Übereinkunft der Orthodoxen mit den Monophysiten?
In Pressenotizen verschiedener Konfessionen wurde nur flüchtig und im Vorübergehen darüber berichtet, daß im Herbst vergangenen Jahres in der Schweiz, an einem der Amtssitze des Ökumenischen Patriarchats eine Konferenz der Theologischen Kommission für den Dialog zwischen der Orthodoxen Kirche und den Orientalischen Monophysiten stattfand. Nach einer ersten kurzen Mitteilung hierüber herrschte Schweigen. Aber ich interessierte mich für die Sache und es gelang mir, ein Protokoll dieser Konferenz auf Englisch zu beschaffen.
Auf der Konferenz waren fast alle ökumenischen Orthodoxen Kirchen vertreten, angefangen vom Ökumenischen Patriarchat. An der Spitze seiner Delegation stand Metropolit Damaskinos. Wie es im Protokoll hieß, war dies die dritte Konferenz seit den siebziger Jahren. Die Monophysiten stellten den 2. Vorsitzenden der Konferenz, einen koptischen Metropoliten, und den 2. Sekretär, einen Armenischen Bischof.
Im ganzen waren auf der in Chambesy tagenden Konferenz 34 Delegierte anwesend. Die Teilnehmer beider Seiten wurden als Vertreter “zweier Familien” bezeichnet. Die Kommission hörte zuerst zwei Vorträge: einen von dem Unterausschuß in Chambésy, und den zweiten von dem Unterausschuß für pastorale Beziehungen aus dem Abba-Bischboy-Kloster in Ägypten. Den Konferenzteilnehmern wurden Kopien von sechs Vorträgen über die Geschichte und das Wesen des Monophysitentums ausgeteilt. Projekte zur Begriffsbestimmung wurden gesondert vorgeschlagen. Beide Seiten waren sich einig über die Verurteilung der Häresie des Eutyches, wie sie vom 3. Ökumenischen Konzil ausgesprochen worden war. Ebenso veruteilten beide Seiten die Lehren des Nestorios und des Theodoret von Kyrrhos und bekräftigten ihre Übereinstimmung mit der orthodoxen Lehre. Schwieriger jedoch war die Frage der Anerkennung des Konzils von Chalkedon und der weiteren Ökumenischen Konzile. Im 8. Punkt der Protokolls lesen wir: “Beide Familien akzeptieren die ersten drei Ökumenischen Konzilien, die unser gemeinsames Erbe darstellen. Was jedoch die vier weiteren Konzile der Orthodoxie anbetrifft, so erklären die Orthodoxen, daß für sie die vorangehenden Protokollpunkte 1-7 auch die Lehre der folgenden Konzile der Orthodoxen Kirche wiedergeben, während die Orientalischen Orthodoxen dies nur unter der Voraussetzung ihrer eigenen Auslegung akzeptieren. Bei einem solchen Verständnis ist die Haltung der Orientalischen Orthodoxen dieser Lehre gegenüber positiv.”
Bedingungslos nehmen sie nur die Bestimmungen des 7. Ökumenischen Konzils über die Ikonenverehrung an. Was die orthodoxe Begriffsbestimmung der christologischen Dogmen und der entsprechenden Ökumenischen Konzilien anbetrifft, so nehmen die Orientalischen Kirchen nur mit einigen Vorbehalten eine “positive” Haltung ein. Unter Punkt 9 lesen wir folgende Schlußfolgerung: “Im Licht unserer harmonisierenden Resolution auf dem Gebiet der Christologie und ebenso hinsichtlich der allgemeinen Bestimmungen sehen wir jetzt ganz klar, daß beide Familien stets treu denselben ursprünglichen orthodoxen christologischen Glauben und die ununterbrochene apostolische Tradition bewahrt haben, wenn sie sich der christologischen Terminologie auch in verschiedener Weise bedient haben. Dieser gemeinsame Glaube und die beständige Treue in der Einhaltung der apostolischen Überlieferung sollten die Grundlage unserer Einheit und Verständigung sein.”
Auf der Konferenz von Chambésy, welche die über 250 Jahre langen Mühen der heiligen Konzils- und Kirchenväter in der genauen Definition der christologischen Begriffe geringfügig erscheinen läßt, kommt es zu keiner direkten und vollständigen Annahme seitens der Monophysiten der Dogmen des Chalkedonischen Ökumenischen Konzils über die zwei Naturen unseres Herrn Jesus Christus und derjenigen des 6. Ökumenischen Konzils über die Wirkung von zwei Willen in Ihm. Die Orientalischen Monophysitischen Kirchen vermeiden peinlichst umfassende und erschöpfende Erklärungen, welche die einzig echte Bedingung einer Vereinigung mit der Orthodoxen Kirche sein könnten. Es fehlt die reuevolle Anerkennung ihrer früheren Häresie und die Ausrichtung ihrer Orthodoxie nach den Texten der dogmatischen Bestimmungen des Ökumenischen Konzils von Chalkedon und des 6. Konzils von Konstantinopel (Trullanum). Sie integrieren sich nicht in das Leben der Orthodoxen Kirche. Die vergangenen Jahrhunderte des kirchlichen Lebens bleiben ihnen fremd, wenn sie sie auch nicht gerade direkt verurteilen. Die Übereinkunft ist unvollständig. Sie zeugt von einer parallelen Existenz, aber nicht von einer Vereinigung, sie geht nur den Verstand, nicht aber das Herz an.
Der 10. Punkt ist allgemein formuliert, er umgeht die Frage einer volle Anerkennung aller sieben Ökumenischen Konzile. Er lautet: “Beide Familien sind sich darin einig, daß die Anathemata der Vergangenheit, die uns jetzt teilen, durch die Gnade und die Kraft Gottes beseitigt werden sollten. Beide Familien sind sich einig, daß die Anathemata und Verurteilungen annuliert wurden, wenn man davon ausgeht, daß die zuvor anathematisierten und verurteilten Konzile und Väter gar nicht häretisch waren.”
Wie kann denn eine solche Resolution angenommen werden, welche die früheren Beschlüsse Ökumenischer Konzile aufhebt?
Auf dieser sehr umstrittenen Basis wird also in zwei Einzelpunkten dargelegt, daß die Orthodoxen alle Anathemata und Verurteilungen von Orientalischen Konzilen und Kirchenvätern, welche sie in der Vergangenheit mit dem Bann belegt oder veruteilt hatten, annulieren müssen. Dasselbe müssen die Orientalen hinsichtlich ihrer früheren Anathemata und Verurteilungen der Orthodoxen tun.
Wir kennen in der Geschichte der Kirche keine derartige Übereinkunft, die in ähnlicher Weise Wahrheit und Verirrungen vermischte.
Bischof Grigorij
23. Juni / 6. Juli 1991