Predigt zum 4. Sonntag nach Pfingsten (01.07.2012) (Röm 6, 18-23. Mt 8, 5-13.)

Liebe Brüder und Schwestern,

in der heutigen Evangeliumslesung (Mt. 8: 5-13) begegnet unser Herr Jesus Christus in Kafarnaum einem römischen Hauptmann, der Ihn um Hilfe für seinen schwer leidenden Diener bittet. Als der Herr daraufhin in das Haus des Hauptmanns gehen will, um den Diener zu heilen, spricht der Hauptmann einmalige, bemerkenswerte Worte: „Herr, ich bin es nicht wert, dass Du mein Haus betrittst; sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund“ (8: 8). Daraufhin erntet er Lob für seinen Glauben und wird somit zum Vorboten der Bekehrung der Heiden: „Viele werden von Osten und Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen“ (8: 11).

Aus zweierlei Gründen ist dieser Zenturio, in meinen Augen, Beispiel für uns:

1) Wie oft kommt es vor, dass wir uns nur dann an Gott wenden, wenn wir selbst in Not geraten?! Und wie inbrünstig können Gebete von gläubigen oder plötzlich bekehrten Menschen sein, wenn es um ihr eigenes Wohl oder das ihrer nächsten Angehörigen geht (s. Mk. 10: 48; Mk. 9: 24). Hier aber bittet der Mann für einen Sklaven, für jemanden, dem juristisch keine Menschenwürde zusteht, dessen einzige Daseinsberechtigung darin besteht, seinem Herrn und Eigentümer zu dienen – und dieser „Eigentümer“ lässt sich (aus römischer Sicht) dazu herab, einen jüdischen Wanderprediger demütig um die Genesung seines Sklaven zu bitten!...

2) Wir haben es hier mit einem Mann zu tun, der selbst keine Synagoge besuchte und somit, bedingt durch seine Herkunft, nur die heidnische Sicht auf die Welt hatte. Zudem war er durch das Soldatenleben in eiserner Disziplin getrimmt, wodurch für ihn eigenständiges Denken tabu war und Mitleid gegenüber Schwächeren als krankhafte Verhaltensstörung galt. Trotzdem macht sich dieser Mann die Denkweise seiner eigenen Umgebung, seiner Kultur zueigen, um selbst zum Glauben an den wahren Gott zu kommen (s. 8: 9). Ein Glauben, wohlgemerkt, der, so scheint es, in der Liebe zum Menschen seinen Ursprung hat oder zumindest unauflösbar mit ihr verbunden ist. So schreibt der hl. Apostel Paulus im Römerbrief: „Wenn Heiden, die das Gesetz nicht haben, von Natur aus das tun, was im Gesetz gefordert ist, so sind sie, die das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie zeigten damit, dass ihnen die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist; ihr Gewissen legt Zeugnis davon ab, ihre Gedanken klagen sich gegenseitig an und verteidigen sich – an jenem Tag, an dem Gott, wie ich es in meinem Evangelium verkündige, das, was im Menschen verborgen ist, durch Jesus Christus richten wird.“ (Röm. 2: 14-16).

Es sind also zwei Punkte: Glaube und Liebe. Und gerade auf diese beiden kommt es an, wenn wir die Kindschaft Gottes erlangen wollen (s. Mt. 5: 44). In allen anderen Aspekten kann man vertretbare Kompromisse schließen: bei gegebenem Anlass können Gottesdienste modifiziert, Gebetsregeln verkürzt, das Fasten gemildert, Kanones nicht in ihrer ganzen Strenge angewandt werden - vieles ist denkbar, sofern es dem Heil der Menschen dienlich sein sollte. Doch in zwei Punkten gibt es keine Abstriche: in der Liebe und im Glauben. „Liebt eure Feinde“ (Mt. 5: 44) – kompromisslosser, als in der Bergpredigt, kann man das Gebot der Gebote nicht auf den Punkt bringen.

Aber der Herr lobt im vorliegenden Fall vor allem den Glauben des Hauptmanns: „Einen solchen Glauben habe ich in Israel noch bei niemand gefunden“ (8: 10). Noch vor den beiden römischen Martyrern Longinus und Kornelius ist dieser römische Offizier ein Vorläufer des Bekennertums der neutestamentlichen Ära. Martyrer und Bekenner nennt man Glaubens- bzw. Blutzeugen, denn durch ihre Standhaftigkeit bezeugen sie die Wahrheit des Evangeliums (denn wer würde schon für eine Lüge leiden oder sogar sterben?).

Womöglich gibt es solche unter uns Christen, die Bekennertum und Martyrium mit Fanatismus gleichsetzen. Doch das Evangelium ist eindeutig: „Wer sich vor dieser treulosen und sündigen Generation Meiner und Meiner Worte schämt, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn Er mit den heiligen Engeln in der Hoheit Seines Vaters kommt“ (Mk. 8: 38; s. Lk. 9: 26). Wie gesagt, in bezug auf den Glauben ist das Evangelium maximalistisch.
Und wie könnte es auch anders sein? Wenn jemand nicht bereit ist, sein zeitliches Leben für das ewige Leben zu opfern, dann kann das nur eines bedeuten: er glaubt nicht an das ewige Leben. Und somit glaubt er auch den Worten unseres Erlösers nicht, wenn er deren Wahrheit nicht vor dieser treulosen und sündigen Generation bekennen will.

Ich kriege oft zu hören: „Ach, wissen Sie, in der DDR bzw. UdSSR durfte man nicht in die Kirche gehen, deshalb konnten wir unsere Kinder nicht im Glauben erziehen“... Wenn man mal großzügig darüber hinwegsieht, dass besagte politische Gebilde seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr existieren, und die Kirche in der Folge dank einer unendlich scheinenden Medienvielfalt inzwischen ungestört die Frohe Botschaft verkünden kann, ist diese Aussage (bzw. Ausrede?) auch faktisch nicht korrekt. In besagten Systemen war das Recht auf Gewissensfreiheit von der Verfassung garantiert; gleichwohl verlangte die Glaubensausübung einen gewissen Bekennermut. Doch wer ihn damals nicht aufbringen wollte, der tut es heute auch nicht. Nur mangelt es heute am „Bekennermut“ gegenüber dem eigenen Ego, gegenüber der eigenen Bequemlichkeit, gegenüber den liebgewonnenen Wochenendvergnügungen, den Familenangehörigen, Freunden, Kollegen etc. Solche nominellen Christen begreifen nicht, dass der Glaube dergestalt auf seine Kompromisslosigkeit auf die Probe gestellt werden muss: „Wer nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben um Meinetwillen verachtet, der kann nicht Mein Jünger sein“ (Mk. 14: 26).

Aber dieser Gedanke lässt sich beliebig weiterführen. Junge Christen, die meinen, vor der Ehe schon alles „ausprobieren“ zu dürfen, handeln in eben dersleben Art und Weise. Es läuft doch immer wieder auf ein und dieselbe Weigerung hinaus, die Worte Christi vor der Welt zu bekennen. Ja, als Moral und Anstand noch gesetzlich geschützt bzw. die Missachtung derselben gesellschaftlich geächtet wurde, da passte man sich dem Mainstream an und meinte, so auch innerlich nach Gottes Geboten zu leben. Heute erfordert das Leben nach dem Evangelium aber schon rein äußerlich einen gewissen Bekennermut. Wer als Teenager seiner Clique gegenüber erklärt, er werde nicht mit in die Disco gehen, weil heute ein kirchlicher Feiertag ist, wer als junger Erwachsener seine Familienplanung von Anfang an auf dem Fundament beiderseitiger Keuschheit vor der Eheschließung gründet, wer als Vater oder Mutter beim Elternabend deutlich seinen christlichen Standpunkt zu neuesten „Errungenschaften“ der Sexualerziehung kundtut, wer im Kollegenkreis mal darauf verweist, dass die vielbeschworene Toleranz auch gegenüber solchen Menschen Bestand haben sollte, die gewisse „alternative Lebensformen“ zwar aus innerer Überzeugung ablehnen, dabei jedoch niemanden verurteilen und die staatlichen Gesetze respektieren, - der zeigt damit, dass er nach seiner christlichen Überzeugung handelt und nach seinem christlichen Glauben lebt.

Vergessen wir eines nicht: bei unserer Taufe wurden wir zu „neuerwählten Kriegern Christi“. Wir müssen kämpfen, denn wir gehören in dieser Welt zur „kämpfenden Kirche“. Diakon Andrej Kuraev hat es mal so ausgedrückt: ein Kadaver schwimmt immer mit der Strömung. Nur wenn jemand gegen den Strom schwimmt, kann man erkennen, dass er lebendig ist.
Der Hauptmann von Kafarnaum hat sich dank seines Glaubens an Gott und dank seiner Liebe zum Mitmenschen über geltende Konventionen, über die vorherrschenden Mentalität, über das ihm von Jugend auf eingetrichterte Weltbild hinweggesetzt. Er wurde so, trotz widrigster äußerer Voraussetzungen, zum „Hauptmann des Himmlischen Königs“.
Unser Glaube an den von den Toten Auferstandenen ist ein lebendiger Glaube. Es gibt nichts wichtigeres für uns, als das ewige Leben mit Gott in Seinem Reich. Und das bezeugen wir allwöchentlich durch unsere Teilnahme an der Auferstehungsfeier Christi. Amen.

Orignalsprache:
Deutsch