Predigt zum Hochfest der Kreuzerhöhung (1 Kor. 1:18-24; Joh. 19:6-11,13-20,25-28,30-35) (27.09.2022)

Liebe Brüder und Schwestern,

 

das Mysterium unserer Erlösung durch den Menschensohn ist unergründlich. Der Mensch gewordene Sohn Gottes hatte ja unsere gefallene Natur angenommen, um uns von den Qualen des Todes zu erlösen. Somit steht das Mysterium der Menschwerdung Gottes ständig im Mittelpunkt unserer Betrachtung. „Gott wurde (dem Wesen nach) Mensch, damit der Mensch (der Gnade nach) wie Gott werden konnte“. Durch Taufe, Myronsalbung, Buße und Kommunion können wir alle kontinuierlich Gott ähnlich werden, etwa wie ein Globus von der Größe eines Tennisballs dem Planeten Erde „ähnelt“. Die Erlösung des Menschen erfolgte also nicht allein durch göttliche Allmacht, sondern durch die unfassbare, unendliche Selbsterniedrigung der gekreuzigten Liebe Gottes in Person Jesu Christi. Und hierbei wollen wir am Tag des Gedenkens des Kostbaren und Lebenspendenden Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus nachhaken. „Mit Christus wurdet ihr in der Taufe begraben, mit Ihm auch auferweckt, durch den Glauben an die Kraft Gottes, Der Ihn von den Toten auferweckt hat. Ihr wart tot infolge eurer Sünden und euer Leib war unbeschnitten; Gott aber hat euch mit Christus zusammen lebendig gemacht und uns alle Sünden vergeben. Er hat den Schuldschein, der gegen uns sprach, durchgestrichen und seine Forderungen, die uns anklagten, aufgehoben. Er hat ihn dadurch getilgt, dass Er ihn an das Kreuz geheftet hat“ (Kol. 2:12-14).

Das  besagte Kreuz Christi bestand aus Verrat, Erniedrigung, Todesangst, Geißelung, Verspottung und zuletzt aus der Marter der eigentlichen Kreuzigung. Diese Leiden Christi sind für sich schon unvorstellbar. Der Sohn Gottes erleidet körperliche Qualen und moralische Erniedrigung von Seinen Knechten, zu deren Errettung Er gekommen war! Doch damit war eigentlich nur der „juristische“ Aspekt abgeschlossen, wonach die Schuld eines Verurteilten durch dessen Tod getilgt wurde (s. Röm. 6:7) – ein Rechtsgrundsatz, der heute noch Anwendung findet. Aber über den leiblichen Aspekt hinaus gab es noch den Aspekt des göttlichen Gesetzes, wo es heißt: „Wenn jemand ein Verbrechen begangen hat, auf das die Todesstrafe steht, wenn er hingerichtet wird und und du den Toten an einen Pfahl hängst, dann soll die Leiche nicht über Nacht am Pfahl hängen bleiben, sondern du sollst ihn noch am gleichen Tag begraben; denn ein Gehenkter ist ein von Gott Verfluchter. Du sollst das Land nicht unrein werden lassen, das der Herr, dein Gott, dir als Erbbesitz gibt“ (Dtn. 21:22-23). Für die gesetzestreuen Juden galt der Gekreuzigte somit nun sogar als ein von Gott Verfluchter! Christus hat Sich um unseretwillen nicht nur auf den tiefsten Punkt der Erde – den Hades – begeben, sondern ist auch für uns Selbst zum Fluch geworden (s. Gal. 3:13)! Nichts hat Er ausgelassen, um uns vom ewigen Fluch zu befreien. Gottes Menschenliebe übersteigt die humane Vorstellungskraft.

Diese Liebe Gottes, die in Jesus Christus im wahrsten Sinne des Wortes verkörpert wird, erstreckt sich durch das ganze Neue Testament. Im Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger (Mt. 18:23-35) wird (beim zweiten Hinsehen) deutlich, dass Gott den reuigen Sündern nicht einfach so ihre Schulden erlässt. Die Schuld muss ja – wie im täglichen Leben auch – von jemandem beglichen werden. Entweder es findet sich in einem Schuldenprozess ein Bürge oder der Gläubiger erlässt dem Schuldner die Schuld. Letzteres würde bedeuten, dass der Gläubiger diese ihm zustehenden Schulden „abschreibt“, sie also auf seinem eigenen Konto als Verlust verbucht. Und der Schuldenerlass Gottes geht tatsächlich „zu Seinen Lasten“ vonstatten, da Er Seinen geliebten Sohn als „Bürgen“ hergibt, Der die gesamte Schuld auf sich nimmt (s. Kol. 2:13-14; Hebr. 7:22). Auf fremde Kosten mildtätig sein kann jeder; Gott aber „hat die Welt so sehr geliebt, dass Er Seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an Ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat. Denn Gott hat Seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit Er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch Ihn gerettet wird“ (Joh. 3:16-17). Das Kreuz des Herrn ist somit das Werkzeug, mit dem Gott die Welt errettet hat – es ist das „Zeichen des Menschensohnes“ (Mt. 24:30), das das Ende dieser vergänglichen Welt verkünden und den Beginn des ewigen Lebens im abendlosen Königtum Gottes (s. Offb. 21:23-25) einleiten wird. Bis dahin müssen wir uns alle in der Liebe und Treue zu unserem Herrn bewährt haben. Einen anderen Weg des Heils als den des Kreuztragens gibt es für uns Menschen folglich nicht (Mt. 16:24; Mk. 8:34; Lk. 9:23). Es gibt ja auch keine gesetzlich anerkannten Reisebüros, die Traumreisen ins Paradies zum Nulltarif anbieten. Diejenigen unseriösen Institutionen, welche das trotzdem tun, gehören zu den schwarzen Schafen der Branche, denen schon vor langer Zeit die Lizenz entzogen worden ist bzw. welche niemals im Besitz einer solchen gewesen sind.

„Um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden“ (1. Kor. 6:20a), sagt der Apostel Paulus. Gott hat diesen Preis für uns entrichtet. Und so fährt der Apostel fort: „Verherrlicht also Gott in eurem Leib“ (6:20b). Ein Schuldner, dem die Schulden erlassen worden sind, wird doch nicht gleich wieder damit anfangen, neue Schulden anzuhäufen; ein amnestierter Straftäter wird doch nicht gleich nach der frühzeitigen Entlassung aus dem Knast wieder straffällig werden; ein erfolgreich therapierter Drogenabhängiger wird doch nicht gleich wieder neuen Stoff besorgen wollen etc. – und wenn doch, dann zeugt das davon, dass seine Absichten von Anfang an keine hehren und seine Besserungsgelöbnisse nur Schall und Rauch waren. Wenn wir weiter in Sünde leben, zeigen wir damit, dass wir unseren Herrn nicht lieben. Und „wer den Herrn nicht liebt, sei verflucht! Marána tha – unser Herr, komm!“ (1 Kor. 16:20). Amen.

Jahr:
2023
Orignalsprache:
Deutsch