Predigt zum vierten Herrentag der großen Fastenzeit / Gedächtnis der heiligen Maria von Ägypten (Hebr. 9:11-14; Gal. 3:23-29; Mk. 10:32-45; Lk. 7:36-50) (05.04.2020)

Liebe Brüder und Schwestern, 

langsam biegen wir auf die Zielgerade. Die längste Zeit des Fastens liegt hinter uns. Was haben wir erreicht?.. Das Tränenbad des Sündenbekenntnisses ist richtig und notwendig, aber es kennzeichnet lediglich den Weg des Fastens, nicht das Ziel. Das Ziel ist die Versöhnung mit Gott (s. 2 Kor. 5:20). Der Weg führt über die Abkehr von schädlichen, überflüssigen und zerstreuenden Faktoren zur ungestörten Huldigung Gottes. Das ist sogar viel wichtiger als das Befolgen sämtlicher Fastenregeln sowie die komplette Einhaltung der häuslichen und kirchlichen Gebetszeiten. Wir finden zwar Trost und Stärkung durch Gottesdienste und Hausgebete, schöpfen großen Nutzen für Seele und Leib aus körperlicher Enthaltsamkeit sowie dem Entsagen verzichtbarer Dinge zugunsten einer verstärkten Hinwendung auf geistliche Dinge, und trotzdem gelingt es dem Widersacher immer wieder, unsere Herzen durch Zerstreuung, Zorn, Neid, Richten des Nächsten etc. von unserem Weg der Lobpreisung Gottes abzubringen (s. Mt. 13:8; Mk. 4:15ff; Lk.8:12). Es ist für uns in einer äußerlich intakten Umgebung unglaublich schwer, uns zu hundert Prozent der Liebe Gottes hinzugeben. Zu sehr hängt unser Herz immer noch an irdischen Dingen, sodass wir unsere gesamte Geisteskraft nicht der Suche nach der Gemeinschaft mit Gott widmen (s. Mt. 6:21; Lk. 12:34). Erst wenn uns Leid und Not ereilen, vermögen wir es manchmal, uns voller Inbrunst Gott im Gebet zuzuwenden. So fanden und finden die heiligen Märtyrer und Bekenner Christi bis in die heutige Zeit hinein Trost in Verfolgung und Verbannung bis hin zu Folter und Tod. Sogar ein Mönch*), der Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts der Welt abschwor und ins Kloster eintrat, um Gott ungehindert dienen zu können, vermochte wegen der irdischen „Sorgen und Mühen“ (s. Lk. 10:41), die nun mal auch in einem Kloster unvermeidlich sind, letztlich wohl nicht die vollkommene Ruhe für die Seele zu finden (s. Mt. 11:29). Immerhin hatte er durch das geistliche Fundament, das ihm die Kirche dank Gebet und Fasten gab (s. Mk. 9:29), „sein Haus auf Fels gebaut“ (s. Mt. 7:24), so dass es dann, „als ein Wolkenbruch kam und die Wassermassen heranfluteten, als die Stürme tobten und an dem Haus rüttelten“ (Mt. 7:25) nicht „einstürzte“. Da fand er folgende Worte: „Mein Glück kennt keine Grenzen!“… Er hatte in der Drangsal das gefunden, was er im wohlbehüteten klösterlichen Leben in vielen Jahren nie erreichen konnte. Wahrlich, eine Tugend, die ohne Betrübnis einhergeht, ist keine Tugend – so die heiligen Väter. Ohne irdische Trübsal gibt es nämlich kein Heil (s. Apg. 14:22; vgl. Joh. 16:33)! Denn sobald der Mensch sich auf den Weg begibt, Gott innerlich zu dienen (s. Mt. 6:18), wird der Widersacher alle ihm zur Verfügung stehenden Hebel in Bewegung setzen, um ihn davon abzubringen (s. 2 Tim. 3:12). Doch äußerliche Wohltätigkeit (s. Mt. 6:1-2) und  zur Schau gestellte Frömmigkeit (s. Mt. 6:16) werden nicht den Widerstand des Feindes hervorrufen – im Gegenteil! Sie sind seine wirksamste Waffe, die gutherzigen Menschen, „wenn möglich, auch die Auserwählten“, vom Weg des Heils abzubringen (s. Mt. 24:24). Und selbstgerechtes „Gott im Herzen haben“ währt nur bis zum Ende der Schönwetterperiode; bei Leid und Not verleugnet man Gott sehr schnell. Das Bibelwort: „Es sprach der Tor in seinem Herzen: ´Es ist kein Gott`“ (Ps. 13:1) behauptet ja nicht, dass ungläubige Menschen dumm wären. Viele Atheisten sind intelligent. Das hebräische Wort nabal bezeichnet vielmehr moralisch verkommene Menschen, die ihre eigene Gerechtigkeit aufbauen und keine höhere Instanz anerkennen. Wenn sie einst die Macht dazu erlangen, werden sie somit jede nur erdenkliche Schandtat rechtfertigen können. Hüten wir uns also vor solch einer Selbstgerechtigkeit!

Denn vor allem versucht der Teufel in der gegenwärtigen Situation zu erreichen, dass möglichst viele von uns aufbegehren, sich verselbständigen und von Bord springen, um den Ozean als Freischwimmer im Alleingang zu überqueren. Von Gott gesandte leidvolle Prüfungen sind aber kein Fluch, sondern ein Segen, weil sie jetzt, da noch Zeit zur Umkehr ist, aufzeigen, was der Glaube des Einzelnen wert ist, damit man noch rechtzeitig ein Korrektiv einbringen kann. Denn: „Das Feuer wird prüfen, was das Werk eines jeden taugt“ (1 Kor. 3:13).

Umso höher auf der Skala asketisch-moralischer Vervollkommnung ist das freiwillige Erdulden von Leid um Christi willen einzuordnen. So ein Beispiel erkennen wir in der hl. Maria von Ägypten, die als reuige Sünderin 47 Jahre allein in der Wüste verbrachte, um ihre Verfehlungen zu beweinen. Wenn uns bestenfalls äußere Not zum Nachdenken über unsere Sündhaftigkeit veranlasst, so war es bei ihr die Sünde selbst. Ja, ihr wurde von der Gottesmutter vor der Grabeskirche in Jerusalem ein wahrnehmbares Zeichen zur Umkehr gegeben (wie so vielen von uns auch, nur ignorieren wir diese immerfort); aber als „Starthilfe“ zur Suche nach ungetrübter Gemeinschaft mit ihrem Schöpfer brauchte sie keine widrigen irdischen Umstände. Die Sündeneinsicht reichte ihr vollkommen. Und so wollen auch wir bemüht sein, durch das ernsthafte Erkennen und Bekennen unserer Sünden der Gnade Gottes hier auf Erden teilhaftig zu werden – und an NICHTS Anderes mehr denken. - Die hl. Maria empfing nur zwei Mal in ihrem Leben die Heiligen Mysterien Christi; das mag uns allen vielleicht ein Trost in diesen schwierigen Zeiten sein. Es kommt nämlich nicht darauf an, wie oft man die Heiligen Gaben empfängt, sondern darauf, dass man sie würdig empfängt. Bemühen wir uns darum, dann wird der Herr mit uns sein. „Fürchtet euch also nicht“ (Mt. 10:31).  Amen.    

*) Die Rede ist vom hl. Bekenner Hegumen Nikon (Beliaev, + 1931), dem letzten der Optina-Starzen, der hier exemplarisch für viele Tausend andere genannt wird.

Jahr:
2020
Orignalsprache:
Deutsch