Predigt zum 11. Herrentag nach Pfingsten (1 Kor. 9:2-12; Mt. 18:23-35) (05.09.2021)

Liebe Brüder und Schwestern, das Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger bedarf eigentlich keiner exegetischen Erläuterung, so klar und deutlich sind in ihm die Worte des Herrn wiedergegeben, die Er an anderer Stelle an uns alle richtet: „Wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer Himmlischer Vater auch euch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben“ (Mt. 6:14-15). Diese Worte folgen übrigens gleich nach dem „Vater unser“ im Evangelium. Aber warum fällt es uns so schwer, danach zu handeln und danach zu leben? Warum verkennen wir als Gläubige ein ums andere Mal die Gerechtigkeit Gottes und wollen unsere eigene Gerechtigkeit aufrichten, so dass wir uns der Gerechtigkeit Gottes nicht unterwerfen (s. Röm. 10:3)? - Weil uns der Glaube fehlt. „Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht“ (Hebr. 11:1). Hätten wir diesen Glauben, würden wir an gar nichts anderes denken als uns mit Gott versöhnen zu lassen (s. 2 Kor. 5:20), was eben die Vergebung allen unseren Übeltätern beinhaltet. Nicht allein denen, die ihre Schuld anerkennen und uns zuerst um Vergebung bitten (das ist mehr als selbstverständlich), sondern auch und vor allem denen, die in ihrem eigenen bornierten Hochmut gefangen sind (s. Mt. 5:23-24). Bevor wir die Gebete zur Heiligen Kommunion lesen, werden wir doch alle mit den Worten konfrontiert: „Vor dem Empfang des Leibes und des Blutes des Gebieters sollst du dich zuerst mit dem versöhnen, der dich gekränkt hat; dann darfst du es wagen, die mystische Speise zu essen!“ - Durch den Verzicht auf unsere eigene Rechthaberei können wir nämlich unseren Mitbruder auf den rechten Weg bringen (vgl. Gal. 6:1). Doch stattdessen gibt es auch unter Christen kircheninterne Privatfehden, bis hin zu Rechtsstreitigkeiten und anderen Sachen (s. 1 Kor. 6:1-11); von der großen Kirchenpolitik will ich hier gar nicht reden. Wollen wir etwa so vor unserem Herrn erscheinen?!!.. Oft kommen Menschen zur Beichte, um sich selbst zu rechtfertigen, d.h. durch einen „offiziellen Akt“ (die Absolution durch den Priester) als in irdischen Dingen gerechtfertigt von dannen gehen zu können (manchmal sogar unmittelbar nach Ausbruch des Konflikts!). Wie leicht sie es dem Teufel dadurch machen, sich von ihm verführen zu lassen! Denn wir vergessen hierbei, dass Gott von uns nicht bloß menschliches, natürliches Verhalten erwartet, sondern die übernatürliche Kraftanstrengung der Seele, die sich aus Herz, Verstand und Willen zusammensetzt. Eben das bedeutet, Gott über alles zu lieben, und seinen Nächsten wie sich selbst! Stellen wir uns vor, in fünf Minuten ginge der bislang noch verschlossene (imaginäre) Vorhang zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Welt hoch und das Gericht Gottes begänne für uns alle. Alle unsere Schwächen und Verfehlungen würden nun offengelegt und wir sähen uns in dem realen Zustand, in dem wir tatsächlich vor Gott (nicht vor den Menschen) stehen. Oh je!.. Aber fünf Minuten bleiben uns noch. Welch ein Geschenk für uns! All unsere großen und kleinen Konflikte erschienen geradezu lächerlich vor dem Angesicht Gottes und des ewigen Lebens. Wir würden alles tun, um uns mit allen Menschen zu versöhnen. Vor allem denen, die uns Böses getan haben, werden wir voller Dankbarkeit die Füße küssen, da wir durch die Vergebung der uns zugefügten Missetaten nun unsererseits die Erlassung unserer unermesslichen Schuld vor Gott erlangen können. Ist das nicht herrlich?! Unser Schuldschein wird dank unserer Demut und Versöhnungsbereitschaft im Nu von Gott zerrissen und wir entgehen der ewigen Verdammnis, die in der Trennung von unserem Herrn Jesus Christus besteht. Das ist unsere Chance – nutzen wir sie! Unser Heil liegt (auch) in unserer Hand – so hat es Gott gewollt. Ehre sei Dir, o Herr!!! Das ist geistliches Leben! In leerstehenden Kirchen hierzulande werden hingegen schon Kurse für Yoga, Tai Chi oder Qi Gong angeboten, Klöster dienen inzwischen als Wellness-Oasen für potente „Pilger“. Aber führt das zum Seelenheil? Auf massenhafte Kirchenaustritte reagiert man stets mit noch intensiverer Säkularisierung. Wir vermissen die Hinwendung zu Christus. „Amen, das sage Ich euch: Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen“ (Mt. 18:3). Christus ruft alle zur Umkehr auf bevor es zu spät ist. Sonst wird der Herr zu jedem einzelnen von uns, auch wenn Er leicht unsere Fehltritte vergeben wird, sagen. „Ich werfe dir aber vor, dass du dein erste Liebe verlassen hast“ (Offb. 2:4). Benutzen wir doch einfach den gesunden Menschenverstand. War es nicht unfassbar töricht und unbarmherzig von dem Knecht in unserem Gleichnis, seinem Kameraden dessen (im Vergleich zu seiner eigenen Sündenkartei) geringe Schuld nicht zu erlassen und ihn gemäß der irdischen Gerechtigkeit sogar ins Gefängnis werfen zu lassen?! Wie war das mit seinem Gewissen und seinem persönlichen Gerechtigkeitsempfinden vereinbar?.. - Und wir? Anders als er wissen wir, dass unser Herr alles erfährt (ja, eh schon alles weiß), da vor Ihm nichts verborgen bleiben kann. Wie hirnverbrannt müssen wir dann sein, wenn wir als gläubige Christen trotzdem nach jener Schablone handeln, die im Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger zu unserer Abschreckung aufgezeigt ist?!.. Der Herr vergibt uns unsere Schuld, „wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ (Mt. 6:12). Unterlassen wir demzufolge auch üble Nachrede, Verleumdung und jegliche „objektive“ Darstellung von Tatsachen, wenn diese „faktenbasierten“ Erkenntnisse unserem Nächsten schaden können! Amen.
Jahr:
2021
Orignalsprache:
Deutsch