Predigt zum 11. Herrentag nach Pfingsten / Hochfest des Entschlafens der Allerheiligsten Gottesgebärerin (1 Kor. 9:2-12; Phil. 2:5-11; Mt. 18:23-35; Lk. 10:38-42; 11:27-28) (28.08.2022)

Liebe Brüder und Schwestern,

 

der Sinn des Gleichnisses vom unbarmherzigen Gläubiger aus dem Matthäus-Evangelium wird vom Herrn Jesus Christus unmissverständlich unter Bezugnahme auf die fehlende Bereitschaft zur Vergebung bei uns in diesem kurzen Schlusswort zusammengefasst: „Ebenso wird Mein Himmlischer Vater jeden von euch behandeln, der seinem Bruder nicht von ganzem Herzen vergibt“ (Mt. 18:35). Klar und deutlich! Und doch tun sich die allermeisten von uns, bekennenden und praktizierenden Christen, überaus schwer, ihren Mitbrüdern und -schwestern ihre geringfügigen Vergehen zu vergeben; schwere Vergehen, von denen wir als Leidtragende direkt betroffen wären (mit weitreichenden physischen, materiellen, moralischen etc. Folgen) bilden in unseren Kreisen doch eher die Ausnahme. Grund für unsere Weigerung zu vergeben sind unsere verstockten Herzen sowie unsere kaum zu erschütternde Eigenliebe, die auf Betreiben des Teufels in uns buchstäblich floriert. Als „gute Christen“ können wir zwar sagen: „Ich vergebe dir“ – aber im Herzen hegen wir noch lange danach Groll wider unseren Nächsten. Was tun? - Wenden wir uns dem Gleichnis noch einmal zu, und zwar dem Fazit desselben. Was geht eigentlich der (leider angebrachten und notwendigen) Drohung unseres Herrn voraus, wenn Er wie folgt resümiert: „Ebenso wird Mein Himmlischer Vater jeden von euch behandeln“...?! Worauf bezieht sich eigentlich dieses ebenso?

Dazu gehen wir eine Zeile höher im Text, mit der die Erzählung vom unbarmherzigen Gläubiger, der seinem Mitbruder dessen geringe Schuld nicht erlassen wollte, endet: „Und in seinem Zorn übergab ihn der Herr den Folterknechten, bis er die ganze Schuld bezahlt habe“ (Mt. 18:34). Zur Erinnerung: der Mann schuldete seinem Herrn zehntausend Talente Gold. Ein Talent, das sind etwa 60 kg! König Salomon, der in sagenhaften Reichtum lebte, trieb jährlich 666 Goldtalente von sämtlichen Vasallen ein (s. 3/1 Kön. 10:14; 2 Chr. 9:13). Und der hier allein schuldet seinem König 10.000 Talente! Da er (logischerweise) zahlungsunfähig ist, fleht er seinen Herrn an, ihm einen Aufschub zu gewähren (s. Mt. 18:26). Wohl wissend, dass dies ein völliger Hohn ist, denn in einer Million Jahren wird der Diener diese Schuld nicht begleichen können, erlässt ihm der König aus Mitleid die ganze Schuld, für die der Diener mitsamt seiner Familie nun nicht mehr geradestehen muss. Was für eine Liebe und was für eine Barmherzigkeit! Er müsste doch vor Glück und vor Dankbarkeit die ganze Welt umarmen wollen! Wem soviel Gnade zuteilgeworden ist (und hierin erkenne ich mich selbst am ehesten), der muss doch jetzt bereit sein, allen und jedem dessen Kinkerlitzchen zu vergeben – aber weit gefehlt! Die Parabel und das reale Leben zeigen, dass es zumeist nicht so ist. Und das ist furchtbar! Und da wundern wir uns, wenn Leid und Unglück über uns hereinbrechen?! Auch das geschieht aus Barmherzigkeit Gottes, Der uns so zur Besinnung rufen will. Lieber sollen wir hier eine begrenzte Zeit Trübsal leiden, als in Ewigkeit der Gnade Gottes verlustig gehen. Aber selbst dem barmherzigen Gott vergeben (!!!) die meisten Menschen nicht… Er hat gefälligst nach ihren Wertvorstellungen, entsprechend ihrem Willen und gemäß ihrer Zielausrichtung zu handeln. Sonst ist Er nicht der liebe Gott. Das Urteil über Gott wird somit von den Menschen gefällt, genau so, wie es vor dem Lithostrotos  / Gabbata schon einmal der Fall gewesen war (vgl. Joh. 19:13). Das ist der Zustand der Menschheit nach dem Sündenfall (vgl. Gen. 3:12). 

Noch einmal: Wir sind diejenigen, die unserem Himmlischen Vater diese astronomische Geldsumme schulden! Wir können unsere Schuld aber sofort tilgen, indem wir unsere Sünden in der Beichte und auch im häuslichen Gebet aufrichtig bereuen. Und ao müssten wir doch jeden Tag an nichts anderes denken, als umgehend diese Vergebung zu erlangen. Doch dann begegnen wir unvermittelt jemanden, der vielleicht mal schlecht über uns geredet, uns mal nicht wie von uns erwartet unterstützt oder uns sonst wie Ungutes getan hat, - und wollen ihm nicht vergeben?! Das kann doch nicht wahr sein! Vergegenwärtigen wir uns nochmal die abschließenden Worte des Gleichnisses, wonach der unbarmherzige Diener von seinem König den Folterknechten (na, wer mag wohl allegorisch damit gemeint sein?!) übergeben wurde, „bis er die ganze Schuld bezahlt habe“. Die ganze Schuld!!.. Zehntausend Talente Gold?!.. Können wir uns auch nur annähernd ausmalen, was das im übertragenen Sinne (für unsere Seele) bedeutet? Hat jemand wirklich Lust auf diese Aussicht?! Oder wollen wir uns doch lieber mit unseren Brüdern und Schwestern, gegebenenfalls auch mit unseren Feinden, versöhnen?..

Zäsur. Heute feiern wir das Fest des Entschlafens der Mutter Gottes. Dazu heute lediglich ein paar kurze Worte. Der kirchlichen Überlieferung zufolge lebte die Mutter Gottes noch ca. 15 Jahre nach der Himmelfahrt Christi auf der Erde und sehnte sich im ununterbrochenen Gebet danach, für immer mit Ihrem Sohn sein zu dürfen, bis Ihr der Erzengel Gabriel Ihren in drei Tagen bevorstehenden Heimgang verkündete. Für Sie war der leibliche Tod etwas von ganzem Herzen Ersehntes – der Übergang vom zeitlichen in das ewige Leben. Das heißt, dass für jemanden, der hier auf Erden mit Christus gelebt hat, das Hinscheiden aus dieser Welt ein sanftes Entschlafen darstellt. Durch Ihr Lebensbeispiel lehrt uns die Theotokos: „Wer im Vertrauen auf Fleisch sät, wird vom Fleisch Verderben ernten; wer aber im Vertrauen auf den Geist sät, wird vom Geist ewiges Leben ernten“ (Gal. 6:8). Das ist auch der Grund, weshalb der Heimgang der Mutter unseres Herrn für uns alle Anlass zu großer Freude bietet. Amen.

Jahr:
2023
Orignalsprache:
Deutsch