der Kreuzverehrung stehen somitwir vor dem „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ (Gen. 2: 9), und dürfen wählen.

Wir können, einerseits, wie der erste Räuber auf den Gekreuzigten blicken und zu Ihm sagen: „Bist Du nicht der Messias? Dann hilf Dir Selbst und auch uns!“ (Lk. 23: 39). Mit anderen Worten: „Wenn Du Gott bist, dann hilf uns in unseren irdischen Nöten, - egal, ob diese verschuldet oder unverschuldet über uns hereingebrochen sind. Wenn Du überhaupt für etwas zu gebrauchen bist, dann hilf uns, gefälligst, hier und jetzt!“

Andererseits, können wir aber auch wie der zweite Räuber sagen: „Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten“ (Lk. 23: 41). Oder: „Herr, ich habe gesündigt, vergib mir! All dieses irdische Leid habe ich verdient, entziehe mir trotzdem nicht Deine himmlische Gnade!“ - Und wie groß diese Gnade dann sein wird, entnehmen wir der Antwort des Herrn: „Amen, Ich sage dir: Heute noch wirst du mit Mir im Paradies sein“ (23: 43).

 

Die beschriebenen Verhaltensmuster lassen das Kreuz des Herrn als Trennlinie zwischen Gnade und Verdammnis erscheinen, mittels derer der Mensch im Grunde selbst das Urteil über sich fällt (s. Mt. 12: 37). Der Teufel weiß ja, dass das Heil für uns in den einfachen Worten liegt: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ (Mt. 6: 12), deshalb impft er uns von Anbeginn Schuld zuweisende Gedanken ein. Als Gott Adam fragte, ob er vom verbotenen Baum gekostet habe, antwortete dieser: „Die Frau, die Du mir beigestellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben, und so habe ich gekostet“ (Gen. 3: 12). Und als Gott Eva fragte, was sie getan habe, klang die Antwort so: „Die Schlange hat mich verführt, und so habe ich gegessen“ (3: 13). Schuld sind immer andere: Gott, der Mitmensch, der Teufel – nur ich nicht!

Auch das auffallend „soziale Verhalten“ des ersten der beiden zum Kreuztod verurteilten Räuber („Hilf Dir selbst und uns!“) fügt sich nahtlos in dieses Schema ein. So beginnt heute oftmals die Beichte bei uns mit den Worten: „Ich bin ein Sünder, wiealle“. Und wenn es dann konkret wird, stellt sich heraus, dass ja alle Frauen abtreiben, alle Männer fremdgehen, alle ihren Arbeitgeber schon mal ausgetrickst haben usw. Die persönliche Verantwortung minimiert sich, je größer die Zahl der Mittäter ist. Aber ist in dieser Konstellation der Selbstrechtfertigung nicht eine kaschierte Anklage unserer Mitmenschen zu erkennen?!... Deshalb beten wir in diesen Wochen mit dem heiligen Ephrem: „Ja, Herr und König! Gib, dass ich meine Verfehlungen erkenne, und meinen Bruder nicht richte, denn Du bist gesegnet in die Ewigkeit der Ewigkeit!“.

 

Mit dem Triumph des Heilands am Kreuz ist die Zwangsherrschaft des Teufels gebrochen, nicht aber seine Fähigkeit, die Menschen zu verführen. Tatsächlich lässt Gott es zu, dass wir versucht werden. Er aber sagt uns auch: „Wenn du nicht recht tust, lauert an der Tür die Sünde als Dämon. Auf dich hat er es abgesehen, du aber werde Herr über ihn!(Gen. 4: 7). Diese an Kain kurz vor dem Brudermord gerichteten Worte zeigen, dass wer zu Anfang Gottes Willen missachtet, letztendlich in der Sünde den letzten Ausweg sehen und dies auch noch zu rechtfertigen bemüht sein wird. Das ist auch der Grund, warum die Kirche uns lehrt, immer erst aufrichtig Buße für unsere Übertretungen zu tun, bevor wir Gott um Hilfe in der Not anflehen. Das „Allheilmittel“ der säkularen Gesellschaft auf die Zunahme der Sünde heißt dagegen Liberalisierung, denn wo es keine Verbote gibt, da gibt es auch keine Übertretungen.

 

Letzteres ist dann ursächlich dafür, dass wir beinahe alle nur den eigenen Standpunkt für den einzig richtigen halten, sehr schnell beleidigt sind, wenn jemand uns in unserer Selbstherrlichkeit Paroli bietet, so dass wir uns dann gekränkt in den Schmollwinkel zurückziehen. Es ist in der Tat sehr bequem, sich sein subjektives Empfinden als einzige Instanz für sich und andere anzuerkennen - dumm nur, dass dieser „Richter“ alles andere als unparteiisch ist und von niemandem sonst als neutral und legitim angesehen wird.

Das von Gott gegebene Abbild (Vernunft, Gefühl, Willen) als Unterpfand für unsere Freiheit nutzen wir im krassen Widerspruch zu den Geboten des Herrn: das Urteilsvermögen - um andere zu verurteilen, das Herz - um emotionsgeladen zu reagieren, den freien Willen - um sich, geleitet von finsteren Gedanken und aufbrausenden Emotionen, zu bösen Worten und Taten wider unseren Nächsten verleiten zu lassen. Und bei der Beichte gibt es dann die übliche „Entschuldigung“, die sich in etwa so anhört: „Ich wurde halt provoziert, da musste ich so reagieren, ich konnte gar nicht anders“ usw. Das obligatorische „Es tut mir leid“ kommt, wenn, dann nur gequält über unsere Lippen, und nicht wirklich aus dem Herzen. Das rührt auch daher, dass wir in den Augen der Menschen gut dastehen und um jeden Preis „Recht behalten“ wollen, weil wir in Wahrheit das Urteil der Menschen mehr fürchten als das Gericht Gottes (s. Joh. 7: 13; 9: 22). Und wer ein unabhängiges Urteil fürchtet, der konstruiert sich eben sein eigenes und schaltet bei Ermahnungen auf Durchzug.

So können wir die uns von Gott zu unserem Heil auferlegten Prüfungen aber niemals bestehen. Dabei will Gott, dass wir das Kreuz freiwillig auf uns nehmen. Doch wie? - Ganz bestimmt nicht durch übertriebene Askese oder durch sich selbst zugefügte Leiden, denn das braucht Gott nicht, und es nützt auch sonst niemandem was. Wir müssen stattdessen den Standpunkt der anderen respektieren und deren Situation begreifen. Nicht von ungefähr ist doch die Nächstenliebe der beste Gradmesser für unsere Treue zum Herrgott:

 

Seid einander in brüderlicher Liebe zugetan, übertrefft euch in gegenseitiger Achtung“ (Röm. 12: 10).

Einer ordne sich dem anderen unter in der gemeinsamen Ehrfurcht vor Christus“ (Eph. 5: 21).

Dient einander als gute Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes, jeder mit der Gabe, die er empfangen hat“ (1.Petr. 4: 10).

 

All das sind Anschauungsbeispiele dafür, wie jeder von uns zu einem Nachfolger Dessen werden kann, Der da sagte: „Wer bei euch groß sein will, der sei euer Diener, und wer bei euch der erste sein will, der soll euer Sklave sein“ (Mt. 20: 27; Mk. 10: 44). Mit der richtigen Geisteshaltung ist es wahrlich nicht schwer, sein Kreuz auf sich zu nehmen (s. Mt. 11: 30).

Also wollen wir mit dieser Botschaft im Herzen heute in der Kirche vor dem Kreuz des Gebieters niederfallen und zugleich Seine heilige Auferstehung preisen. Amen.

Jahr:
2014
Orignalsprache:
Deutsch