Predigt zum 35. Herrentag nach Pfingsten (Kol. 3:12-18; Lk. 18:18-27) (27.01.2019)

Liebe Brüder und Schwestern,

wieder einmal beschäftigt uns die Frage nach dem ewigen Leben (s. Lk. 18:18). Bei früheren Gelegenheiten behandelten wir den Hinweis auf die Einhaltung der Gebote des Herrn (s. 18:20) quasi nur als Vorgeplänkel, das der Herr lediglich dazu verwendet, um den Fragesteller zur Erkenntnis jener substanziellen inhaltlichen Tragweite seiner Frage zu führen, die sich in der vollkommenen Hingabe zu Gott manifestiert (s. 18:22). Solch eine simplifizierte Sichtweise wird den biblischen Geboten, dem Gesetz Gottes jedoch keinesfalls gerecht, stehen sie doch für die Treue des Menschen zum Herrn und den Weg des Heils.

Wenn aber der zur Oberschicht gehörende Mann von sich behauptet, alle Gebote von Jugend an befolgt zu haben (s. 18:21), ist das allein schon ein Indiz dafür, dass mit ihm etwas nicht stimmen kann. Christus ist in die Welt gekommen, um die Gerechtigkeit Gottes ganz zu erfüllen (s. Mt. 3:15; vgl. 5:17); der Menschensohn allein ist gerecht vor Gott. Wenn sonst einer behauptet, er erfülle das Gesetz Gottes, unterliegt er der diabolischen Selbsttäuschung (vgl. Röm. 2:17-24). Denn könnte einer allein gerecht werden, bräuchte er keinen Erretter. Dann sähe er in Christus nicht den Erlöser oder Gesetzgeber, sondern bloß einen „guten Meister“, d.h. einen gewöhnlichen Wanderprediger (s. 18:19).

Die vom Herrn aufgezählten Gebote haben ja ihre Gültigkeit bis dato behalten: „Du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch aussagen; ehre deinen Vater und deine Mutter!“ (18:20). Das Vorgespräch mit einem der führenden Männer ist mit Hinblick auf das Wesentliche gewiss zielführend, denn hier geht es nicht um Kinkerlitzchen, sondern um das, was jedem Gottesfürchtigen auf Erden heilig sein muss, noch ehe er sich himmlischen Dingen zuwendet. Wie kann ich denn Gott ehren, wenn ich die von Ihm gesegnete Ehe (s. Gen. 1:28; 2:24) nicht heilige, das Leben der in Seinem Ebenbild (s. Gen. 1:27) Geschaffenen zerstöre, fremdes Eigentum nicht respektiere (s. 1 Kor. 6:10), mich durch Lügen und Verleumdungen zum willfährigen Erfüllungsgehilfen des Satans mache (s. Joh. 8:44; vgl. 1 Tim. 1:10)?!.. Doch über allem steht bei Gläubigen die Achtung vor den Eltern. Wenn man dieses Gebot von Jugend  an beherzigt, wird man sich dank der guten Unterweisung und des persönlichen Beispiels auch in allen anderen Dingen nach dem Willen Gottes ausrichten. Denn eines ist klar, und zwar ausnahmslos: wer seine  Eltern nicht ehrt, der kann auch Gott nicht achten!

Trotzdem gibt es Menschen, die rein äußerlich gewisse Wertestandards erfüllen, vor Gott aber zu Übertretern des Gesetzes werden. Die Pharisäer und Schriftgelehrten zu Zeiten des Herrn  (er)fanden immer wieder Schlupflöcher für die Umgehung der Fürsorge für die Eltern und meinten dabei sogar noch, gerecht vor Gott dazustehen (s. Mk. 7:10-13)! Sie tauschten dadurch Gottes Gebot gegen ihre eigene Überlieferung ein (s. 7:8-9). Einen schlechteren Deal kann man gar nicht machen – und dennoch gibt es da einen, der die Menschen immer wieder dazu anstiftet, Gottes Gebote durch menschliches Denken und Tun zu ersetzen. Er macht sich dabei jedesmal menschliche Schwäche zunutze: Habsucht, Eitelkeit, Geltungsdrang, Eifersucht, Hochmut, Ressentiments usw. Und wenn wir das in unserer Mitte zulassen entfernen wir uns von Gott und werden zu Handlangern des Widersachers. Jeder von uns trägt seinen Teil der Verantwortung für den Aufbau des Leibes Christi, die Kirche, und ergänzt „in seinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt“ (Kol. 1:24b). „Ergänzen“ können wir folglich nur unsere Bereitschaft, zur Erbauung und zum Heil der übrigen Glieder am Leib Christi notfalls zu leiden (s. 1:24a), mindestens aber durch ein Leben im Geiste zu Teilhabern der Herrlichkeit Christi zu werden. Eine konkrete Anleitung dazu finden wir in der inspirierenden Epistellesung des heutigen Tages: „Ihr seid von Gott geliebt, seid Seine auserwählten Heiligen. Darum bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld! Ertragt euch gegenseitig, und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht. In eurem Herzen herrsche der Friede Christi; dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes. Seid dankbar! Das Wort Christi wohne in seinem ganzen Reichtum bei euch. Belehrt und ermahnt einander in aller Weisheit! Singt Gott in eurem Herzen Psalmen, Hymnen und Lieder, wie sie der Geist eingibt, denn ihr seid in Gottes Gnade“ (Kol. 3:12-16). Diese Worte der Heiligen Schrift scheinen mit kaum zu überbietender Deutlichkeit die im wahrsten Sinne des Wortes selbst-gerechte Haltung aus der heutigen Evangliumslesung ad absurdum zu führen. Schon aus der Fragestellung des Mannes wird nämlich deutlich, dass er nach einem Weg sucht, das ewige Leben selbst, also ohne die aufopferungsvolle Einbeziehung der Mitmenschen, für sich zu gewinnen. Nicht stehlen, nicht töten und nicht lügen – ja; aber dabei auch noch die Schwäche seiner Mitmenschen ertragen (s. Gal. 6:2), sein eigenes Seelenheil mit dem anderer, dazu noch „wildfremder“ Menschen zu verknüpfen (s. Kol. 3:11), - das übersteigt die Vorstellungskraft derer, die in der selbstverständlichen Treue zum Ehepartner und den Eltern  bereits die Erfüllung des Gesetzes sehen. Christus erwartet mehr von uns: „Er hat uns fähig gemacht, Diener Seines Neuen Bundes zu sein, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“ (2 Kor. 3:6). Das Leben in Gottes Gnade ist das, was einem nach Gerechtigkeit Strebenden noch fehlt, um wirklich die Nachfolge Christi antreten zu können (s. Lk. 18:22). Amen.

Jahr:
2019
Orignalsprache:
Deutsch