Predigt Zum Sonntag der Orthodoxie

Predigt des seligen Ioann Maximowitsch, des Erzbischofs von Schanghai und San Franzisco

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! “Inmitten zweier Schächer erwies sich Dein Kreuz als gerechter Waagebalken: dem einen wurde es durch die Schwere der Gotteslästerung zum Sinken in den Hades, der andere wurde befreit von den Sünden zur Gotteserkenntnis” (Tropar der Großen Fastenzeit, 9. Stunde, nach dem ‘Ehre sei dir’) - So heißt es vom Kreuz des Herrn. Ein gerechter Waagebalken fand sich zwischen zwei Schächern, drei Kreuze errichtete Pilatus auf Golgatha - zwei den Missetätern und eines dem Lebensspender. Aber nur das Kreuz des Heilandes gereichte zur Erlösung der ganzen Menschheit, eben jenes Kreuz, welches in der Mitte stand: das Werkzeug des Friedens, der unbesiegbare Sieg, der Triumph über den Teufel und der Triumph über den Tod. Von den übrigen zwei Kreuzen gereichte das eine dem, der daran hing, zur Errettung, das andere war für jenen eine Leiter zur Hölle.

Zwei Schächer hingen am Kreuz neben dem Herrn Jesus Christus: Der eine schmähte Ihn immerzu und hörte nicht auf zu lästern, der andere jedoch, der schon zu lästern anfangen wollte, wurde seiner Sünden gewahr und seufzte zum Herrn auf: “Gedenke meiner, o Herr, wenn du in dein Reich kommst!” Und der Herr antwortete ihm: “Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein!” So glaubte durch das Kreuz, durch das Leiden der einsichtige Schächer an den gekreuzigten Christus, er glaubte - wie es im Tropar heißt - bis zur Gotteserkenntnis. Aber als der Herr ihm die Sünden vergab, erkannte er in Ihm den Sohn Gottes selber, er verstand, daß dieser Mensch, der in Schmach und Schande dahängt, selber der gefeierte König der Herrlichkeit ist, er begriff, daß jener, der jetzt hilflos und schwach erscheint, selber der allmächtige Schöpfer und Herrscher des ganzen Weltalls ist. Dem Schächer, der zur Rechten hing, öffneten sich so die geistigen Augen, die seelischen Augen - und das war ihm durch die Reue, durch die Demut zuteil geworden. Denn Christus erniedrigte sich mehr als alle Menschen, erniedrigte sich, um die Sünde des Stolzes Adams auszulöschen und zu vernichten. Nun bat der Schächer, der demütig seine Verbrechen einsah, den Herrn um Vergebung, und dadurch erschien ihm der Herr in seiner ganzen Glorie. Aber jener andere Missetäter, der zur Linken hing, schmähte ihn fortwährend und lästerte ihn, weil er sich bewußt war, daß er ein Sünder, ein Verbrecher ist, daß er die menschlichen und die göttlichen Gesetzte übertreten hatte, aber er wollte keine Reue üben, wollte sich nicht demütigen und spottete gerade über die Gesetze, die er verletzt hatte, er schmähte den Gesetzesgeber selber, welcher der Natur ihre Gesetze gegeben hat, welcher die Menschen mit einem Gewissen ausgestattet hat, durch das sie ihre menschlichen Gesetze - obgleich nicht immer übereinstimmend mit diesem - schreiben; er hörte nicht auf zu lästern, bis seine Seele durch die Last seiner Schmähungen in die Hölle herabgezogen wurde.
Das sind also die zwei Wege, die der Mensch vor sich hat. Vor uns steht das Lebensspendende Kreuz des Herrn. Der Herr sagte: “Wer mir nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach”. Wohin schreitet er? - Zuerst durch Leiden, ebenso wie auch Christus litt, und dann geht er mit Christus in das ewige Königreich ein, wo der Herr Jesus Christus auf Seinem Thron sitzt. Es gibt keinen anderen Weg als eben den, dem Herrn nachzufolgen. Der Schächer, der zur Rechten hing, erkannte Gott und folgte Ihm in seiner Seele nach. Es konnte natürlich kein Wunder mit ihm geschehen, das war auch gar nicht nötig, er folgte Christus seelisch nach, erkannte den sich um der Menschen Heil willen erniedrigt habenden Gott in ihm, demütigte sich, wurde seiner Sünden bewußt und ging mit Christus in das Paradies ein.
Vor uns liegt der Weg der beiden Schächer. Welchen Weg werden wir einschlagen? Stets wählte die Menschheit den einen oder anderen Weg. Das Kreuz des Herrn war den Juden ein Ärgernis, den Hellenen, d.h. den Heiden, eine Torheit: Wie kann man sich vor einem Instrument der Demut, vor einem Mittel der Hinrichtung verneigen; sie begriffen nicht, daß eben durch dieses Werkzeug Gott die Menschheit aus der Herrschaft des Satans, aus dem Reich der Sünde, aus dem ewigen Verderben errettet hat. Den Juden war das Kreuz des Herrn ebenfalls ein Ärgernis, sie wollten ihren Messias als den glorreichen König sehen, als irdischen König, der ihr jüdisches Volk aufrichten würde, und das Kreuz, an dem Christus gekreuzigt wurde, war daher für sie ein Skandal. Als ein Ärgernis und eine Torheit erschien also die Kreuzigung Christi; und eben durch dieses - wie es der Apostel Paulus nennt - Ärgernis den Juden und Absurdum den Hellenen, ist für uns Christus die Göttliche Kraft und die Göttliche Weisheit. Das ist es, was den einen zum Untergang, den anderen zum Heil gereicht.
Das Kreuz des Herrn teilt die Menschen in zwei Teile. So glaubten die einen an Christus, und die anderen strauchelten an dem Stein des Anstoßes und verfolgten die Kirche Christi, den Leib Christi, dessen Haupt der Herr Jesus Christus Selber ist. Die Kirche Christi ist der Leib Christi, Er Selber ist ihr Haupt und durch Seinen Göttlichen Leib und Blut nährt er die Gläubigen, nährt er die Kinder Seiner Kirche, so daß wir körperlich als auch geistig eins sind mit Christus. Durch die Göttliche Eucharistie vereinigen wir uns körperlich mit Christus, wir müssen uns nun auch seelisch an ihn schmiegen und unverzüglich seinen Geboten folgen.
Wir alle sind Sünder, aber die einen sündigen und bereuen, die anderen dagegen lästern gar noch über die Gebote, die sie verletzen. Genauso war es auch in alten Zeiten, als Arius und andere Häretiker die Dogmen der Kirche leugneten: damals hatten die Gläubigen oft schwer zu leiden. Sie wurden von den ruchlosen Herrschern, die sie in die Verbannung schickten, bedrängt; so verbrachte der hl. Athanasius der Große von 40 Jahren seines bischöflichen Wirkens, 20 Jahre im Exil. Und andere Bischöfe litten ebenfalls um der Wahrheit willen, es litten auch viele Gläubige - doch in der Reinheit der Orthodoxie errangen sie das Heil und taten auf die Tore des ewigen Lebens, die Tore des Himmelreiches. Häufig triumphierten die Ungläubigen, häufig traten sie die Kirche Christi mit Füßen, aber dann kam ihr Verderb und Fall, und nicht in das himmlische Königreich, sondern in die ewigen Qualen und die Unterwelt wurden ihre Seelen verfrachtet, so wie Christus einst die Seele des Herodes und anderer, die ihm nach dem Leben trachteten, in den Hades sandte.
Vor uns liegt entweder der Weg des Heils oder der Weg des Verderbs. Am Kreuze stießen sich die Christen ebenfalls zur Zeit des Bildersturms, als man die heiligen Ikonen verfolgte, und als auch andere Heiligtümer und das Kreuz des Herrn der Vernichtung anheimfielen. Und das taten jene, die sich rechtgläubig nannten, die sich gar für orthodox hielten. So wucherte die ikonoklastische Häresie eineinhalb Jahrhunderte lang, bis sie letztendlich gebrochen wurde.
Am Tag des Sieges der Orthodoxie feiern wir den Sieg Christi über den Ikonoklasmus und über alle Dämonen. Das Kreuz des Herrn schied die Gläubigen von den Ungläubigen, jene die den Weg des Heils und jene, die den Weg des Unheils gingen. Ebenfalls lehnen die heutigen Ikonoklasten das Kreuz des Herrn ab: Protestanten und andere, welche die heiligen Ikonen verschmähen, sind zwar bereit ihre Wohnungen mit niedlichen Darstellungen irgendwelcher Evangelium-Episoden zu schmücken, aber sie verwerfen die Verehrung der heiligen Ikonen, die uns daran erinnern sollen, daß das Heil mit Mühe errungen wird, auf dem engen Pfad, den unser Herr Jesus Christus selber ging, dem Weg des Kampfes gegen Sünde und Laster, dem Weg des Fastens und Gebetes - das geben jene nicht zu, die im Christentum nur irgend etwas Liebliches und Wunderbares sehen wollen, wo man ohne jegliche Anstrengung, ohne sich irgendwie Zwang anzulegen, ohne jeglichen Kampf mit den Sünden in die ewige Seligkeit gelangen kann. Sie wählen den Weg, den der zur Linken hängende Missetäter einschlug: sie weisen alle Gebote von sich, die der Herr selber gab und die er den Aposteln auftrug, in der ganzen Welt zu verkünden; sie lehnen die Weisungen und Satzungen ab, welche die heilige Orthodoxe Kirche in Ehren hält.
Und so werden durch das Kreuz die einen gerettet zur Erkenntnis des Göttlichen, zum Erfassen der ewigen Wahrheit, und die anderen sinken durch die Schwere der Lästerung in höllische Qualen hinab. Solch ein ausgedehnter Weg liegt vor uns Orthodoxen, und hier gibt es Ärgernisse, welche die Gläubigen scheiden, wenn sie auf jenem Weg schreiten wollen, den ihnen Christus wies.
Wir sündigen alle, wir alle verletzen die Gebote Christi und die Gebote der Heiligen Kirche, aber die einen sind sich dessen bewußt, daß sie sündigen und bereuen ihre Versündigungen, während die anderen stattdessen die Gebote selber ablehnen, ihnen nicht gehorchen wollen und sagen, daß die Gebote veraltet sind, daß man sie nicht mehr braucht, daß sie selber viel klüger sind als jene, welche die kirchlichen Gesetze verfaßten, die doch schließlich der Herr selber durch seine Apostel und seine heiligen Bischöfe gegeben hatte. So liegen also zwei Pfade vor euch - der Pfad des einsichtigen Schächers und der Pfad dessen, der durch die Schwere seiner Lästerung in die Hölle hinabfiel.
Ständig geht es auch um diese Werke religiöser Kunst. Die einen sind bereit, die Darstellungen anzuerkennen, wenn sie nur gut gemalt sind, wenn sie schön sind und das Auge erfreuen, die anderen geben jenen Ikonen den Vorzug, auf denen die Heiligen leidend dargestellt werden, wo ihre Pein, ihr Fasten und Beten verherrlicht wird, jene heiligen Darstellungen, die äußerlich zwar nicht so wohlgestaltet sind, auf denen die innere Schönheit um so mehr zum Ausdruck kommt. Das, liebe Brüder, ist der Weg der zwei Schächer. Die einen wollen die Erlösung, die anderen suchen nur den Genuß in dieser Welt, und wenn sie den nicht bekommen, dann schmähen sie gar noch die Gebote, die uns zu unserem Heil gegeben wurden.
Auch jetzt kann es bei uns zu Teilungen kommen. Die Gebote der Kirche Christi sind unverbrüchlich, und der Christ muß sich den Gesetzen und Regeln der Kirche unterordnen, unabhängig davon, wie andere sich diesbezüglich verhalten, ob die ihn umgebende Gesellschaft wohlwollend oder ablehnend zu den kirchlichen Geboten steht. Die Christus Treuen folgen Christus auf dem Weg jener Gebote und Weisungen nach, welche die Kirche heilig hält. Und jene, welche überflüssige Bequemlichkeit und Erquickungen in dieser irdischen Welt, die ohnehin früher oder später vergeht, wünschen, ziehen andere Gesetze vor, keine kirchlichen, sondern solche, die ihnen gestatten zu leben und zu denken, wie sie wollen und ihren Willen höher als den vom Herrgott selber geschenkten Geist der Kirche zu stellen; und sie ziehen noch andere auf ihrem Weg nach sich.
Es mag sein, Brüder, daß euch bald wieder eine Auseinandersetzung bevorsteht, und einige von euch werden aufrufen, den Pfad der Ablehnung der heiligen Gebote zu gehen und nur jenen Gesetzen zu gehorchen, die von Menschen gegeben wurde. Meidet diesen Weg! Fürchtet euch vor dem Pfad, den der Schächer zur Linken ging, denn durch die Schwere der Lästerung, durch die Last der Schmähung Christi fiel er dem ewigen Verderben anheim. Und jene, welche die kirchlichen Gebote schmähen, schmähen Christus selber, welcher das Haupt der Kirche ist, denn die Gebote der Kirche wurden vom Heiligen Geist durch die Apostel gegeben. Und die örtlichen Richtlinien gründen auf jenen Gesetzen, auf den Geboten und Kanones der Kirche. Halten wir uns also nicht für weiser als jene heiligen Bischöfe, welche die Regeln der Kirche aufsetzten, dünken wir uns nicht überklug zu sein. Wollen wir demütig mit dem guten Schächer ausrufen: Gedenke meiner, o Herr, in Deinem Himmelreich!
Bittet um die Vergebung der Sünden! Wenn wir von den Gesetzen der Kirche abweichen, wenn wir sie ständig verletzen, betet, daß der Herr sich auch unserer mit dem Schächer erbarme und uns in das himmlische Königreich führe. So wollen wir also nicht den Weg einschlagen, den der ruchlose Schächer ging, welcher bis zum Ende dem bösen Wandel anhing und in die Unterwelt hinabsank. Davor möge uns der Herr alle bewahren! Amen.