Predigt am Schlußtage der heiligen Ostern (Apg 18, 22-28. Joh 12, 36-47)

Predigt am Schlußtage der heiligen Ostern

„Ich bin nicht gekommen, daß Ich die Welt richte, sondern daß Ich die Welt selig mache“ (Joh. 12, 47).

Der Schlußtag der Ostern ist das Ende der Osterfeier. Vierzig Tage hat diese Feier gedauert. Vierzig Tage hörten wir in der Kirche die Osterhymnen. Sämtliche Gottesdienste am Tage und am Abend begannen und schlossen mit dem dreimaligen Gesang des Troparions: „Christus ist auferstanden.“

Freudig wurden wir im Geist durch den Gesang der Sticheren, der Troparien und Hirmen des Osterkanons beim Gottesdienst erhoben. Selbst in den Ritualen der Panichdden und des Totenamtes finden Ostergesänge ihren Platz. Der auferstandene Christus ist gewissermaßen überall mit uns und erinnert uns an Sich in der Struktur und im Ritus der Gottesdienste und sakralen Handlungen. Das ist jetzt vorüber. Mit dem Gefühl einer besonderen Wehmut beschließen wir heute das Osterfest — wir müssen von Ostern Abschied nehmen.

Gott gebe, daß wir die lichten Tage der heiligen Ostern im nächsten Jahr erleben können. Heute grüßen wir einander zum letztenmal mit dem heiligen Gruß: „Christus ist auferstanden.“

Es erhebt sich die Frage, wo Christus in diesen vierzig Tagen von der Auf-erstehung bis Himmelfahrt weilte und was Er in dieser Zeit für unser Heil wirkte.

Nach Seiner Auferstehung von den Toten hat Er schon nicht mehr wie früher mit Seinem Leibe auf der Erde geweilt. Als er zum erstenmal nach Seiner Auferstehung der Maria Magdalena erschien, sprach Er zu ihr: „Rühre Mich nicht an! Denn Ich bin noch nicht aufgefahren zu Meinem Vater. Gehe aber hin zu Meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu Meinem Vater und zu eurem Vater, zu Meinem Gott und zu eurem Gott“ (Joh. 20, 17). Wie wir sehen, ist Christus nicht sofort endgültig zu Seinem Himmlischen Vater auf gefahren und hat die Erde noch nicht völlig verlassen. Wir wissen aus den Evangelien, daß Er über zehnmal seinen Jüngern und dem Volk in diesen vierzig Tagen erschienen ist. Wenn Er auch im Leibe (mit dem Leib) erschien, so doch in einem verklärten, geistähnlichen, leichten und leuchtenden Leib. In diesem Leib konnte Christus „durch verschlossene Türen“ hindurchgehen, plötzlich erscheinen (unter den Aposteln) und auch plötzlich verschwinden. Er konnte unerkennbar bleiben (als er Maria Magdalena, dem Lukas und Kleopas erschien) und konnte sogar Speise zu sich nehmen (Luk. 24, 43). Mit gleicher Leichtigkeit konnte Er in diesem Leibe im Himmel und auf der Erde weilen, mit dem Himmlischen Vater in Himmel und mit den Men¬schen auf der Erde.

Weshalb ist Christus nicht sofort gen Himmel gefahren und in den vierzig Tagen nach der Auferstehung noch Seinen Jüngern erschienen?

Die Erscheinungen Christi auf Erden waren zur Vollendung Seines Er-lösungswerkes nötig, um den Aposteln die Geheimnisse des Reiches Gottes zu eröffnen (Apg I, 3): das Geheimnis Seines Kommens in die Welt, das Ge¬heimnis Seiner Leiden und das Geheimnis der Sendung des Trösters — des Heiligen Geistes. Es galt die Apostel im Glauben an Ihn, als den Sohn Gottes und den Erlöser der Welt zu stärken, in ihnen die echte, aufopfernde Liebe zu Gott zu entzünden, unter ihnen Frieden zu stiften und sie zu ihrer bevor¬stehenden Mission — der Verkündung des Evangeliums vom Reiche Gottes, zu kräftigen.

Wie hat der Herr dies alles verrichtet?

Schon als Eh auf) Erden lebte, hat der Herr oftmals den Aposteln gesagt, daß Er leiden, sterben und auferstehen müsse (Matth. 16. 21), um dadurch die Menschen, zu erlösen sowie von der Knechtschaft der Sünde und des Todes zu befreien.

Die Apostel waren aber eher geneigt, Ihn als einen irdischen Herrscher gläubig zu akzeptieren, als in Ihm einen Herrscher im Himmel zu verehren. Sie ersehnten eher eine irdische staatliche Neuordnung als eine geistliche und religiös-kirchliche. Ihnen schien es für Christus, den großen Wunder¬täter und Friedensstifter, unmöglich, Sein irdisches Leben so rühmlos (am Kreuz) zu beschließen. Und plötzlich war das Unwahrscheinliche Tatsache geworden: Man hatte Ihn ergriffen, geschmäht und wie einen Räuber ge¬kreuzigt. Das Kreuz auf Golgatha raubte ihnen die letzte Hoffnung. Die Apostel liefen in Furcht, Verwirrung und Kleingläubigkeit auseinander (Matth. 26, 56). Ihnen erschien mit dem Tode Christi alles tot, alles zu Ende, alles verloren.

Plötzlich melden ihnen die myrrhetragenden Frauen, Christus sei aufer¬standen. Sie glauben und glauben auch nicht dieser Nachricht. Als Er ihnen erscheint und sie Ihn sehen, erkennen sie Ihn nicht und halten Ihn für ein Gespenst, eine optische Täuschung, einen Geist und nicht für Christus, ihren Herrn und Meister. Als Er bei Seinen Erscheinungen zu ihnen sprach, ihnen seine Wundmale zeigte, mit ihnen aß und bei ihrem Fischfang half (Luk. 24, 41—43), wurden ihr Unglaube und ihre Kleinmütigkeit erschüttert, und diese gingen allmählich in Glaube und völliges Erkennen über (Joh. 21, 12). Ein deutliches Beispiel des anfänglichen Unglaubens und des aufflammenden rückhaltlosen Glaubens an Christus bietet der Apostel Thomas. Bis zum heutigen Tage wirkt auf uns Sein Ausruf erschütternd: „Mein Herr und Mein Gott“ (Joh. 20, 28). Er beendete den Unglauben des Thomas, er wurde gläubig mit seinem ganzen Wesen an „Seinen“ Gott, Der für ihn ein unver¬äußerlicher zentraler Teil seiner selbst geworden war. So festigte sich bei den Aposteln der Glaube an Christus, den auferstandenen Sohn Gottes und Erlöser der Welt. Der Auferstandene berief sie gewissermaßen zum zweiten¬mal zum apostolischen Beruf und Dienst.

Beim ersten Ruf verließen sie ihre Boote und Netze, gaben ihren Fischer¬beruf auf, verließen auch ihre Familien und folgten Ihm nach. Jetzt beim wiederholten Ruf ließen sie ihre Furcht, ihren Kleinglauben, ihre Unverständ¬nis für die Geheimnisse Gottes und die Erlösermission ihres Meisters hinter sich. Und dies alles verlassend, folgten sie Ihm rückhaltlos, um bis zum Ende ihrer Tage Ihm zu dienen.

WTir sehen, wie zusammen mit dem Glauben an ihren göttlichen Lehrer sich im Herzen der Apostel die Liebe zu Ihm belebte. Doch diese Liebe bedurfte der Festigung, der Erhöhung und Vergeistigung. Die Apostel mußten zur Einsicht geführt werden, daß die Liebe notwendig und lebensspendend ist. Ihre Liebe entstand anfänglich aus Ehrfurcht vor Ihm, vor der wunder¬wirkenden Macht Seiner Göttlichkeit, vor Seiner Liebe und Seiner Barm¬herzigkeit den Menschen gegenüber.

Diese Liebe der Apostel jedoch hatte nicht ausgereicht, um vor der Prüfung zu bestehen und die Apostel beim Sterben Christi furchtlos und gläubig ausharren zu lassen. Sie mußten erst die Grenzenlosigkeit der Opferliebe Christi zu den Menschen verstehen und erfühlen, und ihr eigenes Herz mußte sie mit flammender Gegenliebe erwidern — Ihm gegenüber, nicht nur als ihrem Lehrer und Wundertäter, sondern auch als dem Sohn Gottes und dem Erlöser der Welt. Sie mußten Christus liebgewinnen, Der für die Sünden der Menschen litt — den gekreuzigten Christus — und zugleich mit Ihm auch diejenigen, für die Er am Kreuz gelitten hat und gestorben ist.

Zu einer solchen Liebe hat der auferstandene Christus die Apostel am Ufer dqs( Sees Tiberias berufen, als Er nach dem wunderbaren Fischfang den Apostel Petrus dreimal fragte: „Hast du mich lieb?“ und ihn nach dessen Bekenntnis dreimal dazu berief, Seine Schafe zu weiden. Die dreifache Wie¬derholung der Aufforderung, Christus liebzuhaben und Seine Herde zu weiden, bedeutete, daß man mit der Liebe zu Gott zugleich auch diejenigen lieben soll, derentwegen und um derentwillen Er Sich auf Golgatha ge-

opfert hatte. In dieser zweifachen Liebe besteht nach der Lehre Christi das ganze Wesen des Christentums, das uns dazu auffordert, uns selbst zu ver¬leugnen, zu vergessen und uns für uns selbst zu verlieren, um uns selbst in Gott und den Menschen zu finden. Eine solche Liebe entdeckte in sich der Apostel Petrus, als er dreimal Christus antwortete: „Herr, Du weißt alle Dinge, Du weißt, daß ich Dich liebhabe“ (Joh. 21, 17).

Nach ihrer Stärkung im Glauben und in der Liebe zu Christus und den Menschen wurden die Apostel von Ihm auch im Frieden und der Einheit mit dem himmlischen Vater, miteinander und mit allen Gläubigen in Christo gefestigt. Vor Seiner Passion sagte der Herr zu den Aposteln: „Meinen Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“ (Joh. 14, 27). Nach Seiner Auferstehung erschien Er Ihnen und grüßte sie mit dem Friedens¬gruß, den Er ihnen bei mehreren Gelegenheiten entbot (Luk. 24, 36. Joh. 20, 21).

Der Friede kehrt in die Seele des Menschen ein, wenn er seinen Mitmen¬schen verzeiht, immer nach Versöhnung mit Gott und den Menschen trachtet und vor der Erlangung dieser Versöhnung und des Friedens keine Ruhe findet. Der gottesfürchtige Mensch tut alles zur Erlangung des ersehnten Friedens: Er bereut vor Gott in seinem Gewissen, er bittet seine Mitmen¬schen um Vergebung, er beichtet dem Priester und empfängt die heilige Kommunion. Der auferstandene Christus hat auf Versöhnung und Frieden unter den Menschen besonderes Gewicht gelegt. Er schenkte den Aposteln (und in deren Nachfolge auch den Priestern) ein besonderes Recht und ein besonderes Charisma bei der Stiftung des Sakraments der Beichte mit der Absolution der Sünder. Bei einer Seiner Erscheinungen blies Er sie an und spricht zu ihnen: „Nehmet hin den Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünde erlasset, dem sind sie erlassen und welchem ihr sie behaltet, denen sind sie behalten“ (Joh. 20, 23). Wie nötig ist doch, Brüder und Schwestern, daß wir die Bedeutung des Friedens unter uns für unser Heil begreifen! In Ehr¬furcht sollten wir die Worte: „Friede sei mit euch“ in uns auf nehmen, wenn win sie immer wieder beim Gottesdienst aus dem Munde des Priesters hören. So oft als möglich sollten wir beichten und kommunizieren, um den heilbringenden gesegneten Frieden mit Gott und den Menschen wiederher-zustellen.

Christus ist in die Welt gekommen, um die Welt durch Sein Erlösungs¬opfer zu retten. Zur Verkündigung der frohen Botschaft von dieser auf¬opfernden Liebe Christi wurden die Apostel vom Ihm nach Seiner Auf¬erstehung berufen. Nach ihrer Stärkung im Glauben, in der Liebe und im Frieden sendet sie Christus aus zur öffentlichen Verkündigung: „Gleichwie Mich der Vater gesandt hat, sende Ich euch“ (Joh. 20, 21). Vor Seiner Him¬melfahrt befiehlt Er den Jüngern: Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur.“ Außer dem Auftrag der Predigt befahl Er ihnen auch zu taufen und alle Völker der Erde in christlichem Geist zu erziehen: „Gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe“ (Matth. 28, 19—20).

Damit die Apostel sich bei ihrer Mission nicht vereinsamt fühlen sollten, versprach Er ihnen, sie nicht zu verlassen: „Siehe, Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Matth. 28, 20). Um sie aber zu stärken, zu belehren, zu erleuchten sowie um sie mit unüberwindlichem Mut und mit Kraft zu begaben, versprach Er ihnen, den Tröster zu senden mit dem Be¬fehl: „daß sie nicht von Jerusalem wichen, sondern warteten auf die Ver¬heißung des Vaters“ (Apg. 1, 4—5). „Ihr werdet die Kraft des Heiligen

Geistes empfangen, welcher auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein zu Jerusalem ... und bis an das Ende der Erde“ (Apg. 1, 8). Dies alles hat sich zu Pfingsten erfüllt.

Brüder und Schwestern! Am heutigen letzten Tag der heiligen Ostern müssen alle die genannten Gebote Christi über den Glauben, die Liebe, den Frieden und die Gnadenmittel unserem Herzen besonders nahesein und in uns Leben schaffen. Das Fest der Ostern ist vergangen, doch die Gebote Christi bleiben für uns von wesentlicher Bedeutung. Ohne ihre Erfüllung gibt es für uns kein Leben. Sie allein bringen unserer Seele Leben und in ihrer Bobachtung liegt der Sinn unseres Lebens.

Laßt uns mit der ganzen Kraft unserer Seele an den Herrn glauben, sowie ihp und unsere Nächsten von ganzem Herzen lieben. Laßt uns mit allen Mitteln ständig den Frieden mit den Menschen und dem Herrn wahren und sooft als möglich der Gnade Christi in den Sakramenten der Beichte und der heiligen Eucharistie teilhaftig werden.

Dazu hilf uns, o Herr! Amen.

Erzpriester A. Wetelew,

Professor an der Moskauer Geistlichen Akademie

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Jahr:
1966