Predigt zum Herrntag der Väter des I. Ökumenischen Konzils (Apg. 20: 16-18, 28-36; Joh. 15: 1-17) (16.06.2013)

Liebe Brüder und Schwestern,

 

der Sonntag der 318 Väter des I. Ökumenischen Konzils ist der erste nach dem Festabschluss von Ostern bzw. nach Christi Himmelfahrt und zugleich der letzte Sonntag der Vorbereitung auf das Pfingstfest. Aus diesem Grund wurde heute in der Apostelgeschichte darüber berichtet, wie der Apostel Paulus die Ältesten der Gemeinde von Ephesus in die benachbarte Hafenstadt Milet kommen lässt, weil er sich entschlossen hatte, „an Ephesus vorbei zu fahren, um in der Provinz Asien keine Zeit zu verlieren. Denn er hatte es eilig, weil er, wenn möglich, am Pfingstfest in Jerusalem sein wollte“ (Apg. 20: 16). In seiner emotionalen Abschiedsrede ermahnt er seine Mitbrüder: „Gebt acht auf euch und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist zu Bischöfen bestellt hat, damit ihr als Hirten für die Kirche Gottes sorgt, die Er Sich durch das Blut Seines eigenen Sohnes erworben hat. Ich weiß: nach meinem Weggang werden reißende Wölfe bei euch eindringen und die Herde nicht schonen. Und selbst aus eurer Mitte werden Männer auftreten, die mit ihren falschen Reden die Jünger auf ihre Seite ziehen“ (20: 28-30).

 

Aus diesem kurzen Textauszug wird deutlich, dass

 

a) die Kirche auf Erden von Bischöfen geleitet wird, die der Heilige Geist eingesetzt hat, und dass

b) nur die Lehre, die im Einklang mit der Kirche und ihrer Gemeinschaft verkündet wird, von Gott ist „und dem Wort Seiner Gnade“ entspricht, weil nur sie „die Kraft hat, aufzubauen und das Erbe in der Gemeinschaft der Geheiligten zu verleihen“ (20: 32).

Diese Lehre, basierend auf dem gesammelten Erfahrungsschatz der Einen, Heiligen, Katholischen und Apostolischen Kirche, formulierten, verteidigten und verkündeten die 318 Väter im Jahre 325 beim ersten Ökumenischen Konzil in Nicäa, indem sie die Irrlehre des Arius verwarfen.

Die Autorität der Kirche als gottmenschlicher Organismus verdeutlicht der Herr Selbst in der heutigen Evangeliumslesung: „Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Winzer. Jede Rebe an Mir, die keine Frucht bringt, schneidet Er ab, und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt Er, damit sie mehr Frucht bringt. Ihr seid schon rein durch das Wort, das Ich zu euch gesagt habe. Bleibt in Mir, dann bleibe Ich in euch. Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so könnt auch ihr keine Frucht bringen, wenn ihr nicht in Mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in Mir bleibt und in wem Ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von Mir könnt ihr nichts vollbringen. Wer nicht in Mir bleibt, wird wie die Rebe weggeworfen, und er verdorrt. Man sammelt die Reben, wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen“ (Joh. 15: 1-6).

Wenn besagte Voraussetzung erfüllt ist – die Einheit im Glauben und die Gemeinschaft mit Christus in Seiner Kirche – wird das Reich Gottes schon auf Erden wahrnehmbar: „Wie Mich der Vater geliebt hat, so habe auch Ich euch geliebt. Bleibt in Meiner Liebe. Wenn ihr Meine Gebote haltet, werdet ihr in Meiner Liebe bleiben, so wie Ich die Gebote Meines Vaters gehalten habe und in Seiner Liebe bleibe. Dies habe Ich euch gesagt, damit Meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird. Das ist Mein Gebot: Liebt einander, so wie Ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn  einer sein Leben für seine Freunde hergibt. Ihr seid Meine Freunde, wenn ihr tut, was Ich euch auftrage. Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe Ich euch Freunde genannt; denn Ich habe euch alles mitgeteilt, was Ich von Meinem Vater gehört habe. Nicht ihr habt Mich erwählt, sondern Ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt. Dann wird euch der Vater alles geben, um was ihr Ihn in Meinem Namen bittet. Dies trage Ich euch auf: Liebt einander!“ (15: 9-17).

 

Diese Worte sollten sich die zu Gemüte führen, die glauben, dass Religion reine „Privatsache“ sei und man folglich keine Kirche benötige, um Gott näher zu sein. Aber gleichzeitig müssen auch wir als Kirchenzugehörige begreifen, dass die den Aposteln und ihren Nachfolgern vom Vater durch Christus verliehene Macht des Heiligen Geistes zur Vergebung der Sünden (s. Joh. 20: 21-23) kein Freibrief für Priester ist, ihre Schutzbefohlenen zu bevormunden, sie in ihrer persönlichen Freiheit einzuschränken oder ihnen gar den eigenen Willen aufzuzwingen. Die Aufgabe der „Ältesten der Kirche“, womit heute Bischöfe und deren Gehilfen, die Priester, gemeint sind, besteht darin, dass sie zunächst selbst Gott „im Geist und in in der Wahrheit“ (Joh. 4: 23, 24) anbeten und dadurch mit all jenen, „die aus Wasser und Geist geboren“ (Joh. 3: 5) sind das Reich Gottes erlangen. Die Geistlichkeit hat also die Aufgabe, in allen Dingen Vorbild zu sein, Vertrauen und Zuversicht zu verbreiten – und nicht primär Macht auszuüben bzw. sich die Herde persönlich gefügig zu machen.

 

Wer durch unbekanntes unwegsames Gelände gehen muss, um an sein ersehntes Ziel zu gelangen, braucht einen ortskundigen und erfahrenen Führer. Dieser weiß doch, wo im Moor Treibsandgefahr herrscht, wo im Gebirge Erdrutsche und Lawinen drohen, wo in der Wüste der Weg zur nächsten Oase führt, wie man sich im Wald vor den Angriffen wilder Tiere schützen kann. Aber selbst ein jahrzehntelang erprobter Führer kennt nicht jeden Winkel, jede Gletscherspalte oder jeden finsteren Winkel, auch er erweitert ständig seinen Erfahrungshorizont. Sein Ziel ist nicht, die seiner Obhut Anvertrauten in ständiger Unwissenheit und somit in Abhängigkeit von ihm zu lassen, sondern ihnen nach Möglichkeit sein Wissen und seine Fertigkeiten weiterzugeben. Zudem ist er bemüht, auch deren Erkenntnisse für sich zu verwerten. So kann es auch passieren, dass der eine oder andere eines Tages seinen Lehrmeister sogar übertrifft. Auf jeden Fall hilft man sich gegenseitig durch Rat und Tat, durch gemeinsames und einmütiges Handeln, was freilich immer eine bestimmte Aufgabenteilung voraussetzt. So hilft man sich gegenseitig, so wird die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt – je nach individueller Fähigkeit.  Das wiederum setzt ein ungetrübtes Vertrauensverhältnis untereinander voraus. Deshalb die hohen moralischen Anforderungen an Priesteranwärter, deshalb die für unsere Zeit seltsam anmutenden strengen disziplinarischen Standards für Geistliche innerhalb der kirchlichen Hierarchie. Trotz alledem gibt es auch in der Kirche aufgrund keine Versicherung gegen Leute (ob Priester, Mönche oder Laien), die Strenge gegenüber anderen und Milde gegenüber sich selbst walten lassen, anstatt umgekehrt. Nichtdestotrotz wollen wir noch einmal festhalten: die Kirche ruft alle zum bewussten Umgang mit der von Gott gegebenen Freiheit. Diese ist aber nur unter der Voraussetzung sinnvoll und zielführend, dass der Betreffende in der Lage ist, aus eigener Verantwortung die für ihn richtige Entscheidung zu treffen. Das schließt aber wiederum nicht aus, dass kirchlicherseits manchmal harte und schmerzhafte Maßnahmen ergriffen werden müssen, die letztendlich nur dem Heil des Menschen dienen sollen – zum Schutz vor  „reißenden Wölfen“ wie im Fall von Arius und seinesgleichen, manchmal aber auch – zum Schutz vor sich selbst.

 

Vor vielen Jahren sah ich mir im Fernsehen eine Sendung über ehemalige DDR-Flüchtlinge an, die bis zur Wende in der alten Bundesrepublik lebten. Einer von ihnen entschloss sich eines Tages dazu, nach so vielen Jahren seine Verwandten in der DDR zu besuchen. In der für ihn beruhigenden Überzeugung, „drüben“ nicht mehr aktenkundig zu sein, passierte er den westdeutschen Grenzposten und stand mit der Stoßstange seines PKW vor der Schranke des Grenzpostens der DDR. Er überreichte dem diensthabenden Offizier seinen bundesdeutschen Pass und sah zu, wie dieser ziemlich lange mit diesem Pass „hantierte“. Dann fragte der Grenzsoldat mit einem ungewöhnlich ernsten Tonfall in der Stimme und einem durchdringenden Blick in den Augen: „Wollen sie wirklich einreisen?“ - „Ja.“ - „Wollen sie wirklich einreisen?“ - „Aber ja, was soll die Frage?!“ - „Ich frage sie nun zum letzten Mal: wollen sie wirklich einreisen?!“ - Erst jetzt erkannte unser Reisender das Alarmsignal und kehrte noch um bevor sich die Schranke hinter seinem Wagen geschlossen hatte. Nur fünf Meter weiter, und er wäre als Republikflüchtiger verhaftet worden...

 

So ähnlich wirkt die Vorsehung und die Gnade Gottes. Gott führt die Menschen auf mannigfaltige Weise zum Heil, wobei der Geistlichkeit manchmal eine sanft unterweisende, manchmal eine streng mahnende, aber immer eine ausschließlich dienende Rolle zukommt: „Er gab den einen das Apostelamt, andere setzte Er als Propheten ein, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, um die Heiligen für die Erfüllung ihres Dienstes zu rüsten, für den Aufbau des Leibes Christi. So sollen wir alle zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, damit wir zum vollkommenen Menschen werden und Christus in Seiner vollkommenen Gestalt darstellen. Wir sollen nicht mehr unmündige Kinder sein, ein Spiel der Wellen, hin und her getrieben von jedem Widerstreit der Meinungen, dem Betrug der Menschen ausgeliefert, der Verschlagenheit, die in die Irre führt. Wir wollen uns, von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten und in allem wachsen, bis wir Ihn erreicht haben. Er, Christus, ist das Haupt. Durch Ihn wird der ganze Leib zusammengefügt und gefestigt in jedem einzelnen Gelenk. Jedes trägt mit der Kraft, die ihm zugemessen ist. So wächst der Leib und wird in Liebe aufgebaut“ (Eph. 4: 11-16).

 

Es gibt aber keine „Automatismen“ in der Kirche. Taufe, Myronsalbung, Beichte und Kommunion sind objektive Gnadengeschenke, die zwar immer als solche wirksam sind, aber nur dem zum Heil gereichen, der die entsprechenden inneren Voraussetzungen mitbringt, um Glied des Leibes Christi zu sein. Aus diesem Grund sind Priester in manchen Fällen angehalten, dem einen oder dem anderen den Zugang zu den lebenspendenden Mysterien vorübergehend zu verwehren. Auch unsere Stammeltern mussten zu ihrem Heil einsehen, dass ihnen nach Gottes Ratschluss der „Weg zum Baum des Lebens“ (Gen. 3: 24) nach dem Sündenfall für längere Zeit verschlossen blieb.

So ermahnt uns der Apostel: „Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis Er kommt. Wer also unwürdig von dem Brot isst und aus dem Kelch des Herrn trinkt, macht sich schuldig am Leib und am Blut des Herrn. Jeder soll sich selbst prüfen; erst dann soll er von dem Brot essen und aus dem Kelch trinken. Denn wer davon isst und trinkt, ohne zu bedenken, dass es der Leib des Herrn ist, der zieht sich das Gericht zu, indem er isst und trinkt“ (I Kor. 11: 26-29).

Wir alle sind Glieder des Leibes Christi; wir alle sind Kirche. Wir alle haben Anteil am Leib und Blut Christi und an der Gnade des Heiligen Geistes. Lasst uns gemeinsam diesen Weg gehen – jeder von uns „mit der Kraft, die ihm zugemessen ist“. Amen.

Jahr:
2013
Orignalsprache:
Deutsch