Teile eines Interviews, das in der in Paris erscheinenden Zeitung "Russkaja Mysl'" (No.3722, 29.4.1988) veröffentlicht wurde.

Anfang Juni  besuchte Vater Wladimir Schibajew  nach einem Vortrag bei der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte in Frankfurt unsere Gemeinde in München. Am Sonnabend und Sonntag 5. und 6. Juni zelebrierte er mit Bischof Mark in der Kathedralkirche des Hl. Nikolaus in München. Am Sonntag Nachmittag traf er sich mit der Gemeinde zu einem Gespräch im Kloster des Hl. Hiob. Diese Begegnung verlief sehr lebhaft. Vater Wladimir antwortete ausführlich auf alle ihm gestellten Fragen. Aus diesem Anlaß geben wir im folgenden Teile eines Interviews wieder, das in der in Paris erscheinenden Zeitung "Russkaja Mysl'" (No.3722, 29.4.1988) veröffentlicht wurde.

Vater Wladimir,  erzählen Sie etwas über sich selbst - wo Sie geboren sind, wie und warum Sie Priester wurden. In der Sowjetunion und überhaupt in unserer Zeit trifft man nicht häufig jemanden, der Priester werden will.
Ich wurde 1948 in Moskau geboren. Meine Taufpatin sorgte dafür, daß ich in einer kirchlichen religiösen Umgebung aufwuchs, doch dann erlebte ich eine religiöse Krise. Im Alter von 18 Jahren nahm ich an einer Taufe teil. Der Priester benahm sich völlig unwürdig. Mir erschien das Ganze wie eine Farce seitens des Priesters.  Gelächter, Witze, ungeziemliche Ausdrücke, die die Gebete unterbrachen... All das war furchtbar. Dies hatte damals eine schreckliche Wirkung auf mich, und im Laufe von 5-6 Jahren sprach ich mit keinem Priester - ich schaute nur in der Kirche vorbei und ging dann wieder. Aber dann gelang es mir, für mich Gott von dem Priester zu trennen, den Unterschied zwischen der Kirche und dem Kirchengebäude zu verstehen;  das half mir, Gott half mir wieder zur Kirche zu kommen und Gott in den Sakramenten zu berühren.
Ich hatte einen geistlichen Vater, der die Jugend sehr liebte. Ich war oft bei ihm zu Hause, es gab Gespräche, Bücher, das war so eine kleine Welt für sich. Der Kirchenälteste dieser Kirche am Stadtrand von Moskau war Mitarbeiter der Sicherheitspolizei (KGB) oder des Exekutivausschusses; er war Trinker. Ich erinnere mich, wie er in die Kirche kam, sich an der Wand entlang bewegte, auf der linken Seite, und so vollkommen betrunken den Geldkasten erreichte, und wieder zurückging. Und deshalb mischte er sich nicht besonders in das Gemeindeleben ein. Ich wuchs in diesem geschlossenen Mikrokosmos auf, ministrierte und half in der Kirche. Ich hatte keine Vorstellung von dem, was im Moskauer Patriarchat vor sich ging.
Als mir mein geistlicher Vater ganz unerwartet für mich selbst den Segen erteilte, in das Moskauer Geistliche Seminar einzutreten, hatte ich keine Vorstellung davon, wohin ich mich da begab. Im übrigen glaubte ich nicht daran, daß es mir gelingen würde, dort einzutreten, da die Machthaber nicht gerne sahen, daß jemand mit höherer Bildung das Seminar besuchte. Damals hatte ich die Leningrader Kunstakademie absolviert. Ich war Kunstwissenschaftler: Kunsttheorie und -geschichte. Ich arbeitete als Kunstrestaurator in der Grabarschen Werkstatt, ich restaurierte Ikonen. Doch ich wurde aufgenommen und mit mir noch 6 andere Moskauer mit höherer Bildung, unter ihnen sogar ein Doktor der Naturwissenschaften.

Wie läßt sich eine solche Veränderung erklären?
Wahrscheinlich hatte sich die Kirchenpolitik verändert. Man sagte, der Rat für Religionsangelegenheiten und das Außenamt des Patriarchats waren daran interessiert, daß unter den Priestern gebildete Menschen waren, die mit Ausländern umgehen konnten.
Als ich in das Priesterseminar eintrat, begann ich zu sehen, was ein einfacher Gläubiger nicht zu sehen bekommt. Vor Aufregung und emotioneller Belastung stellten sich bei mir Herzbeschwerden ein. Das ist vielleicht schwer vorstellbar für jemanden, der das alles nicht kennt und nicht sieht. Der Zynismus des Moskauer Patriarchats gegenüber der Kirche und den Gläubigen führt oft zu solchen Grotesken, wenn man so sagen darf, daß man sich das kaum vorstellen kann.

Gibt es viele, die das verstehen?
Das sehen alle, die dort studieren. Aber wegen ihrer Schwäche oder weil sie es doch nicht wahrhaben wollen,  beginnen sie Kompromisse zu suchen. Sie fangen an, diese oder  jene Erscheinung, die eine oder andere Handlungsweise der Kirchenleitung zu rechtfertigen.
Nehmen wir ein solches Beispiel:  die Filmaufnahmen, die vor kurzem in der Entschlafenskathedrale gedreht wurden.  Die Amerikaner, eine Firma aus Hollywood machte dort einen Film. Das schrie zum Himmel. Die amerikanischen Schauspieler verstanden natürlich nicht, wo sie sich befanden, nämlich in einer der ältesten Kirchen Rußlands. Seminaristen halfen, Geräte zu tragen, Priestermönche öffneten die Königspforte, zwei Priester... waren als Berater bei den Aufnahmen zugegen, besonders als man die Eheschließung Peters des Ersten und seine Krönung filmte.  Die Schauspieler waren angetrunken, nach den Aufnahmen ruhten sie sich in der Lawra aus, in Priesterröcke gekleidet. Und nun kommen die Großmütterchen zum Beten, nicht wissend, was hier vorgeht, -  sie bitten um den Segen, und die angetrunkenen Schauspieler segnen sie unter Gelächter. All das ist wie ein furchtbarer Traum. Wenn ich das mit Studenten der Moskauer Geistlichen Akademie, mit Priestermönchen besprach, mich empörte, fragte "warum laßt ihr das zu? das ist doch einfach eine Verhöhnung der Heiligtümer vor unseren Augen", so antworteten sie mir: "Der Patriarch hat es gesegnet".  Und der Patriarch ist so groß, also ist es recht so, sonst wird die Kirche ganz und gar beseitigt, es wird  keine Gottesdienste mehr geben. So kann es sehr viele Rechtfertigungen geben, und die Machthaber  können alles tun, was sie wollen.
Bis 1978 waren die Verbindungen der Kirche mit der Staatsmacht und all diese Sünden vielleicht verdeckter, lagen mehr im Schatten. Jetzt zeigt sich das alles immer entblößter. Nach 1979, als der  jetzige Erzbischof Alexander zum Rektor der Moskauer  Geistlichen Akademie wurde, begann die Liebedienerei gegenüber der Sowjetmacht so stark in Erscheinung zu treten, wie nie zuvor. So fand  in der Geistlichen Akademie z.B. eine Ausstellung statt, die dem 70-jährigen Jubiläum der Oktoberrevolution gewidmet war. Archimandrit Georgij Grjasnow richtete diese Ausstellung ein mit allen Portraits der Mitglieder des Politbüros; es fanden feierliche Versammlungen zur 70-Jahrfeier statt. Und zuvor war auch eine furchtbare Ausstellung und Versammlungen aus Anlaß des 60-jährigen Jubiläums der Gründung der UdSSR.  Dort hing das Portrait Lenins und daneben standen Seminaristen und hielten Wache. Sie hatten Weisung, darauf zu achten, daß niemand photographierte, damit es keine dokumentarischen Zeugnisse gäbe. Alle Seminaristen waren verpflichtet, an den Versammlungen teilzunehmen.
Die  sogenannte Loyalität hat sich meiner Meinung nach bereits in einen Dienst an der Sowjetmacht verwandelt.

Gewöhnlich wird all das so erklärt:  Man muß die Existenzmöglichkeit der Kirche sichern und deswegen geht man Kompromisse ein, weil das Wichtigste die weitere Existenz der Kirche ist. Meinen Sie, daß die Hierarchie wirklich so denkt, oder  ist das nur ein Vorwand, hinter dem sie tatsächlich schon vollkommen der Sowjetmacht dient?
Was die Hierarchie betrifft, so ist es wichtig zu wissen, wie sie ausgebildet wird. Die Studenten, die in die Moskauer Geistliche Akademie aufgenommen werden, sind normale, einfache junge Leute. Ich glaube nicht, daß sich darunter besonders viele befinden, die speziell dahin geschickt werden. Grundsätzlich beginnt die Arbeit an der Ausbildung der künftigen Bischöfe in den geistlichen Schulen selbst. Die Führung und die Machthaber sind ziemlich wenig an verheirateten Leuten interessiert, da diese nicht Bischöfe werden können. Doch wer davon spricht, daß er Mönch werden will, daß er  nach einem monastischen Leben strebt, der wird unbedingt Gespräche mit einem Staatssicherheitsbeamten vom KGB haben, zu denen jetzt schon einfach der Assistent des Inspektors  (der Akademie) oder der Inspektor selbst einlädt. Man wird in das Arbeitszimmer des Inspektors gerufen und bekommt gesagt, wohin man zu gehen hat und mit wem man sprechen wird. Das wird schon ganz offen gehandhabt. Früher, Anfang der 70-er und in den 60-er Jahren ging der KGB ein wenig raffinierter vor, wenn man dem jungen Mann z.B. eine Quittung schickte, er solle ein Einschreiben oder eine Drucksache bei der Post abholen; er kam also zur Post, wo man ihm dann sagte: "Ach ja, bitte gehen Sie in dieses Zimmer, man wird Ihnen dort die Büchersendung bzw. den Brief aushändigen". Er ging in das Zimmer, und dort saß dann der Mitarbeiter des KGB, der mit ihm das Gespräch führte. Jetzt dagegen wird das praktisch offen gemacht: die jungen Leute führen die Unterhaltungen mit dem KGB im Gebäude der Akademie. Viele erzählen sofort, wohin man sie rief, worüber gesprochen wurde, verbergen nichts und vermeiden die Zusammenarbeit. Aber der Beamte des KGB versucht seinen Gesprächspartner immer genau einzuschätzen. Ist er ein Mann, der klar sagt: "Lassen Sie mich, gehen Sie, ich will Sie nicht kennenlernen und werde nie mit Ihnen zusammenarbeiten, Sie sind Atheist", dann ist die Angelegenheit damit beendet. Oder einer sagt: "Wissen Sie, ich rede im Schlaf, oder -  ich habe einen geistlichen Vater, ohne seinen Segen darf ich nichts tun; ich kann Ihnen unmöglich nützen". Aber dann gibt es einen dritten Typ: der Mensch, welcher sagt "Ja-ja-ja, ich verstehe, daß man helfen muß, wir sind alle Bürger der UdSSR...". Und selbst wenn er dabei denkt  "macht nichts, ich werde die nachher überlisten" - schon öffnet sich ihm der Weg in die Zukunft; er wird zum Mönch geweiht, zum Priester geweiht, erhält ein Lehramt, dann wird er Assistent, und ganz schnell Bischof; schon ist er ein Mitarbeiter. Das Episkopat des Moskauer Patriarchats besteht aus Menschen, die in der Regel auf diesem Wege vorbereitet wurden. Deshalb habe ich gegenüber dem Episkopat dort eine ganz eindeutige Einstellung. Nur ist es nicht leicht, das auf Anhieb zu verstehen. Da sitzt ein Mann dir gegenüber, spricht über Gott, erzählt, wie schwer er es hat, wie kompliziert alles ist; wie soll man da glauben, daß er ganz bestimmte Funktionen erfüllt?
Einmal sah ich ein einzigartiges, geheimes Dokument.  Es wird auf einer Fotokopiermaschine in etwa 25 Exemplaren vervielfältigt und an alle Bischöfe verteilt, die Kontakte mit Ausländern haben: sei es, daß sie ins Ausland reisen oder mit Ausländern in der UdSSR in Kontakt kommen.  Es ist ein erschütterndes Dokument, weil es eine Übersicht der gesamten Information über die Lage der Kirche, über die Lage der Gläubigen und die Lage der Religion in der UdSSR enthält, mit kurzen Anmerkungen; es ist eine Zusammenfassung der letzten 2-3 Wochen, all dessen, was zu diesen Themen im Radio, Fernsehen, Zeitschriften und Zeitungen in der ganzen Welt gesagt wurde. Ich war erschüttert, als ich sah, daß ein Bischof, der  Journalisten oder Korrespondenten sowie anderen Vertretern des Westens begegnet, im voraus genauestens darüber informiert wird, welche Fragen ihm gestellt werden könnten, und in den Anmerkungen direkte Anweisungen erhält, wie sie zu beantworten sind?

Wie lange liegt das zurück?
  Dieses Dokument hatte ich im Herbst 1982 in den Händen.
 
Aber dennoch: gibt es auch nur einen einzigen unter den Bischöfen, der alle diese Eingeständnisse aus wirklicher Überzeugung macht, daß er so die Kirche bewahre für die Zukunft?
 Es geschieht oft, daß wir das Kirchengebäude und die Kirche miteinander gleichsetzen. Das ist genau das, was ich tat, als ich den Priester sah, welcher sich so unmöglich verhielt; danach wollte ich mit Priestern nichts zu tun haben. Durch diesen Kompromiß bewahren sie das Kirchengebäude in der gegenwärtigen Situation, d.h. die äußere Seite des Ritus, die ja immer nur die Folge des eigentlichen Lebens der Kirche ist, genauso wie die ganze Kultur, die ethischen Prinzipien und Gesetze nur Früchte sind, d.h. eine Folge des Lebens der Kirche. Sie bewahren also nur die äußere Seite, welche glänzt, leuchtet und singt, welche beeindruckt und natürlich hilft; sie hilft beim Beten, bei der Annäherung zu Gott. Diese äußere Seite trägt dazu bei, daß der Mensch Gott so viel wie möglich erkenne, zu Ihm käme, Ihn anbete. Diese äußere Seite wird also von ihnen bewahrt; aber gleichzeitig zerstören sie die Hauptsache: faktisch zerstören sie die Wahrheit über Gott, sie zerstören Christus, das, was Er gebot, d.h. sie zerstören die Substanz der Kirche selbst.
Ich kenne Menschen, die zwanzig Jahre im Gefängnis verbrachten und dieser äußeren Seite keine besondere Bedeutung beimaßen, aber Christus in sich bewahrten, Ihm treu blieben. Das waren Menschen, die tatsächlich mit Christus waren. Der Zynismus der Moskauer Hierarchie dagegen ist so groß, daß man oft versucht ist, zu fragen: Glauben sie überhaupt an Gott? Oft verhalten sie sich so, als würden sie nicht glauben. So etwas fragt man natürlich nicht, es ist ungehörig, unschön. Aber vieles in ihrem Benehmen ruft solche Zweifel hervor.
 
Man kann folgendes vermuten: Wer aus der älteren Generation geblieben ist, von denen, die auch selbst in den Lagern waren: glauben diese wirklich, daß es keinen anderen Weg heute gibt?

Aber in Wirklichkeit kann doch nur ein Ungläubiger so argumentieren. Die Kirche gehört Christus, und wir können sie nicht durch einen Kompromiß verteidigen. Die Kirche ist das Eigentum Christi. Wir können das Kirchengebäude, das Wohlergehen, irgendwelche Formen sozialer Natur verteidigen - das ist möglich. Aber das geschieht auf Kosten Christi.
Ich besuchte das Danilov-Kloster gleich nachdem man es dem Patriarchat zurückgegeben hatte. Das war ja ein Kindergefängnis, dort waren jugendliche Verbrecher; und vormals auch Streuner, noch vor dem Krieg, die dorthin versetzt wurden, um auf eine Einweisung in das Kinderheim zu warten. Meine Mutter mit ihrer Schwester als sie Waisen geworden waren (der Großvater kam tragisch um, die Großmutter verlor den Verstand und geriet unter ein Auto, die Mutter und ihre Schwester blieben, ihr Bruder arbeitete bereits), kamen sie in diese Anstalt, in das Danilov-Kloster. Ich schaute mir alle diese Räumlichkeiten an, den Eßsaal, die Kathedrale, die mit Kacheln belegt war, die Toiletten in den Altären; dann zeigte man mir die Kinderzellen... Sie können sich nicht vorstellen wie grauenvoll das war! Und dann quälte mich der Gedanke - was wird denn jetzt mit den Kindern, die man aus dem Danilov-Kloster ausgesiedelt hat? Ich verstehe, wie sehr die russischen Menschen, die jetzt hier im Ausland leben, hören möchten, daß alles aufblüht, daß man der Kirche die Klöster zurückgibt, daß neues Leben alles erfüllt. Und es fällt mir jetzt manchmal schwer, Schmerz zuzufügen, wenn der Mensch etwas Freudigeres, Tröstenderes von mir hören möchte.
Aber es gibt auch Tröstliches. Es gibt auch die Kirche, es gibt auch wahre orthodoxe Menschen. Es gibt die Kirche, die von den Höllenpforten nicht überwunden wird. Aber äußerlich sieht man dies fast nicht. Alles das, was glänzt, singt, ist gewöhnlich der Sowjetmacht völlig untertan; in Hauptstädten, wo viele Menschen sind, gilt das besonders. Jeder Kirchenälteste ist ein Vertrauter des KGB, eingesetzt vom Exekutivkomitee (der Partei), er ist einfach ein Vertreter der Sowjets, der ganz bestimmte Funktionen zu erfüllen hat.
Das ganze Land bedarf einer neuen Katechisierung, denn die Menschen haben nichts, woher sie Wissen über die Religion schöpfen könnten. Traurig ist auch, daß es eine Art Abgrund zwischen den Gläubigen und den Priestern gibt, von den Bischöfen ganz zu schweigen. Das war es ja, was die Machthaber erreichen wollten, als sie 1961 eine solche Organisationsform für die Kirche einführten (und 1971 bestätigten), bei der sowohl die Priester, als auch der Bischof vom konkreten Leben der Gemeinde entfernt wurden. Die Machthaber wollten, daß die Priester und die Bischöfe am Leben der Gemeinde, am Leben der Diözese nicht teilnehmen. Im Jahre 1961 wurde der Gemeindevorsteher, der Priester, praktisch aller Rechte beraubt.  Aber bereits im Jahre 1943 wurden dem Bischof alle Rechte weggenommen. Ich glaube, im Westen wurde bisher noch nirgends folgendes publiziert aus der Zeit, als Metropolit Nikolai Jaruschewitsch in Ungnade fiel (er war der Metropolit von Kruticy und Kolomna)und sehr beleidigt war, daß man ihn beseitigt hatte. In den letzten Monaten seines Lebens, wiederholte er immer wieder: "Warum verfuhren sie so mit mir, weshalb denn mit mir so?" In dieser Zeit also erzählte er viele interessante Einzelheiten, die die Geschichte der Kirche überhaupt und speziell den Anfang des Lebens des Moskauer Patriarchats im Jahre 1943 betrafen. Er erzählte von der berühmten Begegnung, als 3 Metropoliten - Alexej, Nikolaj und Sergij - bei einem Empfang im Kreml bei Stalin waren. Stalin erklärte, er sei einverstanden, daß Metropolit Sergij Patriarch werde, und ging dann, hinterlistig lächelnd, um die 3 Metropoliten herum, mit diesem seinem charakteristischen Lächeln, und sagte dann auf Sergius schauend: "Und wie würden Sie das Konzil versammeln? Wo ist Ihr Quorum, wer wird wählen, wenn ihr nur zu viert seid?" Die Metropoliten schwiegen fügsam und wußten nicht, was sie antworten sollten. Dann schaute Stalin auf Sergij und sagte: "Wissen Sie was, bei mir sitzen eine ganze Menge noch ein, wollen Sie, daß ich sie freilasse?" Und darauf soll Sergij aufgesprungen sein und gesagt haben: "Auf keinen Fall! Auf keinen Fall!" Diese Bischöfe waren nämlich seine Gegner. Das bedeutet, daß er es war, der auf ihrer Gefängnishaft bestand. Stalin lächelte nur, weil er das erhalten hatte, was er wollte, und sagte: "Ja, ja, ist schon gut, sie kommen schon selbst zurecht..." Danach weihte Sergij schnell einige eigene Bischöfe; so begann das Moskauer Patriarchat nach dem Krieg. Das heißt, alles begann eigentlich schon vor langer Zeit.
Soweit mir bekannt, wollte  der Patriarch Alexij nicht gerne die Priester des Rechtes, die Gemeinden zu lenken, berauben;  er verstand, daß er damit die Bestimmungen eines ökumenischen Konzils bricht. Er schlug vor, dem Priester ein Monatsgehalt zu zahlen, ihm aber die kanonische Befugnis zu belassen. Soweit ich weiß, war es gerade der jetzige Patriarch Pimen, der damals Verwalter des Moskauer Patriarchats war, welcher darauf bestand, daß alles so sein müsse, wie es die Sowjetmacht wollte; dies war seine Initiative.
 
Was ist Ihre Meinung über den  Patriarchen Pimen?

Schon lange nimmt er seine Funktionen nicht mehr voll wahr, seine Gesundheit ist sehr schlecht; er hat Diabetes, Gedächtnislücken. Er ist ein Mann, der schon lange nur auf der Grundlage von Medikamenten lebt und alle nutzen das aus; viele Hierarchen des Moskauer Patriarchats, die den Thron des Patriarchen besteigen möchten, besonders aber die Sowjetmacht, die diesen Kampf um die Nachfolge beobachtet, zieht aktiv Nutzen daraus. Daher kommt es, daß gerade in der letzten Zeit die Metropoliten jeweils sich selbst als den sowjetischsten zu erweisen suchen. Insgesamt aber sind sie jetzt alle so sehr loyal und so sehr sowjetisch, daß es schwer zu sagen ist, wer von ihnen den Patriarchenstuhl einnehmen wird.

Sie sprachen über den Episkopat. Was Sie sagten, ist wohl das Furchtbarste, was der Kirche geschehen kann. Ich glaube, daß wir uns alle durchaus Rechenschaft darüber geben, daß es so ist, wie Sie sagen. Aber das Episkopat ist eine Sache, und wie ist es um die Geistlichkeit bestellt?
Die Geistlichkeit ist so oder anders in größerem oder geringerem Maße ebenfalls diesem selben sowjetischen Leben unterworfen. Aber - eben im größeren oder kleineren Maße. Die Vorsteher, die Dekan (Blagotschinnyj) sind natürlich loyal und führen alles aus, was man ihnen sagt, ob sie es wollen oder nicht. Ihre Tätigkeit wird sehr genau von speziellen Kommissionen überwacht, die besonders aktiv dort funktionieren, wo es Menschen gibt - und Geld. Geld ist die Hauptangelegenheit des Kirchenältesten, und wo es eine große Gemeinde gibt, dort gibt es auch unbedingt jemanden, der dies alles genau überwacht. Es gibt natürlich Priester, die aktiv und direkt mit dem KGB zusammenarbeiten. Aber viele Priester sind ehrlich, sie tun es nicht - hauptsächlich in der Provinz, wo es wenig Kirchenmitglieder gibt und wenig Geld. Der KGB interessiert sich aber auch nicht für solche Gemeinden, es sei denn ein besonderes Signal wird gegeben.
Als ich im Seminar lernte, verstand ich, daß ich auf keinen Fall in Moskau dienen will. Soweit wie möglich weg! Erst war ich nahe bei Moskau, aber dort blieb ich nicht lange; man entfernte mich aus der Gemeinde. Zum Vorsteher der Kirche kam ein Staatssicherheitsbeamter nach Hause, fragte ihn lange über mich aus, und wie mir dieser Priester später selbst sagte, interessierte er sich sehr dafür, weshalb die Jugend zu mir kommt und woher sie kommt? Der Priester sagte: "Er ist ein Kunsthistoriker, er hat eben viele Bekannte". Und dann, im Gespräch mit mir, führte mich der Priester zum Altartisch und sagte: "Hier stehen wir am Altartisch, und hier hast du 3 Bedingungen: daß deine Predigten nicht  zeitgemäß sind, daß die Jugend dich nicht besucht, und drittens, daß du niemals und nirgendwo über die Neomärtyrer sprichst, über die, die nach 1917 litten, keinen Ton  darüber". Ich hörte - aber war nicht gehorsam. Zwei Monate vergingen und man schickte mich über 100 km weg von Moskau. Damals war Truschin der Bevollmächtigte für das Moskauer Gebiet, er hatte diesen Posten 40 Jahre inne; er schrie mich an und drohte, er werde mir keine staatliche Registrierung geben, wenn bei mir dort die Jugend erschiene, man werde ihm alles melden, man beobachte mich sehr genau . Metropolit Juvenalij dagegen sprach mit mir so verständnisvoll: "Väterchen, sagen Sie Ihren geistlichen Kindern, daß sie Sie nicht besuchen sollen". - Ich sagte: "Wie denn das, Gebieter, sie werden ja trotzdem alle kommen". - "Na, dann haben Sie schlechte geistliche Kinder, wenn sie ohne Ihren Segen zu Ihnen kommen werden. Seien Sie doch klüger, weiser. Also, hier ich segne Sie, gehen Sie!" Natürlich, gehorchte ich wieder nicht. Sie duldeten mich etwa 2 Jahre, aber dann begannen allmählich die Provokationen. Es war schwer, weil man zu mir aus Moskau kam, vor Ort aber waren nur 5 Großmütter, so daß sofort zu sehen war, wenn ein irgendjemand neuer die Kirche betrat.

Und was war dann?
Dann beschlossen sie, mich wieder in eine andere Kirche zu versetzen.

(Fortsetzung folgt)

 

Bote 1988-5
Vater Wladimir Schibajew *

Dann beschlossen sie, mich wieder in eine andere Kirche zu versetzen.
Noch weiter weg?
Ja. Gegen diese Versetzung wehrte ich mich eigentlich gar nicht.  Der Metropolit Juvenalij legte jedoch ein eigenartiges Verhalten an den Tag. Er beorderte mich mit einem Telegramm zu sich. Ich konnte nicht blitzartig kommen, weil ich das Telegramm am Lazarus-Samstag nach dem Abendgottesdienst, also vor Palmsonntag bekam. Juvenalij schickte daraufhin einen Priester, Vater Vasilij, der jetzt in dieser Kirche dient, zu mir. Dieser kam nach der Nachtwache vor Palmsonntag, zwischen 10 und 11 Uhr abends. Er hielt sein Herz, als er endlich bei mir angekommen war, dann streckte er mir einen Zettel hin, daß ich sofort, um 10 Uhr morgens, statt der Palmsonntags-Liturgie bei Juvenalij in der Kanzlei zu erscheinen hätte. Der Abendgottesdienst war schon vorüber, die Kirche war voller Leute, und ich weiter als 100 km von Moskau entfernt. Hinzufahren würde bedeuten, die Gläubigen der Liturgie zu berauben - und es gab ja auch kei-ne Möglichkeit, allen Bescheid zu geben. Wieder war ich, der Sünder, ungehorsam. Ich zelebrierte die Liturgie. Aber ich fühlte bereits, daß ich nicht ungestraft bleiben würde. Um halb-zwölf kamen zu der Kirche Vertreter des Exekutivkomitees und Menschen in Zivil in einem Auto, aber ich entging dem Gespräch. Am Montag erschien ich selbst bei Juvenalij. Der Sekretär Juvenalijs,  Archimandrit Grigorij, der jetzige Bischof von Moshajsk, führte mich in die Kanzlei; Juvenalij drückte mir seinen ganzen Unmut aus. Die Zurechtweisung dauerte fast eine halbe Stunde. Aber ich hörte nicht zu, sondern schaute mir seine wunderbare Panhagia an - eine Schnitzerei in Stein, eine ganz wunderba-re Gottesmutter - dann das Telefon, das neben ihm steht. Dieses Telefon ist jenes Spezialtelefon mit dem aus Bronze gegossenen  Sowjetwappen. Als seine Rede vorüber war, sagte er: "Verlassen Sie die Kanzlei und warten Sie. Vater Grigorij wird Ihnen den Ukas bringen". Ich ging in das Büro des Sekretärs und wartete. Er aber fing an, mit Vater Grigorij zu telefonieren. Aber offensichtlich war die Leitung besetzt. Dann kam Vater Grigorij zu mir heraus und sagte: "Entfernen Sie sich in den Em-pfangsraum!" Ich sollte also das Gespräch nicht hören. Nach einer Weile rief mich Vater Grigorij in sein Büro und sagte: "Also, alles in Ordnung, hier haben Sie den Erlaß, fahren Sie nach Podolsk als fünfter Priester, dort gibt es ein 600-Rubel-Gehalt, Kirchenälteste ist Zoja Iwanowna, und überhaupt - alles wird wunderbar sein". Da klingelt bei ihm auf dem Tisch das Telefon, und ich höre folgendes Gespräch: "Oh, Georgij Georgiewitsch, guten Tag, wie geht es Ihnen? Oh, was brauchen Sie? - Nur 2 Eintrittskärtchen? Ja, natürlich! Hier hält ein Fräu-lein rund um die Uhr Wache, jederzeit können Sie kommen und die Karten abholen". Und vor meinen Augen legt er 2  Eintrittskarten für die Osternacht in der Jelochovskaja Kathedrale beiseite für Geor-gij Georgiewitsch, d. h. für den Vertreter des Bevollmächtigten für Religionsangelegenheiten des Moskauer Gebiets. Mir wurde schlecht. Vater Gri-gorij merkte es und sagte: "Gehen Sie, legen Sie sich hin, aber daß Sie mir morgen in Podolsk sind, heute hier und morgen dort!". Aber am Abend rief man für mich einen Sanitätswagen, ich kam ins Krankenhaus, dann schrieb ich einen Antrag auf Versetzung in den Ruhestand wegen Krankheit. Und jetzt sind es bald 4 Jahre, daß ich mich vom Moskauer Patriarchat verabschiedet habe.
Sie hatten einige Haussuchungen durchzustehen. Womit hing das zusammen?
Die erste Haussuchung hatte "Nadeschda" ("Hoffnung", religiöse Samizdat-Zeitschrift - Red.) von Zoja Krachmalnikova zum Anlaß. Zoja wurde am 3. August verhaftet und die Haussuchung sollte bei mir auch am 3. August stattfinden, aber ich war nicht zu Hause. Man kam zur Haussuchung zu mir am 16. September, und auch noch zu anderen anläßlich desselben Falles. Aber auf dem Haussuchungsbefehl stand als Datum der 3. August. Das erste mal dauerte die Haussuchung 7 Stunden, es waren 6 Personen und sie suchten Material betreffend "Nadeschda". Sie fanden praktisch gar nichts, und auf die Hausdurchsuchung folgte sogleich eine Befragung. Die Fragen betrafen "Nadesch-da".  Ich sagte, daß ich "Nadeschda" las und daß sie mir sehr gefällt. Aber als man mich fragte, ob Zo-ja Krachmalnikova  mir "Nadeschda" zu lesen gab, sagte ich: nein, das tat sie nicht. Der Mitarbeiter des KGB wurde rot, schaute mich an und sagte: "Batjuschka, Väterchen, wie steht es bei Ihnen mit dem Gebot 'Du sollst nicht lügen'?" - Ich sagte: "Keine Sorge, alles in Ordnung, schreiben Sie nur weiter". Und ein solches Gebot gibt es gar nicht, aber er war sich wohl sicher, daß ein solches Gebot existiert. Ich unterschrieb natürlich keine Protokolle und auch sonst nichts. Man bestellte mich nicht mehr anläßlich des Falls Zoja. Sie haben mir viele Bücher und die Schreibmaschine weggenommen; sie beschlagnahmten religiöse Literatur, die Bücher von Vater Alexander Men', die Briefe des Abtes Nikon, und sogar die Predigten des Metropoliten Antonij Bloom, das ist ihr eigener Bischof  (in London -Red .).
Die zweite Hausdurchsuchung kam, als sie Felix Svetov (Ehemann von Zoja Krachmalnikova - Red.) verhafteten. Das war im Januar 1984. Dort waren schon ziemlich viele KGB-Beamte und so dauerte die Haussuchung 11 Stunden. Später erfuhr ich, daß gegen mich eine Anklage nach dem Kriminalkodex vorlag, doch zur Zeit der Durchsuchung wußten sie nicht, ob sie mich mitnehmen sollten oder nicht. Sie waren sehr wütend, weil ich sie eine halbe Stunde nicht in die Wohnung hineinließ, und alles, was sie nicht lesen sollten, in der Toilette verbrannte. Als ich sie in die Wohnung ließ, hatten sie bereits einen Schlosser gerufen, um die Tür aufzubrechen; sie schnüffelten die Luft und fragten: "Haben Sie alles verbrannt?" Ich antwortete: "Alles". Da veranstalteten sie einen regelrechten Pogrom. Sie führten sich fürchterlich auf. Sie machten sich über Menschen lustig, die zu mir kamen, Faschisten wie sie im Buche stehen.
Ich erinnere mich an folgende Episode: zu mir kam eine Mutter mit einer Tochter, die geistig behindert war. Ihre Beichte hatte sie in einem Heftchen niedergeschrieben. Als sie hereinkamen, riß ihr der KGB-Mann sogleich dieses Heftchen aus den Händen und stieß sie in unser Kinderzimmer; später erfuhr ich, daß er von Mutter und Tochter das Eingeständnis zu erpressen versuchte, daß sie zu mir zur Beichte gekommen seien. Sie sagten:
 "Nein, wir sind nur zu Besuch zu dem Priester gekommen, um mit ihm zu sprechen". Er brauchte ja einen Beweis, daß ich zu Hause Sakramente und Gottesdienste feiere, und auf diese Weise Geld verdiene. Dann öffnete er das Heftchen mit der Beichte und fing an, dem kranken Mädchen diese ins Gesicht vorzulesen und über sie zu lachen.
Daß mir ein Kriminalverfahren angehängt wur-de, verstand ich, als ich vor 2 Jahren - im letzten Dezember waren es 2 Jahre - einen Scheck erhielt. Auf diese Weise schickte man mir fremdes Geld zu-rück, welches bei der Durchsuchung beschlagnahmt worden war. In der Staatsanwaltschaft gab man mir diesen Scheck, um in der Bank das Geld abzuholen. Hinten auf dem Scheck stand ge-schrieben, daß das Geld "Akte Schibajew" zurück-erstattet würde. Offensichtlich wurde dieses Verfahren geschlossen als Gorbatschow an die Macht kam. Man gab mir auch einen Sack mit Büchern zurück und sagte, ich sollte in die Visa-Abteilung gehen. Von da an begannen meine Wanderungen durch das Visa-Erteilungsamt, und diese Quälerei, ob ich wegfahren solle oder nicht.
Also gab es doch eine gewisse Veränderung, nachdem Gorbatschow an die Macht kam?"
Ich denke, es ist eine Veränderung der Taktik, und nicht nur im Bezug auf die Kirche. Es ist eine Pause bei der Verwendung des Terrors, die für Gorbatschow ganz unabdingbar ist - eine abgenö-tigte Maßnahme. Die Hauptsache aber besteht darin, daß alle Maßnahmen, die angeblich zugunsten der Kirche vorgenommen werden, und angeblich ihr die Freiheit schenken, alle - im Gegenteil - darauf gerichtet sind, die Schrauben anzudrehen.
Erklären Sie das bitte, Vater Wladimir.
Jetzt werden die Pässe bei der Taufe z.B. nicht überprüft, aber der Geburtsschein wird verlangt, wo ganz genauso die Eltern eingetragen sind, was auch am Kerzenverkaufsstand genau abgeschrieben wird. Das ist aber nicht die Hauptsache - die Hauptsache ist, daß diese Angaben an das Exekutivkomitee der Partei wie früher weitergegeben werden.
Wenn die Eltern Kommunisten, Komsomolzen oder Menschen sind, die ein Lehramt bekleiden oder nach ihrem Beruf auf andere Einfluß nehmen können, dann werden sie das zu spüren bekommen und zwar aufs Strengste. Und wenn es einfa-che Menschen sind, Arbeiter, Angestellte, dann werden diese Informationen aus dem Exekutivkomitee an ihren Chef weitergegeben, und dieser wird sehen, daß er sie los wird, - wozu braucht er sie, das gibt doch nur Probleme; am ehesten wird er ihnen einfach kündigen. Genauso wird man seinen Studienplatz oder seine Lehrstelle los. Das ist es, was sich ändern muß.
Als man das Danilov-Kloster öffnete und die Geldsammlung begann, sagte man: "Ein geist-liches Zentrum! Im Herzen Moskaus - ein Kloster! Das ist ein Wunder!" Das Geld kam in Säcken, die Men-schen sammelten und gaben. Aber als dann das Kloster zur Hälfte gebaut war, wurde plötzlich erklärt:  das ist ein "administratives Zentrum" des Moskauer Patriarchats. Das wurde erst erklärt, als alles wieder hergestellt war, als das Geld gesammelt war.
Als es um die Weihe des Altartisches im Danilov-Kloster ging, stellte sich plötzlich heraus, daß im Vertrag zwischen dem Moskauer Patriarchat und der Sowjetmacht kein Wort über die Feier der Gött-lichen Liturgie in dem Kloster steht. Deshalb verbot der Rat für Religionsangelegenheiten, den Altar zu weihen. Alles ist fertig, aber die Erlaubnis für die Weihe des Altartisches wird nicht gegeben. Das Patriarchat fing an, Bittschreiben abzuschik-ken: Erlaubt die Weihe des Altartisches! Das dau-erte ziemlich lange. Der Rat für Religionsangelegenheiten erklärte: "Säckeweise bekommen wir Briefe: was soll denn das, wo wir schon fast den Kommunismus auferbaut haben, wird jetzt im Zentrum Moskaus ein Kloster eröffnet?...-  Deswegen können wir euch nicht erlauben, den Altartisch zu weihen. Geht in das Donskoj-Kloster, dort gibt es eine arbeitende Kirche, haltet dort eure Liturgie. Und im Danilov-Kloster könnt ihr wohnen, das ist ein Administrationszentrum, kein Kloster". So ging das ziemlich lange. Vor 3 Jahren schließlich, am Sonntag Aller Heiligen, erlaubte der Rat für Religiöse Angelegenheiten doch, in aller Stille den Altar zu weihen. Aber nur unter der Bedingung, daß dies in aller Stille geschieht!
Natürlich ist die Sowjetmacht an der Restaurierung von Museen interessiert - es geht ja um die Touristen. Die Machthaber sind nicht in der Lage, diese touristischen Anziehungspunkte zu restaurieren. Im Solovetzkij-Kloster träumen sie schon lange davon, einen "Berjozka"-Laden (Geschäft in dem nur mit Auslands-Valuta eingekauft werden kann - Red.) einzurichten und den Ausländern reichlich Wodka einzuschenken, den Flugplatz zu erweitern u.s.w. Ich weiß genau, wie es dort steht; ich arbeitete dort als Restaurator. Dort gibt es ganz furchtbare Projekte. Ein Jet aus Moskau ist vorgesehen - dafür wird der Flugplatz ausgebaut. Auch aus Riga und Leningrad sollen Flugzeuge eintreffen. In der Kathedrale ist ein Restaurant vorgesehen. Als ich dort war, brachen Studentenbrigaden  die Reste des Konzentrationslagers ab - diese schrecklichen Aufbauten über den Fenstern der Zellen. Dort einen Museumskomplex zu eröffnen, das lohnt sich. Und in Strömen fließt Geld für sol-che Projekte durch das Moskauer Patriarchat. Nur ist dies ein direkter Betrug der Gläubigen. Ich erinnere mich, wie Metropolit Juvenalij verkündete, ei-ne neue Kirche werde für das heilige Rußland er-öffnet und restauriert. Später erwies es sich, daß er von seiner kleinen Hauskirche über dem Einfahrts-tor gesprochen hatte, in die kein einfacher gläubi-ger Mensch eintreten kann, weil der Weg dorthin nur bei außerordentlich feierlichen Gelegenheiten über die weichen Teppiche durch die Zimmer des Metropoliten führt. Aber Geld wurde gesammelt - Berge von Geld: Es soll etwas restauriert werden - bitte sehr, die Menschen spenden. Ich befürchte sehr, daß auch das Danilov-Kloster letztendlich selten für Pilger geöffnet werden wird, für die, welche dort beten wollen. Bereits jetzt wird außerhalb des Klosterterritoriums eine Kirche gebaut, wohin die Menschen gehen können; im Kloster selbst aber mag es dann nur offizielle Empfänge geben.
Gibt es viele Mönche in diesem Kloster?
Das ist es ja, daß es gar kein selbständiges Kloster ist, sondern eine Art Filiale der Dreifaltigkeits-Sergius-Lavra. Deswegen wird die Zahl der Mönche immer beweglich sein. Irgendwie kommen sie mir mehr wie Dienstpersonal vor: dort ist das Außenamt der Kirche, die Abteilung für Pensionsfragen, die Wirtschaftsverwaltung. Ich denke, daß auch die Residenz des Patriarchen schließlich aus der Tschistyj-Gasse dorthin umziehen wird, wäh-rend aus dem dortigen Gebäude ein Konsulat wer-den wird, dort gibt es viele Gesandtschaften auf dem Arbat. Das Danilov-Kloster ist in Wirklichkeit kein Kloster, sondern ein Amt.
Aus welchen Menschen besteht eine gewöhn-liche  "Zwanzigergruppe" einer Gemeinde?
In der Gemeinde ist die kirchliche "Zwanziger-gruppe" in der Regel eine Fiktion; d.h., in Wirklichkeit existieren diese Menschen, aber sie beschäfti-gen sich mit der Kirche überhaupt nicht. Es gibt zwei-drei-vier Menschen, die waschen, Prosphoren backen, nach der Heizung sehen und nach allem, was die Kirche braucht. Die übrigen stehen nur auf dem Papier. Die Machthaber wissen das natürlich genau; und wenn diese Menschen sterben und die "Zwanzigergruppe" dahinschmilzt, schweigen die Machthaber. Sie sind daran interessiert, daß das ganze schmilzt und schmilzt und zuletzt verschwindet. Wenn Versuche gemacht wer-den, jemanden Neuen einzuführen, um die vom Gesetz geforderte Anzahl (für die Existenz einer Gemeinde ist eine Zwanzigergruppe unabdingbar - Red.) aufrechtzuerhalten, dann antworten die Machthaber: "Ach, ihr braucht das doch überhaupt nicht". Sie versuchen in jeder erdenklichen Weise, die Zwanzigergruppe unaufgefüllt zu belassen.
Und wenn es dann niemanden mehr gibt, wird die Kirche automatisch geschlossen?
Ja.
Gemäß der im Bulletin des  APN  (Sowjetische Nachrichtenagentur - Red.)"Religion in der UdSSR" publizierten Kirchenstatistik geht jetzt, abgesehen von dem steilen Absturz der 60-er Jahre, eine stetige Verringerung der  Gemeindeanzahl vor sich.  Wie werden jetzt die Kirchen  geschlossen?  Auf welche Weise geht diese Verringerung vor sich? Es geht da doch nicht um ein oder zwei sondern um Hunderte von Kirchen.
Manchmal ist es so, daß man physisch, materiell die Kirche dort nicht mehr erhalten kann, wo die Dörfer aussterben. Eine Ausnahme stellt hier nur Litauen dar, wo die Kirchen des Moskauer Patriarchats künstlich, als Alternative zum Katholizismus aufrechterhalten werden. Diese Kirchen können sich in keiner Weise selbst versorgen, der Priester kann kein Gehalt haben, es gibt keine Gläubigen, physisch gibt es sie nicht - alles sind Katholiken. Aber wenn es eine katholische Kirche an einem Ort gibt, dann muß auch unbedingt eine orthodoxe Kirche in der Nähe sein, und von irgendwo findet man die Mittel. In allen anderen Gebieten wird die Kirche einfach geschlossen, wenn die Gemeinde die Steuern für das Grundstück nicht bezahlen kann, wenn niemand da ist, der die Kirche in Ordnung hält, die Rechenschaftsberichte schreibt usw., und wenn es nicht genügend Geld gibt, um einen Priester zu bezahlen. Nicht die Kirchengemeinden, sondern das Exekutivkomitee der Partei, schließt die Kirche. Ob die Gläubigen dagegen protestieren oder nicht - keiner erfährt davon. Die Dörfer schwinden ja vor unseren Augen dahin. In den Städten aber werden Kirchen nicht geöffnet. Das alles geht sehr still vor sich. In der Provinz wurde eine Kirche geschlossen - so ist das nun einmal, aber niemand weiß darüber. Eine genaue Statistik wird weder das Moskauer Patriarchat noch die Sowjetmacht publizieren.
Wenn das Moskauer Patriarchat eine freie Stim-me hätte und erklären würde, daß diese oder jene Kirche in Schwierigkeiten ist, dann würden sich viele Menschen finden, die alles zurücklassen wür-den, um dort zu leben und zu dienen, und sie wür-den alles wiederherstellen. Wenn das Moskauer Patriarchat das Recht hätte, von seinem Konto zur Wiederherstellung oder Unterstützung dieser oder jener Kirche etwas auszuzahlen, dann würde sich die Lage völlig ändern. Das würde wirklich den Sta-tus einer juristischen Person bedeuten. Dann wür-den Kirchen geöffnet und nicht geschlossen wer-den. So aber werden Millionen in einer Kirche gehortet, in einer anderen gibt es keinen Heller, und man hat kein Geld zum Überleben. Neue Kirchen werden nicht geöffnet, und in denen, die es gibt, ist es so eng, daß man kaum zelebrieren kann. Die-se Enge ist auch eine Politik; die Kirchen sind vollgepfercht - das freut die Ausländer, aber der Pries-ter kann keine Beichten abnehmen. Wenn noch 300 Menschen beichten wollen, und die Liturgie schon begonnen hat, wie ist das zu schaffen? Eine vollgestopfte Kirche kann die Funktionen der Kir-che nicht erfüllen, sie kann nicht dem dienen, wo-zu die Kirche gebaut wurde.
Heute hat  die Russische Orthodoxe Kirche  Priestermangel. Ist eine Veränderung dieser Lage möglich?
Die Zahl derer, die ins Seminar eintreten wollen, ist sehr hoch, das schafft Lehrplatzbeschränkung. Zu meiner Zeit gab es 6 Kandidaten für einen Platz. Die Aufnahme geschieht mit Erlaubnis und Gutheißen des Rates für Religionsangelegenheiten. Wenn ein Mensch sein Andersdenken zeigt, kann er natürlich nicht mit einer Aufnahme rechnen, man wird ihn nicht aufnehmen. Zu meiner Zeit kam ein junger Mann in das Seminar, er hatte in der Stadt Gorkij unterschrieben, als die Menschen dort dafür kämpften, daß eine Kirche geöffnet würde (dieser erfolglose Kampf dauerte 10 Jahre, Tausende von Unterschriften wurden gesammelt, ohne daß erlaubt wurde, eine Kirche zu eröffnen -Red.). Diese seine Unterschrift führte dazu, daß er letztlich nicht aufgenommen wurde. So sagte man es ihm auch.
In der Russischen Kirche ist es nicht unbedingt erforderlich, ein Seminarium abzuschließen, um geweiht zu werden. Es gibt viele Menschen, die den Gottesdienst kennen, genügend gebildet sind und die Priesterweihe erbitten würden, wenn es nur in irgendeiner Weise verwirklichbar wäre; wohin man sie auch immer schicken würde, sie würden hinfahren. Wenn die Bevollmächtigten und die Sowjetmacht keine Hindernisse aufbauten, gäbe es genügend Priester! Und gute Priester.
Wenn die Bischöfe sie weihen dürften?
Ja, wenn man es den Bischöfen erlauben wür-de, und wenn sie selbst das wollten. Manchmal verbieten sie sich selbst sogar das, was ihnen die Sowjetmacht noch nicht verboten hat. Die  "Zeit-schrift des Moskauer Patriarchats" wird so herausgegeben, daß sie in dem Rat der Religionsangelegenheiten gar nicht mehr überprüft zu werden braucht. Das ist ein Musterbild der Selbstzensur.
Vater Wladimir, aber wo ist denn Hoffnung?  Sie haben gesagt, es gibt Hoffnung.
Es stimmt natürlich, hoffen muß man immer auf Gott.
Ja, die Hoffnung ist auf Gott allein. Aber auch auf die Menschen, die dennoch in Gott leben. Es gibt Menschen, die ehrlich in Gott leben. Es ist un-möglich, die Zahl zu nennen oder Statistik zu betreiben. Sehr vieles ist verborgen, vieles unbekannt, und es gibt wenig konkrete Angaben. Es gibt die Kirche, es gibt Gläubige, Gruppen orthodoxer Gläubiger, die keiner Zensur und keiner Bevormundung unterworfen sind. Sie sind sehr ver-schieden, aber es sind Menschen, die von der Orthodoxie leben, durch die Wahrheit, die bestens verstehen, was die Sowjetmacht ist, und sie richtig einschätzen. Ich glaube, auf diese Menschen kann man hoffen. Sie sind nicht so sichtbar, stechen nicht hervor, und nicht sehr oft hört man sie.
 
Gibt es auch  junge Menschen?

Sehr sehr viele junge. Aber man muß sagen, daß viele von den jungen, die alles sehen, was um sie herum geschieht, es nicht ertragen können, im Moskauer Patriarchat zu bleiben. Oft werden sie Baptisten, aber nicht in einer offiziellen baptisti-schen Gemeinde, sondern sie gehen zu den nicht registrierten Baptisten, zu den Pfingstlern. Und andererseits gibt es auch eine orthodoxe Katakombenkirche. Und diese kann in den Umständen leben, in denen all diese Zeit die Uniaten sich befan-den, die offiziell nicht existieren dürfen. Ich hatte viele Kontakte sowohl mit Uniaten, als auch mit Initiativ-Baptisten, als auch mit Litauischen Katholi-ken. Ich muß sagen, daß die uniatische Kirche erstaunlich ist. Ich habe eine Bekannte in Cervonnyj-Grad in der Westukraine - ein sehr aktives Mäd-chen. Sie wollte eine Kirche in Cervonnyj-Grad öff-nen lassen und kämpfte dafür. Es ist ein erstaunliches junges Mädchen. Sie sieht aus als wäre sie 15 Jahre alt. Sie sammelte 15.000 Unterschriften, um eine Kirche zu öffnen. Beim ersten Mal brachte sie 3.000 Mann vor das Gebäude des Rayon-Exe-kutivkomitees, um die Öffnung der Kirche durchzusetzen. Beim nächsten Mal - 2.000. Natürlich wird sie vom KGB und den Machthabern verfolgt. Mit ihr sprach ich in Moskau. Ich sagte zu ihr: "Mari-annchen, wie ist denn das? Sie gehören zur Ukrainischen Kirche  und kämpfen für die Öffnung einer Kirche, deren Gemeinde unter dem Patriarchat sein wird?". Sie antwortet: "Na und, man erlaubt uns keine griechisch-katholische, laß sie doch, soll Pimen sein - sagt sie ganz in ihrer einfachen Spra-che - egal, wir machen dann ja doch alles so wie es uns paßt!"
Und diese ukrainische katholische Katakombenkirche ist riesig groß. Sie verbirgt sich, aber nicht mehr so sehr, weil es sehr viele sind. Deshalb konnten sie vor kurzem über ihr Verlassen des Untergrundes offen sprechen. Man antwortete ihnen "Nein!" Aber sie machen weiter.
Was Rußland betrifft, so ist die Lage komplizierter. Viele Menschen, die 20-30 Jahre in Lagern verbracht haben, die sehr litten, leben in und durch die Kirche bis zum heutigen Tage. Sie gehen keinerlei Kompromisse ein. In der Regel teilt sich die-se Kategorie von Menschen, die sozusagen unzensiert sind und der Sowjetmacht sich nicht un-terordnen, in zwei Teile: solche, die den Sowjetpaß annehmen, und solche, die ihn nicht in die Hand nehmen. Einige von ihnen meinen, daß der Sowjetpaß - die "666" sei (vgl. Apokalypse13,18), das Zeichen Satans, und daß man diese Abscheulichkeit nicht in die Hände nehmen dürfe.  Zwischen diesen Menschen gibt es Meinungsverschiedenheiten, Streitigkeiten, Uneinigkeit, aber dies hat internen Charakter und bezieht sich nur auf gewisse Eigenschaften der verschiedenen Gemeinden. Doch man kann sagen, daß es bis zum heutigen Tage Namensverehrer, Johanniten, Joseflia-ner gibt, ebenso wie die kaukasischen Mönche. Alles das unterscheidet sich nicht von den Angaben, die 1915, ich glaube durch Svencickij über den Kaukasus publiziert wurden, als er die Mönche in den Bergen beschrieb. Sein Buch liest sich so, als sei es heute geschrieben. Und das bekämpfen die Machthaber sehr. Man fängt die Mönche ein, verurteilt sie zu Freiheitsstrafen, vernichtet sie.
(Anmerkung der Redaktion: 60 km von Suchumi entfernt wurde ein solches Untergrundkloster vernichtet. 18 Personen verbargen sich in einer Höhle. Von einem Hubschrauber wurde eine Ton-ne mit brennbarer Flüssigkeit an den Eingang der Höhle heruntergelassen und gezündet. Alle in der Höhle befindlichen Menschen starben - G2W 1983, Nr. 12, S. 11).
Diese Menschen nehmen nicht nur keine Päs-se in die Hände, sondern lehnen es oft auch ab, eine Bestätigung ihrer Freilassung aus der Haft anzunehmen. Und es gibt viele. Unter ihnen gibt es auch junge Leute. Eine andere Sache ist es, daß man nur schwer in Kontakt mit ihnen treten kann, daß es sehr kompliziert ist, sie zu erreichen. Wer ehrlich sucht und sich zu allererst an Gott wendet, findet sie.
Sie sagten, daß Sie viele Kontakte mit anderen Konfessionen hatten. In Moskau gibt es also Kommunikation unter Menschen verschiedener Glaubensrichtung?
Ja natürlich, wenn diese Kommunikation frei ist, wenn sie aufrichtig ist, wenn die Menschen nicht irgendwelche private Ziele verfolgen, sondern all das offenherzig ist, dann ist eine solche Kommuni-kation wunderbar. Sie unterscheidet sich von den Begriffen des Moskauer-Patriarchats-Ökumenis-mus, der auf rein offizieller Ebene eingepflanzt wird. Demgegenüber entstehen hier warme und sehr freundliche, sehr offene Beziehungen, die so nahe sind, daß man sich immer aufeinander verlassen kann. Ich kann mich immer auf Nijole Sadunajte verlassen, auf das, was sie sagt, was sie tut... Hierbei werden in der Regel theologische Fragen nicht berührt, solche die eine unmittelbare Beziehung zur Konfession haben... Wir alle haben ein und dasselbe Problem: alles ist schwer und kompliziert, der Atheismus läßt niemanden leben, wer immer du auch bist; diese Schwierigkeiten vereinigen die Menschen. Ich spreche nicht vom Kampf mit dem Kommunismus, sondern von den Schwierigkeiten, die das Los des gläubigen Menschen sind. Das eint, schafft den Willen einander zu helfen...
Auf der Grundlage all dessen, was Sie erzähl-ten, kann man meinen, daß die Absicht der Sowjetmacht gegenüber der Kirche, gegenüber dem Begriff der Religion, gegenüber dem Glauben an Gott unverändert geblieben ist.
Die Absicht ist die Vernichtung. Einfach die Vernichtung. Die Form wandelt sich: wenn früher der Terror vorherrschte, so wird die Kirche jetzt anders zerstört - alle Kirchen werden von innen her zerstört.
Das ist noch furchtbarer.
Ja, das ist das Furchtbarste. Das ist die Hauptwaffe des Atheismus heute: sie machen alles von innen her. Es gibt eine kleine Broschüre des be-rüchtigten Gordienko, eines atheistischen Propagandisten, Verlag "Wissenschaft und Wissen", Preis 10 Kopeken.
Diese Broschüre heißt "Russische Orthodoxe Kirche 1920 - 1980". Gordienko kommt auf diesen wenigen Seiten zu dem Schluß, daß alles das, was die "Erneuerer" nicht geschafft haben, - sie hätten es in den 20-30-er Jahren zu eilig gehabt - jetzt vollkommen von dem Moskauer Patriarchat in den 80-er Jahren vollendet wurde. Und er legt dies alles ziemlich kenntnisreich dar. (Anmerkung der Red.  In einer anderen atheistischen Arbeit heißt es: "Die Altkirchler waren unter dem Druck des Lebens selbst gezwungen, zu den Positionen der Erneuerer hinüberzuwechseln. Dies haben sie auch getan, aber unter ihrem eigenen kirchlich-ad-ministrativen Banner.. die Masse der Gläubigen konnte den Erneuerern ihre frühere 'Sünde', näm-lich das 'Verderben des Glaubens' und die 'Verfäl-schung der Orthodoxie' durch ihre kirchlichen Reformen, nicht verzeihen. Die Altkirchler aber erklär-ten den Gläubigen lauthals (sie stellten ja diesen Fehler der Erneuerer in Rechnung), daß sie 'die Bewahrer des althergebrachten Glaubens' seien, und damit eroberten sie das Vertrauen der Gläubi-gen... Die orthodoxe Patriarchatskirche nahm die von den Erneuerern vorbereitete Position ein. Der Übertritt der Patriarchatskirche auf die neuen Positionen war erzwungen: die Kirche mußte sich an die neuen Bedingungen anpassen, um sich vor dem Untergang zu retten und ihre Daseinsberechtigung zu wahren. Diesen für die Kirche rettenden Weg bahnten die Erneuerer..." - A. Schischkin, Wesen und kritische Beurteilung des Erneuerer-Schismas der Russischen Orthodoxen Kirche, vgl. Bote 1/1988, S. 22 Anm.15)
Erstaunlich, daß er das  alles so offen sagt.
Ich glaube, daß dies für den internen Gebrauch publiziert wurde, für die Lektoren der Gesellschaft "Wissen" und für Propagandisten.
In jedem Fall nicht für das westliche Publikum.
Gordienko vermerkt alle Fehler, Schwächen, Sünden des Moskauer Patriarchats, sogar den Bruch des kanonischen Rechts, und benützt all das gegen die Kirche, als Argument der atheisti-schen Propaganda.
Vater Wladimir, es gibt aber doch einen Widerstand gegen diese  Zerstörung der Kirche von innen? Nach Ihrem eigenen Beispiel und dem Bei-spiel jener Leute, mit denen Sie verbunden waren, kann man sagen, daß das nicht nur ein Widerstehen, sondern auch eine aktive Bewegung ist, die versucht, etwas zu sagen und zu tun. Wie ist Ihr Eindruck? Gibt es eine solche Bewegung, wächst sie, kann man hoffen, daß sie, wenn auch langsam und mit größter Mühe, doch wachsen wird oder...was glauben Sie?
Ich glaube, daß es eine Ausweitung und ein Wachstum der Aktivität gibt, daß dies wechselseitig verbundene Erscheinungen sind. Diese Prozesse sind ja nicht sozial und nicht ideologisch. Am Anfang hatte ich gar keinen Gedanken, zu widerstehen, und ich verstand auch nicht, wem ich widerstehen sollte. Und Gott stellte mich in eine ganz bestimmte Situation, auf die ich als Christ Antwort geben mußte. Es erscheint die Frage: Was hätte Christus geboten, was hätte er selbst in diesen Umständen getan? Eines war mir klar: ich muß immer als Christ handeln. Eben dies bestimmt die wachsende Aktivität. Ich meine, daß sie wächst; aber auch der Angriff gegen die Kirche wächst und verstärkt sich. Ein gläubiger Mensch, ein Christ, ob er orthodox, katholisch oder protestantisch ist, muß darauf reagieren, wenn er diesem Angriff begegnet. Und so ergibt es sich: der Christ wird ge-zwungen zu reagieren. Das habe ich gesehen. So fängt das alles an.
Und daraus ergibt sich dann....
In meinem Fall ergab sich der Konflikt. Und das ist oft so. Die Machthaber lassen nicht zu, daß der Konflikt sich friedlich löst und daß man ihn vergessen kann. Die Machthaber dulden keine halben Lösungen. Das System will, daß man sich ihm ganz hingibt. Und wenn Sie Widerstand leisten, dann muß das System Sie vernichten. Eine Mitte gibt es nicht. Entweder ich mußte zu einem sowjetischen Priester werden, oder - Gott sei Dank - Er half mir, diese folgenden Prüfungen zu vermeiden; d.h., es gefiel Gott so... (Das Gespräch wurde von Irina Ilovajskaja und Alexander  Ginzburg geführt).