Predigt zum zweiten Herrentag der Großen Fastenzeit / Gedächtnis des heiligen Gregorios Palamas (Hebr. 1:10-2:3; Hebr. 7:26-8:2; Mk. 2:1-12; Joh. 10:9-16) (15.03.2020)

Liebe Brüder und Schwestern,

nun haben wir schon das zweite Etappenziel der Fasten erreicht. Wir begleiten an diesem Tag unseren Herrn nach Kafarnaum, also in die Stadt, in der Er wohl neben Nazareth (s. Mt. 4:13; Lk. 4:16) am besten bekannt war, weil diese Stadt am Ufer des Sees in diesen dreieinhalb Jahren als Basislager für die Verkündigung des Evangeliums diente.

Der heute gelesene Abschnitt aus dem Evangelium drückt auf bezeichnende Weise allegorisch komprimiert die Sinnhaftigkeit des Fastens aus. Doch dazu kommen wir später. Zunächst der Reihe nach.

„(In jener Zeit), als Jesus nach Kafarnaum zurückkam, wurde bekannt, dass Er (wieder) zu Hause war. Und es versammelten sich so viele Menschen, dass nicht einmal vor der Tür Platz war; und Er verkündete Ihnen das Wort“ (Mk. 2:1-2).

Es ist wohl davon auszugehen, dass die große Mehrheit dieser Leute aus purer Neugier kam, um wieder ein neues Wunder des Herrn zu sehen. Es ist aber trotzdem niemals verkehrt, Menschen, die gar nicht um der geistlichen Erbauung willen gekommen waren, Gottes Wort zu predigen. So verkündigte z.B. der Apostel Paulus das Evangelium in Athen auf dem Markt, wo er alle ansprach, welche er dort antraf (s. Apg. 17:17). Darauf lud man ihn (aus purer Neugier) ein, die Lehre Christi vor dem Areopag vorzutragen (17:19-21). Gott lenkt die Schritte Seiner Diener, und Er handelt dabei nicht nach menschlicher Überlegung. So viele vormals ungläubige oder nur oberflächlich gläubige Menschen finden dadurch auch heute den Weg zum Glauben, obwohl sie ihn anfangs gar nicht gesucht hatten (vgl. Jes. 65:1; Röm. 10:20). Jede Verkündigung richtet sich doch in erster Linie an die, welche den Weg zum Glauben noch nicht gefunden haben – ob sie ihn bereits suchten oder nicht.

„Da brachte man einen Gelähmten zu Ihm, er wurde von vier Männern getragen. Weil sie ihn aber wegen der vielen Leute nicht bis Jesus bringen konnten, deckten sie dort, wo Jesus war, das Dach ab, schlugen (die Decke) durch und ließen den Gelähmten auf seiner Tragbahre durch die Öffnung hinab“ (Mk. 2:3-4).     

Wie sich doch die äußeren Begleitumstände von Fall zu Fall unterscheiden! Der Gelähmte am Teich Bethesda hatte keinen, der ihm half (s. Joh. 5:7), während dieser glückliche Mensch sich auf vier Freunde verlassen konnte, die nichts unversucht ließen, um ihm in der Not zu helfen. Im irdischen Sinne mag diese Ungleichheit ungerecht erscheinen, aber Gott erteilt in der unendlichen Tiefe Seiner Weisheit (s. Röm. 11:33) jedem aus Menschenliebe das Zuträgliche für dessen Heil, denn „unergründlich ist Seine Einsicht“ (Jes. 40:28). Und wenn die Menschen von sich aus nicht auf direktem Weg zu Gott, dem einzigen wahren Glück, finden wollen, muss Gott für jeden von ihnen einen „Plan B“ schmieden, damit sie wenigstens auf Umwegen zum ewigen Heil gelangen. Wären die Herzen der Menschen rein, würde Gott ihnen wohl viel mehr irdisches Wohlergehen bescheren, damit sie aus Erkenntlichkeit für diese großzügigen Gaben Gott preisen. So aber bleibt Gott nichts anderes übrig als uns, Sein Volk, durch Schmerz und Leid zur Besinnung zu rufen (s. Ps. 80:9-15). 

„Als Jesus ihren Glauben sah, sagte Er zu dem Gelähmten: ´Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!` Einige Schriftgelehrte aber, die dort saßen, dachten im stillen: ´Wie kann dieser Mensch so reden? Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben außer dem einen Gott?“ (Mk. 2:5-7).

Welch eine boshafte Grundhaltung dahintersteckt! Die Schriftgelehrten schließen aus der Tatsache, dass unser Herr dem Kranken „nur“ die Sünden vergibt, dass Er in dieser Situation nichts weiter für ihn tun kann und deshalb also vermeintlichen Sündenerlass als kümmerliches Trostpflästerchen anbietet. Aber egal, was Christus auch tut, - mag Er ein noch so großes Wunder vollbringen - sie werden ganz gewiss immer noch ein Haar in der Suppe finden (vgl. Mt. 12:24; Mk. 3:22; Lk. 11:15). Damit nicht genug, wird diese krankhafte Voreingenommenheit noch dazu mit heuchlerischer Bigotterie vermischt, denn man sieht sich hier in der Rolle der Bewahrer genuiner Gottesfürchtigkeit. 

„Jesus erkannte sofort, was sie dachten, und sagte zu ihnen: ´Was für Gedanken habt ihr im Herzen? Ist es leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Deine Sünden sind dir vergeben!, oder zu sagen: Steh auf, nimm deine Tragbahre, und geh umher?“ (Mk. 2:8-9). 

Der Herr stellt die Verstocktheit des Herzens der Schriftgelehrten nicht vor dem Volke bloß, da diese Ihn bloß im stillen angeklagt hatten. Doch Er gibt ihnen im Klartext zu verstehen, dass Er ihre Gedanken kennt. Sie zweifelten ja an Seiner Wunderkraft und an Seiner Vollmacht, die Sünden zu vergeben – jetzt sollen sie erkennen, dass Er mit Leichtigkeit beides vermag: das vermeintlich Leichte, weil nicht Beweisbare, und das vermeintlich Schwere, weil zu Beweisende. Und so rückt der Herr diese auf den Kopf gestellte Denkweise wieder zurecht. 

„Ihr sollt aber erkennen, dass der Menschensohn die Vollmacht hat, hier auf der Erde Sünden zu vergeben`. Und Er sagte zu dem Gelähmten: ´Ich sage zu dir: Steh auf, nimm deine Tragbahre, und geh nach Hause!`“ (Mk. 2:10-11).

Die göttliche Wahrheit ist eine andere als die menschliche. Für den irdisch gesinnten Menschen mag die körperliche Gesundheit das höchste Gut zu sein, für Gott zählt aber das, was ewig Bestand hat – das Seelenheil. Gottes Willen entspricht nämlich einzig und allein das, was der Errettung der Seele dient (s. Joh. 6:39). Und so wird durch die (sichtbare) körperliche Heilung erkennbar, dass Jesus Christus als Sohn Gottes befugt ist, uns allen auch die (unsichtbare) seelische Heilung zu schenken. Der Herr ruft den Schriftgelehrten gleichsam zu: „Ihr selbst habt ja eingangs das Sichtbare höher eingestuft als das Unsichtbare; wenn Ich also beweise, dass Ich das in euren Augen „Größere“ vermag, müsst ihr Mir folgerichtig zugestehen, dass ich auch das „Geringere“ zu tun imstande bin. Das ist doch logisch, selbst nach euren Spielregeln, oder?“ Und dann liefert unser Herr den fälligen Beweis:

„Der Mann stand sofort auf, nahm seine Tragbahre und ging vor aller Augen  weg. Da gerieten alle außer sich; sie priesen Gott und sagten: ´So etwas haben wir noch nie gesehen`“ (Mk. 2:12).

Auf Worte folgen Taten. Die Menschen kommen aus dem Staunen nicht heraus. Aber nicht darum geht es dem Herrn. Wie bei der Heilung des Gelähmten am Teich Bethesda, dem der Herr explizit befahl, am Sabbat seine Bahre zu nehmen und zu gehen (s. Joh. 5:8,11), geht es dem Herrn nicht um Effekthascherei, sondern um den Beweis Seiner göttlichen Vollmacht (vgl. Mt. 12:8; Mk. 2:28; Lk. 6:5), denn ohne diese Klarheit kann Sein Erlösungswerk nicht gelingen. Es geht Ihm also nicht um Seine (irdische) Person, sondern einzig darum, den Willen Dessen zu erfüllen, Der Ihn gesandt hat (s. Joh. 5:30; vgl. 4:34). Diese Ergebenheit ist der Prototyp dessen, was wir in der Orthodoxie heiligen Gehorsam nennen. Und damit wären wir, wie angekündigt, bei dem, was die heilbringende Fastenzeit in Verbindung mit der heutigen Erzählung aus dem Markusevangelium betrifft. Folgende Schlüsse ziehen wir nämlich aus dem Vernommenen für unsere gemeinsame Vorbereitung auf das Fest der Feste: 

1) Christus will, dass wir uns beherzt im Glauben an Ihn wenden, damit Er unsere seelischen Gebrechen (sündhafte Leidenschaften) heilen kann. Heilung ist aber nur möglich, wenn die Krankheit auch erkannt wird und der Arzt (s. Mt. 9:12; Mk. 2:17; Lk. 5:31) zu Rate gezogen wird. Ohne dieses Selbsteingeständnis und ohne die sich daraus unverzüglich ergebende Entschlossenheit zur Therapie nach Anweisung des Arztes ist der Glaube aber völlig fruchtlos (vgl. Mt. 3:8-9; 7:19; 12:34; Lk. 3:8-9).

2) Nichts darf uns von unserer Hinwendung zu Christus abhalten. Für irdische Güter scheuen wir keine Mittel und Wege, lassen uns durch nichts aber auch gar nicht abbringen, nur um das Ersehnte zu erlangen; im geistlichen Leben, in dem uns gewiss zahlreiche sichtbare und noch viel mehr unsichtbare Widersacher entgegenwirken, lassen wir uns jedoch schnell entmutigen. Deshalb kommt Verzweiflung einer Kapitulation auf dem mühevollen und gefährlichen Weg ins Himmelreich gleich. Aus diesem Grunde wird uns als Arznei das Gebet des heiligen Ephraim des Syrers auf den Weg gegeben. Christus wird immer helfen, wenn wir auf Ihn vertrauen und auf dem von Ihm vorgeschriebenen Weg (s. Lesung vom nächsten Fastensonntag – Mk. 8:34 - 9:1) voranschreiten. 

3) Für unsere Errettung brauchen wir aber auch einander – das Fasten begann ja mit dem Ritus der Vergebung! Wenn wir nun die kirchliche Einheit in allen Bereichen (Familie, Gemeinde, Weltkirche) nach dem Willen des Herrn und mit Gottes Hilfe manifestieren (s. Joh. 17:11,21-22), können wir guter Hoffnung sein, dass wir uns alle miteinander auf dem Weg des Heils befinden. Amen.

Jahr:
2020
Orignalsprache:
Deutsch