Des heiligen Antonius des Großen Weisungen über die menschlichen Sitten und den guten Lebenswandel

übersetzt von Stefan v. Wachter

1. Die Menschen werden mißbräuchlich (irrtümlich) vernünftig genannt: Nicht sind diejenigen vernünftig, die die Worte und die Bücher der alten Weisen auswendig lernen, sondern diejenigen, die eine vernünftige Seele haben und unterscheiden können, was das Gute und welches das Schlechte ist, – und die das Schlechte und Seelenverderbliche fliehen, das Gute und Seelennützliche eifrig mit Bemühung festhalten, – und die dieses mit viel Dankbarkeit zu Gott tun. Solche allein verdienen in Wahrheit vernünftige Menschen genannt zu werden.

2. Der in Wahrheit vernünftige Mensch hat einen Eifer, nämlich zu gehorchen und zu gefallen dem Gott des Alls, und zu diesem und einzigen seine Seele zu erziehen, daß sie Gott wohlgefällig sei, dankend Ihm für Seine gute Fürsorge und Verwaltung des Alls, in welchem Schicksal er sich auch immer befinde. Es ist nämlich ungehörig, den Ärzten, die uns bittere und uns nicht angenehme Heilmittel darreichen, für die Heilung des Körpers zu danken, zu Gott aber für das uns beschwerlich Erscheinende undankbar zu sein, und nicht zu erkennen, daß alles notwendig zu unserem Nutzen gemäß Seiner Vorsehung geschieht; die Kenntnis nämlich und der Glaube zu Gott ist Heil und Vollkommenheit der Seele.

3. Die Enthaltsamkeit, das Ertragen der Übel, die Besonnenheit, die Standhaftigkeit, die Geduld und die diesen ähnlichen Tugenden haben wir von Gott als überaus große und treffliche Kräfte empfangen, als Gegenkräfte und Gegensätze und Hilfen gegenüber den Hindernissen, die uns begegnen. Wenn wir solche Kräfte üben und in Händen haben, vermuten wir, daß uns nichts Schweres mehr schmerzlich oder unerträglich wird. Denn alles dies wird von den Tugenden in uns besiegt. Dieses erwägen die in der Seele Unvernünftigen nicht. Sie anerkennen nämlich nicht, daß alles gut und notwendig zu unserem Nutzen geschieht, damit die Tugenden aufleuchten, und wir gekrönt werden von Gott.

4. Wenn wir den Besitz von Sachen und den Reichtum für eine nur kurzweilige Vorspiegelung halten und erkennen, daß der tugendhafte und Gott wohlgefällige Lebenswandel den Reichtum übertrifft, wenn wir dieses fest anstreben und im Gedächtnis behalten, wirst du nicht seufzen, nicht klagen und niemanden schelten, sondern für alles wirst du Gott danken, auch wenn du siehst, daß diejenigen, die schlechter als du sind, für Schönrednerei oder Gelehrtheit und Reichtum gerühmt werden. Am allerschlechtesten nämlich ist die Leidenschaft der Seele, welches ist die Begierde, die Einbildung und die Unwissenheit.

5. Der vernünftige Mann, der sich selbst beobachtet, prüft das ihm Angemessene und ihm Förderliche, und welches sich der Seele als zugehörig und nützlich erweist und welches als ihr fremd. Und so flieht er das, was die Seele schädigt, als etwas ihr Gegensätzliches (Fremdes), das ihn von der Unsterblichkeit trennt.

6. Je maßvoller jemand seine Lebensweise hält, umso glücklicher wird er sein. Denn er sorgt sich nicht um Vieles, für Knechte, Bauern und Viehbesitz. Hängen wir uns aber an diese und geraten wir in die Unannehmlichkeiten, die aus jenen Dingen hervorgehen, so schelten wir Gott (machen Gott Vorwürfe). Auf diese Weise bringt uns unsere selbst erwählte Begierde in Verwirrung, und wir bleiben solche, die im Dunkel des Lebens der Sünden umherirren und sich selbst nicht erkennen.

7. Man soll nicht sagen, daß es unmöglich für einen Menschen ist, eine tugendhafte Lebensweise zu erlangen, sondern, daß es nicht leicht ist. Auch für jene, die es erreichen, ist dieses nicht bequem. Ein tugendhaftes Leben haben diejenigen unter den Menschen, die einen frommen und gottliebenden Verstand haben. Der gemeine Verstand nämlich ist weltlich und unbeständig, gute Gedanken annehmend und auch schlechte. Er verändert sich in seinem Wesen und neigt sich zum Stofflichen. Der Gott liebende Verstand aber ist ein Ankläger des Schlechten, welches unter den Menschen aus dem Leichtsinn selbsterwählt entsteht.

8. Die Unerzogenen und Unwissenden halten die Wissenschaften für lächerlich und sie wollen nicht von ihnen hören, damit nicht ihre Ungebildetheit überführt werde. Sie wollen, daß alle so sind wie sie, und ebenso wünschen diejenigen, die ein ausschweifendes Leben führen, daß alle schlechter wären als sie. Verdorben und getrübt wird die Seele von Schlechtigkeit, da sie (folgende Laster) in sich trägt: Unzucht, Stolz, Unersättlichkeit, Zorn, Frechheit, Raserei, Mord, Murren, Neid, Habgier, Raub, Ungeduld, Lüge, Genußsucht, Faulheit, Trübsinn, Feigheit, Haß, Verurteilen, Müßiggang, Verirrung, Unwissenheit, Verführung und das Vergessen Gottes. Mit solchen und ähnlichen Dingen wird die elende Seele gestraft, die sich von Gott entfernt.
9. Ob jemand ein tugendhaftes, frommes und ehrbares Leben führt, darüber darf man nicht nach einer heuchlerisch übernommenen falschen Sitte oder dem trügerischen Schein des äußeren Lebens urteilen, sondern wie die Künstler der Malerei und Bildhauerei zeigen sie ihren tugendvollen und gottliebenden Lebenswandel aus ihren Werken, und gleich wie Fallen verschmähen sie alle schlimmen Lüste.

10. Für die im Denken Gesunden bleibt der reiche und wohlgeborene Mensch, der ohne seelische Erziehung und Vortrefflichkeit (Tugendhaftigkeit) des Lebens ist, unglücklich. Der Arme dagegen und dem Stand nach Geringe, der mit Erziehung (Bildung) und Tugendhaftigkeit des Lebens geschmückt ist, glücklich. Ebenso wie die Fremden auf den Wegen umherirren, so werden diejenigen, die nicht um ein tugendhaftes Leben Sorge tragen, von der Begierde verwirrt und gehen zugrunde.

11. “Menschenmacher(-Schöpfer)” verdient derjenige genannt zu werden, der es vermag, die Unerzogenen zu zähmen, daß sie die Worte (Weisheit, Wissenschaften) und die Erziehung (Bildung) lieben. Ebenso verdienen diejenigen, die Ausschweifende zu einem tugendhaften und Gott gefälligen Wandel umformen “Menschenmacher” genannt zu werden. Die Lindheit (Sanftmut) nämlich und Enthaltsamkeit sind Glück und gute Hoffnung für die Seelen der Menschen.

12. Nach der Wahrheit sollen die Menschen ihren Lebenswandel und ihre Sitten ausrichten. Wenn dieses geschieht, wird auch Gott leicht erkannt werden. Wer nämlich Gott aus ganzem Herzen und Glauben verehrt, wird von Gott gelehrt werden, sich von Zorn und Begierde zu enthalten. Die Ursache aller Übel nämlich sind die Begierde und der Zorn.

13. “Mensch” nennt man denjenigen, der entweder (schon) vernünftig ist oder aber angefangen hat, sein Leben zu bessern. Wer ungebessert verharrt, den soll man nicht “Mensch” nennen, denn jene Eigenschaft (d.h.: die Unverbesserlichkeit) ist eine nicht-menschliche. Solche muß man meiden. Denjenigen, die zusammenleben mit dem Bösen, ist es unmöglich, jemals unter die Unsterblichen zu gelangen.

14. Nur die Vernunft, die tatsächlich in uns ist, macht uns würdig, Menschen genannt zu werden. Wenn wir die Vernunft verlassen, unterscheiden wir uns nur durch die Ausformung der Gliedmaßen und die Stimme von den Unvernünftigen (Tieren). Erkennen soll sich der verständige Mensch als unsterblich seiend, und er wird alle schändlichen Begierden, die den Menschen zur Ursache des Todes geworden sind, hassen.

15. Ebenso wie jeder Künstler, der die ihm vorliegenden Materialien bearbeitet, an diesen seine Vortrefflichkeit zeigt, – einer bearbeitet Holz, einer Eisen und einer Gold und Silber -, ebenso müssen auch wir, die wir von dem tugendhaften und Gott wohlgefälligen Lebenswandel hören, zeigen, daß wir wahrhaft vernünftige Menschen sind – und zwar in der Seele und nicht nur in der Ausformung des Körpers. Die in Wahrheit vernünftige und Gott liebende Seele erkennt sogleich alles, was in der Welt ist, und liebend versöhnt sie Gott (rührt sie Gottes Erbarmen) und dankt Ihm wahrhaftig, indem sie jede Bewegung und jeden Gedanken an Ihn heftet.

16. Ebenso wie die Seeleute mit Vorsicht das Schiff steuern, damit sie es nicht an einen unterseeischen Felsen oder eine Klippe anstoßen, so sollen auch diejenigen, die ein tugendhaftes Leben suchen, vorsichtig prüfen, was sie tun, und was sie meiden müssen. Und sie sollen überzeugt sein, daß ihnen die wahren und Göttlichen Gesetze nützlich sind, indem sie die schlechten Begierden der Seele heraushauen (und vertreiben).

17. Ebenso wie die Seefahrer und die Wagenlenker mit Umsicht und Sorgfalt das Angestrebte erreichen, so müssen auch die, die einem richtigen und tugendhaften Leben nacheifern, sorgen und denken, damit sie angemessen und Gott wohlgefällig leben.

18. Für Freie haltet nicht diejenigen, die dem Stand nach frei sind, sondern die, die dem (irdischen) Leben und dem Charakter nach frei sind. Es ziemt nicht dem Wahrhaftigen, die Herrschenden frei zu nennen, die schlecht sind und zügellos. Knechte nämlich sind sie der Leidenschaften des Stoffes. Freiheit aber und Wohlgestimmtheit der Seele ist die echte Reinheit und die Verachtung der zeitlichen Dinge.

19. Erinnere dich, daß man sich unablässig durch die Tat als vernünftig erweisen muß, und zwar durch den guten Lebenswandel und dessen Werke. So nämlich achten die Kranken die Ärzte nicht wegen ihrer Worte als Retter und Wohltäter, sondern wegen ihrer Taten.

20. Kennzeichen der vernünftigen und tugendhaften Seele sind: der Blick, der Gang, die Stimme, das Lachen, die Gespräche und die Umgebung. Alles nämlich wird verändert und umgestimmt zum Wohlgestalteteren. Der Gott liebende Verstand von ihnen ist nämlich ein guter Torwächter und verschließt die Eingänge den schlechten und schändlichen Einfällen. Fortsetzung folgt
21. Betrachte das dich Umgebende, und erkenne, daß die Herrschenden und Gebieter nur über den Körper Gewalt haben und nicht über die Seele, und dieses bleibe dir immer in Gedanken gegenwärtig. Wenn sie Morde befehlen oder etwas Ungehöriges oder Unrechtes und Seelenschädliches, darf man ihnen nicht gehorchen, wenn sie auch den Körper mißhandeln. Gott nämlich erschuf die Seele frei und selbstgewaltig (selbstverantwortlich), woraufhin sie gut oder schlecht handelt.
22. Die vernünftige Seele eifert, sich zu entfernen von Ausweglosigkeit(?), Anmaßung, Hochmut, Betrug, Neid, Raub und Ähnlichem, welches Werke von Dämonen und Böswilligkeit sind. Alles wird mit Eifer und beharrlicher Sorge erreicht, wenn der Mensch der Begierde nicht Raum zu schändlichen Lüsten gibt.
23. Diejenigen, die sich ein wenig und unvollkommen der Askese befleißigen, entfernen sich doch von den Gefahren und bedürfen nicht besonderer Vorsichtsmaßregeln. Wenn sie die Begierde besiegen, finden sie den zu Gott führenden Weg leicht.
24. Den vernünftigen Menschen ist es nicht notwendig, sich vielen Gesprächen hinzugeben, sondern den nützlichen, durch die der Wille Gottes betrieben wird. So nämlich gelangen die Menschen wieder zum Leben und dem ewigen Licht.
25. Für die ein tugendhaftes und Gott liebendes Leben Suchenden, ist es nötig, abzulassen vom Eigendünkel und von jeglichem leeren und lügenhaften Ruhm und zu eifern für die Erreichung eines tüchtigen Lebens und Charakters. Der Gott liebende und unveränderliche Verstand ist eine Hinführung und ein Weg zu Gott.
26. Es ist nichts nütze, die Wissenschaften zu lernen, wenn der tugendhafte und Gott liebende Wandel der Seele fehlt. Die Ursache aller Übel nämlich ist die Verirrung, die Täuschung und die Unkenntnis Gottes.
27. Das Bemühen um das treffliche (gute)Leben und die Sorge um die Seele bringt die guten und gottliebenden Männer hervor. Wer nämlich Gott sucht, findet Ihn, indem er die Begierde durch unablässiges Gebet zu Ihm besiegt. Ein solcher nämlich fürchtet sich nicht vor Dämonen.
28. Diejenigen, die sich durch irdische Güter verführen lassen und wörtlich das, was für das gute Leben förderlich ist, kennen, erleiden etwas Ähnliches, wie diejenigen, die die Heilmittel und Hilfsmittel der Ärzte benötigen, aber nicht wissen und verstehen, sie zu gebrauchen. Deshalb werden wir für die von uns begangenen Sünden niemals unsere Geburt oder irgend etwas anderes beschuldigen außer uns selbst. Wenn die Seele nämlich sich dem Leichtsinn (Müßiggang) hingeben will, dann kann sie nicht unbesiegt bleiben.
29. Demjenigen, der nicht zu unterscheiden weiß, was das Gute ist und welches das Schlechte, steht es nicht zu, darüber zu urteilen, wer von den Menschen gut oder schlecht ist. Der Mensch nämlich, der Gott erkennt, ist gut. Wenn er aber nicht gut ist, d.h. nich t Gott erkennt, wird er auch nie (von Ihm) erkannt werden: Denn das einzige Mittel zur Erkenntnis Gottes ist die Güte.
30. Gute und gottliebende Männer überführen die der Person nach Anwesenden irgenteiner Schlechtigkeit. Die nicht Anwesenden aber tadeln sie nicht nur selbst nichtsondern sie gestatten es auch denen nicht die anheben irgentetwas über sie zu sagen.
31. In den Gesprächen soll keinerlei Rauheit sein. Die verständigen Menschen vermag Bescheidenheit und Keuschheit (Sofrosyne) mehr zu schmücken als die Jungfrauen. Der gottliebende Verstand nämlich ist ein Licht, das die Seele erleuchtet, ebenso wie die Sonne den Körper.
32. Bei jeder der dir begegnenden seelischen Leidenschaften erinnere dich, daß bei denen, die richtig denken und die häuslichen Dinge (=ihre Angelegenheiten) in Gebühr und Sicherheit einrichten wollen, nicht der vergängliche Besitz der Gegenstände für Süßigkeit gehalten wird, sondern die richtigen und wahren Vorstellungen. Diese machen sie selig. Der Reichtum nämlich wird sowohl verzehrt als auch von den Mächtigeren geraubt. Die Tugend der Seele aber ist der einzige Besitz, der sowohl sicher als auch unverletzlich ist und auch nach dem Tode diejenigen, die sie besitzen rettet. Diejenigen, die so denken, werden nicht von den Phantasien (Vorstellungen) des Reichtums und der übrigen Lüste beraubt und verführt.
33. Es gebührt nicht, daß die Unsteten und Unerzogenen (Ungebildeten) die verständigen Männer prüfen. Verständig aber ist der Mann, der Gott gefällt, der viel schweigt, oder wenn er spricht, dann spricht er wenig und nur das Gottgefällige.
34. Diejenigen, die den tugendhaften und gottliebenden Lebenswandel verfolgen, sorgen sich um die Tugenden der Seele wie um einen solchen Besitz, der ihr unentwendbares Eigentum und ewige Wonne darstellt. Vom Zeitlichen aber gebrauchen sie nur soviel wie nötig ist, und wie es Gott gibt und will, indem sie es mit Fröhlichkeit und jeglicher Dankbarkeit benützen, auch wenn es etwas Geringes beträfe. Der reiche Tisch nährt den Körper wie Reisig (das Feuer). Die Erkenntnis Gottes, die Enthaltsamkeit, die Güte, das Wohltun, die Frömmigkeit und die Sanftmut vergöttlichen die Seele.
35. Diejenigen der Herrschenden, die zu unziemlichen und seelenschädlichen Handlungen nötigen, beherrschen nicht die Seele, welche als selbstverantwortlich ( autexusius, selbstmächtig) geschaffen ist. Den Körper fesseln sie, aber nicht die “freie Wahl”, über welche der Mensch Herr bleibt nach der Gabe Seines Schöpfers, Der stärker ist als alle Macht und Zwang und alle Gewalt.
36. Diejenigen, die für Unglück halten, den Verlust von Geld oder Kindern oder Knechten oder etwas anderem, sollen erkennen, daß man erstlich sich mit dem von Gott Gegebenen begnügen muß, dann soll man es, wenn es nötig wäre, bereitwillig und wohlgemut (wieder) weggeben, und sich nicht mit Trauer quälen aus Ursache ihres Verlustes, oder besser (gesagt), ihrer Zurücknahme. Ähnlich solchen, die etwas ihnen nicht Gehörendes benutzt hatten und es wieder zurückgaben.
37. Ein Werk eines tüchtigen Menschen ist es, nicht seine Freiheit wegen des Erwerbs von Reichtum zu verkaufen, auch wenn das ihm Angebotene sehr viel wäre. Einem Traum nämlich ähneln die irdischen Güter, und sowohl unsichere als auch kurzzeitige Phantasien (Vorstellungen) hat der Reichtum in sich.(und der Reichtum hat nur einen trügerischen Glanz, der unsicher ist und kurzzeitig.)

Bote 1993-3

21. Betrachte das dich Umgebende, und erkenne, daß die Herrschenden und Gebieter nur über den Körper Gewalt haben und nicht über die Seele, und dieses bleibe dir immer in Gedanken gegenwärtig. Wenn sie Morde befehlen oder etwas Ungehöriges oder Unrechtes und Seelenschädliches, darf man ihnen nicht gehorchen, wenn sie auch den Körper mißhandeln. Gott nämlich erschuf die Seele frei und selbstgewaltig (selbstverantwortlich), woraufhin sie gut oder schlecht handelt.
22. Die vernünftige Seele eifert, sich zu entfernen von Ausweglosigkeit(?), Anmaßung, Hochmut, Betrug, Neid, Raub und Ähnlichem, welches Werke von Dämonen und Böswilligkeit sind. Alles wird mit Eifer und beharrlicher Sorge erreicht, wenn der Mensch der Begierde nicht Raum zu schändlichen Lüsten gibt.
23. Diejenigen, die sich ein wenig und unvollkommen der Askese befleißigen, entfernen sich doch von den Gefahren und bedürfen nicht besonderer Vorsichtsmaßregeln. Wenn sie die Begierde besiegen, finden sie den zu Gott führenden Weg leicht.
24. Den vernünftigen Menschen ist es nicht notwendig, sich den vielen Gesprächen hinzugeben, sondern den nützlichen, durch die der Wille Gottes betrieben wird. So nämlich gelangen die Menschen wieder zum Leben und dem ewigen Licht.
25. Für die ein tugendhaftes und Gott liebendes Leben Suchenden, ist es nötig, abzulassen vom Eigendünkel und von jeglichem leeren und lügenhaften Ruhm und zu eifern für die Erreichung eines tüchtigen Lebens und Charakters. Der Gott liebende und unveränderliche Verstand ist eine Hinführung und ein Weg zu Gott.
26. Es ist nichts nütze, die Wissenschaften zu lernen, wenn der tugendhafte und Gott liebende Wandel der Seele fehlt. Die Ursache aller Übel nämlich ist die Verirrung, die Täuschung und die Unkenntnis Gottes.
27. Das Bemühen um das treffliche (gute)Leben und die Sorge um die Seele bringt die guten und gottliebenden Männer hervor. Wer nämlich Gott sucht, findet Ihn, indem er die Begierde durch unablässiges Gebet zu Ihm besiegt. Ein solcher nämlich fürchtet sich nicht vor Dämonen.
28. Diejenigen, die sich durch irdische Güter verführen lassen und wörtlich das, was für das gute Leben förderlich ist, kennen, erleiden etwas Ähnliches, wie diejenigen, die die Heilmittel und Hilfsmittel der Ärzte benötigen, aber nicht wissen und verstehen, sie zu gebrauchen. Deshalb werden wir für die von uns begangenen Sünden niemals unsere Geburt oder irgend etwas anderes beschuldigen außer uns selbst. Wenn die Seele nämlich sich dem Leichtsinn (Müßiggang) hingeben will, dann kann sie nicht unbesiegt bleiben.
29. Demjenigen, der nicht zu unterscheiden weiß, was das Gute ist und welches das Schlechte, steht es nicht zu, darüber zu urteilen, wer von den Menschen gut oder schlecht ist. Der Mensch nämlich, der Gott erkennt, ist gut. Wenn er aber nicht gut ist, d.h. nich t Gott erkennt, wird er auch nie (von Ihm) erkannt werden: Denn das einzige Mittel zur Erkenntnis Gottes ist die Güte.
30. Gute und gottliebende Männer überführen die der Person nach Anwesenden irgenteiner Schlechtigkeit. Die nicht Anwesenden aber tadeln sie nicht nur selbst nichtsondern sie gestatten es auch denen nicht die anheben irgentetwas über sie zu sagen.
31. In den Gesprächen soll keinerlei Rauheit sein. Die verständigen Menschen vermag Bescheidenheit und Keuschheit (Sofrosyne) mehr zu schmücken als die Jungfrauen. Der gottliebende Verstand nämlich ist ein Licht, das die Seele erleuchtet, ebenso wie die Sonne den Körper.
32. Bei jeder der dir begegnenden seelischen Leidenschaften erinnere dich, daß bei denen, die richtig denken und die häuslichen Dinge (=ihre Angelegenheiten) in Gebühr und Sicherheit einrichten wollen, nicht der vergängliche Besitz der Gegenstände für Süßigkeit gehalten wird, sondern die richtigen und wahren Vorstellungen. Diese machen sie selig. Der Reichtum nämlich wird sowohl verzehrt als auch von den Mächtigeren geraubt. Die Tugend der Seele aber ist der einzige Besitz, der sowohl sicher als auch unverletzlich ist und auch nach dem Tode diejenigen, die sie besitzen rettet. Diejenigen, die so denken, werden nicht von den Phantasien (Vorstellungen) des Reichtums und der übrigen Lüste beraubt und verführt.
33. Es gebührt nicht, daß die Unsteten und Unerzogenen (Ungebildeten) die verständigen Männer prüfen. Verständig aber ist der Mann, der Gott gefällt, der viel schweigt, oder wenn er spricht, dann spricht er wenig und nur das Gottgefällige.
34. Diejenigen, die den tugendhaften und gottliebenden Lebenswandel verfolgen, sorgen sich um die Tugenden der Seele wie um einen solchen Besitz, der ihr unentwendbares Eigentum und ewige Wonne darstellt. Vom Zeitlichen aber gebrauchen sie nur soviel wie nötig ist, und wie es Gott gibt und will, indem sie es mit Fröhlichkeit und jeglicher Dankbarkeit benützen, auch wenn es etwas Geringes beträfe. Der reiche Tisch nährt den Körper wie Reisig (das Feuer). Die Erkenntnis Gottes, die Enthaltsamkeit, die Güte, das Wohltun, die Frömmigkeit und die Sanftmut vergöttlichen die Seele.
35. Diejenigen der Herrschenden, die zu unziemlichen und seelenschädlichen Handlungen nötigen, beherrschen nicht die Seele, welche als selbstverantwortlich ( autexusius, selbstmächtig) geschaffen ist. Den Körper fesseln sie, aber nicht die “freie Wahl”, über welche der Mensch Herr bleibt nach der Gabe Seines Schöpfers, Der stärker ist als alle Macht und Zwang und alle Gewalt.
36. Diejenigen, die für Unglück halten, den Verlust von Geld oder Kindern oder Knechten oder etwas anderem, sollen erkennen, daß man erstlich sich mit dem von Gott Gegebenen begnügen muß, dann soll man es, wenn es nötig wäre, bereitwillig und wohlgemut (wieder) weggeben, und sich nicht mit Trauer quälen aus Ursache ihres Verlustes, oder besser (gesagt), ihrer Zurücknahme. Ähnlich solchen, die etwas ihnen nicht Gehörendes benutzt hatten und es wieder zurückgaben.
37. Ein Werk eines tüchtigen Menschen ist es, nicht seine Freiheit wegen des Erwerbs von Reichtum zu verkaufen, auch wenn das ihm Angebotene sehr viel wäre. Einem Traum nämlich ähneln die irdischen Güter, und sowohl unsichere als auch kurzzeitige Phantasien (Vorstellungen) hat der Reichtum in sich.(und der Reichtum hat nur einen trügerischen Glanz, der unsicher ist und kurzzeitig.)
38. Die Menschen, die in Wahrheit der Bezeichnung “Mensch” ( in der oben ausgelegten Bedeutung) würdig sind, müssen sich so sehr um ein gottliebendes und tugendhaftes Leben bemühen, daß ihr tugendhaftes Leben unter den anderen Menschen glänzt ähnlich, wie ein kleiner Purpur (-schal), den den weißen Gewändern zu ihrem Schmucke übergeworfen wird, hervorleuchtet und allen bemerkbar ist. Denn auf diese Weise wird ihr Eifer um die seelischen Tugenden hoffnungsvoller.
39. Die einsichtigen Menschen müssen ihre Kraft (Streitmacht) prüfen und die in der Seele vorhandenen Tugenden in Ordnung halten, um auf diese Weise immer bereit zu sein, den angreifenden Leidenschaften mit der in ihrer Seele befindlichen Kraft (durch die Streitmacht der Tugenden) zu widerstehen. Es sind dies: Gegen die äußerliche Schönheit und jede seelenschädliche Lust - die Enthaltsamkeit; gegen Not und Armut - die Geduld; gegen Ärger und Zorn - die Arglosigkeit; und diesen Ähnliches.
40. Es ist unmöglich, miteinmal (plötzlich) ein guter und weiser Mensch zu werden. Dieses wird aber erreicht durch aufmerksame Erwägung, Übung, Erfahrung, andauernde Askese und (vor allem) durch das starke Verlangen nach einem guten Werk. Ein guter und gottliebender Mensch, der in Wahrheit Gott erkannt hat, gewährt sich selbst keine Ruhe, indem er ohne Ausnahme das tut, was Gott gefällig ist. Aber solche Menschen werden selten gefunden.

Bote 1993-6

42. Dem Verstand nach steht der Mensch in Berührung mit der unausprechlichen Göttlichen Kraft, aber dem Körper nach hat er die Verwandtschaft mit den Tieren; Wenige aber sind derer, die, wie die echten (vernünftigen) Menschen, sich bemühen, den Sinn zu Gott und dem Erlöser (Retter) zu wenden und mit Ihm Verwandtschaft zu haben, und die dieses durch Taten und ein tugendhaftes Leben beweisen. Der größere Teil der Menschen ist unverständig in der Seele; sie haben jene göttliche und unsterbliche Sohnschaft verlassen und neigen sich zur toten, ärmlichen und kurzweiligen Verwandtschaft mit den Körpern und dadurch, daß sie (wie die vernunftlosen Tiere) nur über Fleischliches nachsinnen und sich von den Lüsten entflammen lassen, trennen sie sich selbst von Gott und führen die Seele vom Himmel herunter in den Abgrund fleischlicher Qualen.

43. Ein verständiger Mann, der die Mitanwesenheit (Gegenwart) und die Gemeinschaft mit dem Göttlichen erwägt, hängt sich niemals an etwas Irdisches oder Niedriges, sondern er richtet sein Denken zu dem Himmlischen und Ewigen in dem Wissen darum, daß der Wille Gottes - diese Ursache jeglichen Gutes und die Quelle der ewigen Güter für die Menschen - jener ist, daß alle Menschen gerettet werden.

44. Wenn du einen Menschen triffst, der zu streiten liebt und mit dir gegen die Wahrheit und das Offenkundige in Kampf tritt, dann wende dich, nachdem du den Streit eingestellt hast, von ihm, der im Verstand völlig verhärtet ist, ab. Ebenso wie nämlich das schlechte Wasser selbst die besten Weine ungenießbar macht, so verderben auch schlechte Gespräche die in Leben und Charakter vortrefflichen (=tugendhaften) Menschen.

45. Wenn wir alle Mühen und alle Mittel aufwenden, um dem körperlichen Tod zu entfliehen: um wieviel mehr müssen wir uns dann bemühen, dem seelischen Tod zu entfliehen? Denn für den, der gerettet werden will, gibt es hierzu keinerlei Hindernisse, außer nur der Achtlosigkeit und der Trägheit der Seele.

46. Von denjenigen, die nicht erkennen wollen, was für sie nützlich, und was man für gut halten muß, kann man sagen, daß sie nicht bei guter Gesundheit sind; bei denen aber, die die Wahrheit kennen, (aber doch) schamlos gegen sie streiten, ist die Vernunft erstorben: Ihre Wesensart ist tierisch geworden, sie kennen nicht Gott, und ihre Seele ist nicht vom Licht erleuchtet.

47. Verschiedene Arten von Tieren führte Gott durch Sein Wort zu unserem Wohl hervor: Die einen zum Gebrauch als Speise, die anderen zum Dienst. Den Menschen aber schuf Gott, damit er ein Betrachter und dankbarer Erforscher Seiner Werke sei. Um dieses sollen sich auch die Menschen bemühen, damit sie nicht als solche sterben die - ähnlich den unvernünftigen Tieren - Gott und Seine Werke weder geschaut noch erkannt haben. Zu wissen obliegt es dem Menschen, daß Gott alles kann. Dem aber, der alles kann, kann niemand widerstehen. Wie Er aus dem Nichtseienden alles, was Er wollte, durch Sein Wort schuf, so wirkt er (auch jetzt) alles zur Rettung der Menschen.

48. Die himmlischen Wesen sind unsterblich gemäß der in ihnen wohnenden Güte; die Irdischen aber wurden sterblich aus Ursache des in ihnen vorhandenen selbsterwählten Bösen, welches bei den Unverständigen aus ihrem Leichtsinn und ihrer Unkenntnis Gottes vermehrt wird.

49. Der Tod ist für die Menschen, die ihn verstehen, - Unsterblichkeit (das Nichtsterben); für die Einfältigen aber, die ihn nicht verstehen, ist er der Tod. Auch muß man diesen Tod nicht fürchten, sondern fürchten muß man das Verderben der Seele, welches die Unkenntnis Gottes ist. Das ist es, was für die Seele furchtbar ist!

50. Die Sünde hat für sich im Stofflichen (Materiellen) einen Stützpunkt gefunden, und der Körper wurde ihre Heimstätte. Aber die kluge Seele, die dieses verstanden hat, wirft die Last des Stofflichen von sich, und, von dieser Last befreit, sich erhebend erkennt sie den Gott des Alls, und sie beobachtet den Körper aufmerksam wie einen Feind und Widersacher, dem sie nicht vertraut. Und auf diese Weise wird die Seele, wenn sie die bösen Leidenschaften und das Stoffliche (Materielle) besiegt hat, von Gott gekrönt.

51. Die von der Seele verstandene (durchschaute) Sünde wird von ihr wie das stinkende Tier gehaßt ; wenn sie aber nicht verstanden wird, und von dem sie nicht verstehenden geliebt wird, verknechtet sie ihren Liebhaber und hält ihn bei sich in Gefangenschaft. Der Unglückliche und Arme aber sieht nicht, was für ihn heilsam wäre und denkt nicht einmal daran, sondern, in der Meinung, daß die Sünde ihn schmücke, jubelt er.

Bote 1994-3
Des heiligen Antonius des Großen Weisungen
über die menschlichen Sitten und den guten Lebenswandel

58. Das, worin sich jemand wider Willen und unwillig aufhält, ist für ihn Gefängnis und Strafe. Sei also zufrieden mit dem, was du besitzt, damit du nicht durch dein undankbares Benehmen dich selbst unbemerkt strafst. Der Weg aber dorthin ist einer, nämlich die Verachtung der irdischen Güter.

59. So wie wir das Sehen (den Gesichtssinn) von Gott haben, um das Sichtbare zu erkennen, - was weiß und was von schwarzer Farbe sei -, so ist uns auch der Verstand von Gott gegeben, um zu unterscheiden, was der Seele nützlich (und was ihr schädlich) ist. Das Verlangen aber gebiert, wenn es sich vom vernünftigen Überlegen abwendet, Lust und erlaubt der Seele weder, gerettet zu werden noch, in Verbindung mit Gott zu treten.

60. Nicht das, was natürlicherweise geschieht, ist Sünde, sondern das aus freier Wahl vollbrachte Schlechte. Nicht das Essen ist Sünde, sondern das nicht in dankbarer, ordentlicher und beherrschter Weise Essen; nicht das arglos (heilig) Schauen ist Sünde, sondern das Schauen in neidvoller überheblicher und unersättlicher Weise; und das Hören in nicht friedlicher Weise, sondern zornig.

61. Wenn du zweifelst, daß eine jede deiner Handlungen von Gott gesehen wird, (dann) überlege, daß auch du, der du ein Mensch bist und Staub, auch gleichzeitig über mancherlei Orte und Dinge sehen und nachdenken kannst! Umsovielmehr Gott, - der das All sieht wie (auch) das Senfkorn, der alles ins Leben führt und nährt wie er will!

62. Wenn du die Türen deiner Behausung schließt, und alleine bist, dann wisse, daß mit bei dir (anwesend) der Engel ist, der von Gott jedem Menschen zubestimmt wird, welchen die Griechen den häuslichen Daimon (Dämon) nennen. Man kann ihn nicht täuschen, und Dunkelheit macht vor ihm nicht verborgen. Zusammen mit ihm erkenne auch Gott, der an jedem Orte anwesend ist. Es ist nämlich kein Ort oder irgendein Stoff, wo Gott nicht wäre, Der größer ist als alles und alles in Seiner Hand zusammenhält.

Bote 1994-4
Des heiligen Antonius des Großen Weisungen
über die menschlichen Sitten und den guten Lebenswandel

63. Wenn die Soldaten dem König die Treue bewahren, weil sie von ihm mit Speise versorgt werden, um wieviel mehr müssen dann wir uns bemühen, unablässig Gott zu gefallen, indem wir mit nicht verstummenden Lippen Ihm danken, Der alles für den Menschen erschaffen hat.

64. Die Dankbarkeit zu Gott und das gute Leben sind die Früchte vom Menschen, die Gott gefallen. Aber wie die Früchte der Erde nicht in einer Stunde zur Reife gelangen, sondern Zeit, Regen und Pflege brauchen, so brauchen auch die menschlichen Früchte Askese, Unterscheidung, Zeit, Ausdauer, Enthaltsamkeit und Geduld bis sie sich in all ihrem Glanz zeigen. Wenn du aber wegen dieser (Tugenden) einmal irgendjemandem gegenüber als ein frommer Mensch erscheinst, so vertraue dir nicht, solange du dich in diesem Körper befindest und halte nichts von dir für vollkommen gottgefällig. Denn wisse nämlich, daß es für den Menschen nicht leicht ist, bis ans Ende die Sündlosigkeit zu bewahren.

65. Nichts ist bei den Menschen ehrenvoller als das Wort. Das Wort ist so wichtig, daß wir mit Wort und Danksagung Gott dienen. Wenn wir aber ein nichtsnutziges oder unanständiges Wort gebrauchen, so entblößen wir die Verdorbenheit unserer Seele. Einem unverständigen Menschen ist es eigentümlich, für seine Sünden entweder seine Geburt oder etwas anderes zu beschuldigen, wenn er aus eigenem Willen ein übles Wort gebraucht oder ein ungutes Werk tut.

66. Wenn wir trachten, die Leiden des Körpers zu behandeln, um nicht von denen, die uns begegnen verlacht zu werden, mit wieviel größerer Notwendigkeit trachten wir, die Leiden(-schaften) der Seele zu lindern, da wir vor dem Angesicht Gottes das Gericht empfangen werden, damit wir nicht als ehrenlos und verlacht erfunden werden. Da wir nämlich die Macht über uns selbst besitzen, wenn wir wollen entgegen der Begierde nach schlechten Handlungen, diese nicht zu vollbringen. Dieses können wir und es steht in unserer Macht, gottgefällig zu leben. Und niemand wird uns jemals zwingen, entgegen unserem Willen, etwas Schlechtes zu tun. Wenn wir so wettkämpfen, werden wir vor Gott würdige Menschen sein und wie die Engel in den Himmeln leben.

67. Wenn du willst, kannst du ein Diener der Leidenschaften sein und wenn du willst, kannst du frei bleiben und dich nicht unter das Joch der Leidenschaften beugen, denn Gott hat dich selbstgewaltig geschaffen. Und der, der die Leidenschaften des Fleisches besiegt, wird durch Unvergänglichkeit gekrönt. Gäbe es nämlich nicht die Leidenschaften, so gäbe es auch weder die Tugenden noch die Kränze, die von Gott den Würdigen gegeben werden.

68. Diejenigen, die nicht das für sie Zuträgliche sehen und nicht wissen, was gut ist, sind blind in der Seele und ihr Unterscheidungsvermögen ist erblindet. Auf solche soll man nicht schauen, damit nicht auch wir unvorhergesehen einem solchen (Zustand) anheimfallen wie Blinde.

69. Über Diejenigen, die sündigen, darf man nicht zürnen, auch wenn die von ihnen verübten Vergehen einer Strafe würdig wären. Wir müssen die Fehlenden um des Rechts selbst willen zum wahren Weg hinwenden und - wenn es angelegen ist - strafen, entweder selber oder durch andere, aber über sie zu zürnen oder unwillig zu sein steht nicht an, denn der Zorn handelt nur nach der Leidenschaft und nicht nach Urteil und Recht. Man soll nicht diejenigen gutheißen, die über die Maßen milde sind, sondern man muß um der Billigkeit und des Rechtes willen die Schlechten bestrafen, aber eben nicht um des eigenen Zornes willen.

70. Allein der Besitz der Seele ist sicher und unverletzlich. Es ist dies der tugendhafte und gottgefällige (Lebens-) Wandel, die Erkennntnis und das Tun guter Werke. Der Reichtum nämlich ist ein blinder Wegführer und ein unvernünfiger Ratgeber. Und wer den Reichtum schlecht und nur zum Vergnügen gebraucht, verdirbt seine vernachlässigte Seele.

71. Es geziemt den Menschen, entweder überhaupt nichts Unnötiges (Überflüssiges) zu besitzen oder aber, wenn sie es haben, fest überzeugt zu sein, daß alles Irdische von Natur her vergänglich ist, weggenommen, verloren und zerstört werden kann, und daß man, wenn sich etwas (derartiges) ereignet, nicht kleinmütig sein darf.

72. Wisse, daß die körperlichen Krankheiten von Natur aus dem Körper als etwas Vergänglichem und Stofflichem eigen sind. Also soll die gute Seele im Falle solcher Krankheiten Tapferkeit und Geduld beweisen und nicht Gott tadeln, weswegen er den Körper erschaffen habe.