Predigt zum Hochfest der Kreuzerhöhung (1. Kor. 1: 18-24; Joh. 19: 6-11, 13-20, 25-28, 30-35) (27.09.2018)

Liebe Brüder und Schwestern,

am Herrentag vor Kreuzerhöhung hörten wir folgenden Leitsatz des Evangeliums: "(...) Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass Er Seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an Ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat" (Joh. 3:16). Wenn es einen Satz gibt, in dem das ganze Evangelium zusammengefasst werden kann, dann wohl in diesem. Er drückt wahrscheinlich am deutlichsten die Frohe Botschaft von der Errettung der Welt aus. Doch aus diesem Kernsatz der Heilsbotschaft geht auch hervor, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen der Liebe Gottes und dem Heil der Menschen gibt. Gott entsandte Seinen Sohn in die Welt, damit die Menschen durch den Glauben an Ihn gerettet werden. Für mich steht damit fest: a) es gibt kein Heil ohne Jesus Christus und b) der Glaube an Ihn muss ein lebendiger, von der Liebe Gottes inspirierter und durch die Liebe zu Gott bestimmter sein, denn bloß an die Existenz des einen Gottes glauben auch die Dämonen (s. Jak.2:19).

Was muss ich also tun, dass meine metaphysische Überzeugung zu einem lebendigen Glauben wird? Ein praktizierender Christ werden? Aber von der Sorte gibt es auch genug, die zwar alle äußerlichen Vorschriften und Gebräuche penibelst einhalten, aber durch ihre sonstige Handlungsweise Gottes Namen eher schmähen (s. Röm. 2:24; vgl. Jes. 52:5). Mein Vorschlag an alle orthodoxen Christen, die zwar ein wenig rituell bewandert sind, aber mit dem unermesslichen geistigen Reichtum der Kirche nicht wirklich etwas anzufangen wissen: Lasst uns doch den objektiven liturgischen Symbolismus in einen subjektiven spirituellen Realismus umwandeln! Ganz konkret heute zum Fest des Kreuzes des Herrn, des Zeichens unserer Errettung! Symbolisch-liturgisch liegt eine mit Blumen beschmückte Darstellung des ans Kreuz genagelten Herrn heute auf dem Analogion inmitten der Kirche; in der geistlichen Realität ist es aber der Herr Selbst, Der Sein Leben für uns hingibt. Mein Glauben sagt: Er und Sein Kreuz sind hier, und wir fallen heute vor Ihm nieder - symbolisch und real. Nichts anderes bezweckt der Symbolismus in seiner reinen, ursprünglichen Form. Eine sportliche Trophäe ist zugleich Symbol und reales Zeugnis eines glänzenden Triumphes; ein Diplom ist ein Stück Papier, das ganz real eine erbrachte schulische oder wissenschaftliche Leistung beurkundet; ein Personaldokument drückt auf symbolische Weise die reale Identität eines existierenden Menschen aus usw. Und wenn wir uns nun im Geiste unseren Herrn Jesus Christus als Gekreuzigten vergegenwärtigen, wie Er blutend, von zahlreichen Wunden und Blutergüssen übersät, den mit einem Dornenkranz besetzten Kopf zur Brust geneigt leblos am Holze hängt - hier, mitten unter uns, in unserer Kirche, von Freunden verlassen und von Feinden verspottet, - wie können wir dann noch an unsere nichtigen Zwistigkeiten denken, an Politik, Börsenkurse oder Sportergebnisse?! - Wenn jedoch der Symbolismus für uns keine reale Dimension besitzt, sondern nur ein folkloristisches Begleitelement für unsere nationale Kultur ist, dann bin ich beim Gedanken schon bei der abendlichen Fernsehsendung oder dem verabredeten Live-Chat, während ich dem Leibe nach noch das vergoldete Kreuz in der Kirche verehre.

Der Apostel und Evangelist Johannes bezeugt, dass dieses innere Auseinanderdriften von Herz, Wille und Verstand eine groteske Diskrepanz im Seelenleben zur Folge hat. Wie lasen wir noch Mal am Herrentag vor Kreuzerhöhung?  - Gott hat den Menschen so sehr geliebt, dass Er Seinen einziggezeugten Sohn hingab, damit die Menschen durch den Glauben an Ihn gerettet werden! Und derselbe Apostel fährt fort: "Wir wollen lieben, weil Er uns zuerst geliebt hat. Wenn jemand sagt: ´Ich liebe Gott`, aber seinen Bruder hasst, ist er ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, Den er nicht sieht. Und dieses Gebot haben wir von Ihm: Wer Gott liebt, soll auch seinen Bruder lieben" (1 Joh. 4:19-21).

Wäre es da nicht ratsam, alles daran zu setzen, in der Reinheit des Herzens Gott zu "sehen" (s. Mt. 5:8) - mit den leiblichen Augen eine kunstvolle Darstellung der Kreuzigung erblicken, mit dem geistlichen Auge jedoch tatsächlich den Herrn, unseren Gott erheben und sich vor dem heiligen Schemel Seiner Füße niederwerfen (s. Ps. 98:5)?!.. Während des Gottesdienstes in der Kirche ist es zumindest viel leichter, als ohne diese empirischen Hilfsmittel. Ähnlich fühlen wir doch alle, wenn wir im sonntäglichen Morgenamt miteinander singen: "Christi Auferstehung haben wir geschaut...", d.h. wir sind mit den geistlichen Augen in der realen Gemeinschaft mit Christus; sind durch die Taufe aus Wasser und Geist sowie durch die Teilnahme am Mysterium Seines Leibes und Seines Blutes zu Teilhabern und Zeugen Seiner Auferstehung geworden. Oder empfinden Sie etwas anderes, wenn der Priester als Symbol für den aus dem Grabe Auferstandenen das Evangeliar in der Königspforte hochhält?..

DAS bedeutet GLAUBEN für mich. Auch wenn ich ein großer Sünder bin und es für immer bleibe, soll der Glauben mein Handeln bestimmen, anstatt dass die äußeren Lebensumstände, der Mainstream, meine sündhaften Neigungen oder bloß meine sture Eigenwilligkeit dem Glauben an Gott vorgeben, wie er zu sein hat. Durch letzteren "Glaubensentwurf" kann man dann auch von sich meinen, Gott zu "lieben" und gleichzeitig seinen Bruder hassen.

Groß ist dann die Versuchung, statt gegen die Sünde anzukämpfen, sich von ihr überwinden zu lassen und sie gewissermaßen zu legalisieren. So verliert das Salz der Erde seinen Geschmack und taugt nur noch dazu, weggeworfen und von den Leuten zertreten zu werden (s. Mt. 5:13; vgl. Mk. 9:50; Lk. 14:34). Wollen wir uns denn entbehrlich oder überflüssig machen? Wohl kaum. Amen.

Jahr:
2019
Orignalsprache:
Deutsch