Predigt zum 24. Herrentag nach Pfingsten (Eph. 2:14-22; Lk. 8:26-39) (11.11.2018)

Liebe Brüder und Schwestern,

 

obwohl es sich bei Erzählungen wie der von der Dämonenaustreibung im Lande der Gerasener nicht um ein Gleichnis, sondern um die Schilderung eines realen Ereignisses handelt, haben solche Berichte fast immer auch einen übertragenen Sinn - im Falle der Geschehnisse am östlichen Ufer des Sees Genezareth ist dieser allegorische Gehalt einer, der die menschliche Tragik im höchsten Maße zutage fördert. Worin besteht aber diese Tragik der Menschheit?

Bevor wir mit der Beantwortung dieser Frage beginnen, sollten wir zunächst klären, an wen die Botschaft gerichtet ist. Sicher kann man im von Dämonen geplagten Menschen die gesamte Menschheit sehen, die trotz technologischen Fortschritts und sozialer Errungenschaften die globalen Probleme nicht in den Griff bekommt, oder unsere industriealisierte Gesellschaft, in der seit Jahrhunderten bewährte Konventionen achtlos über Bord geschmissen und an ihrer Stelle moderne, angeblich bahnbrechende Ideen ungeprüft übernommen werden - mit weitreichenden Folgen für die gesamte Schöpfung. All das Leid dieser Welt ist gewiss beträchtlich, doch auch darin besteht nicht hauptsächlich die Tragik (s. Röm. 8:18).  Gesellschaftskritik sollen andere üben - nicht dieses Ziel verfolgt das Evangelium. Gegen eine derartige soziologische Herangehensweise spricht zudem die innere Logik des Neuen Testaments, denn direkte Adressaten der Botschaft Christi sind nicht Außenstehende (die das Evangelium sowieso nicht hören und lesen), sondern immer wir, die Gläubigen. Also auch im Falle des von teuflischer Macht heimgesuchten Geraseners??!..

Ich würde es nicht wagen, in diesem besonderen Fall den Vergleich mit anderen Menschen zu ziehen, weil ich in ihr Innerstes nicht hineingucken kann. Von mir selbst aber weiß ich, dass wenn man mich auf eine rote Couch legen würde und ich mit unerbittlicher Offenheit mein Innenleben vor Ihnen entblössen müsste, - Sie würden mich unvermittelt in eine Anstalt einweisen wollen. Das, was in meinem Verstand, in meinem Herzen und in meinem Körper vor sich geht, ist bei ehrlicher Selbstbetrachtung ein Tummelplatz für boshafte Gedanken, ekelhafte Emotionen und lüsterne Leidenschaften. Ich allein bin dagegen vollkommen machtlos, ich will das nicht, aber es treibt sein Unwesen in mir (vgl. Röm. 8:14-23), wenngleich ich es vor der Außenwelt - mit Ausnahme des Beichtvaters - zu verheimlichen vermag. Aber es kommt ganz sicher der Tag, an dem ich das nicht mehr können werde (s. Mt. 10:26 und Lk. 8:17). Wie also kann ich diesem Ungemach entrinnen?: "Ich unglücklicher Mensch! Wer wird mich aus diesem dem Tod verfallenen Leib retten? Dank sei Gott, durch Jesus Christus, unseren Herrn! Es ergibt sich also, dass ich mit meiner Vernunft dem Gesetz Gottes diene, mit dem Fleisch aber dem Gesetz der Sünde" (Röm. 8:24-25). Zu meinem Glück habe ich einen Arzt (s. Mt. 9:12; Mk. 2:17; Lk. 5:31), Der mir als Arznei Seinen Leib zur Speise und Sein Blut zum Trank schenkt.

Und nun stellen Sie sich doch mal einen gemeingefährlichen Wahnsinnigen, einen Psychopaten, einen Triebtäter vor, der dank der ihm vom Arzt verschriebenen Medikamente dauerhaft ruhiggestellt werden und ein völlig normales Leben führen kann. Doch dann kommen seine "guten Freunde" und überzeugen ihn, die Psychopharmaka abzusetzen: "Du brauchst das nicht. Du bist nun mal so wie du bist; sei also einfach nur du selbst!" ...

Gegen teuflische Einwirkungen können wir allein nicht ankommen. Jedermann in dieser Welt wird Opfer dieser dämonischen Anschläge, auch wenn es kaum einer selbst wahrnimmt. Aber nicht das ist das wirklich Tragische. Wovon in unserer Erzählung ist bildhaft die Rede? - Da kommt Christus, Der nur durch ein Wort eine ganze Armee von Dämonen austreiben kann, - und die moderne Menschheit schickt Ihn fort: "Geh bitte weg von uns! Wir brauchen Dich hier nicht..."

Wir haben einen Arzt, Der die uns innewohnenden seelischen Krankheiten zu heilen imstande ist. Gut, ich bleibe der Sünder, der ich immer war, aber jetzt habe ich in dem einen Geist Zugang zum Vater, denn Christus stiftete Frieden und versöhnte uns alle durch das Kreuz mit Gott in einem einzigen Leib. Er hat in Seiner Person die Feindschaft getötet. Er kam und verkündete den Frieden. Wir sind also nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes (s. die heutige Epistellesung). Die Sünde ist immer noch in mir, aber durch die Arznei, die ich in dem einen Leib Christi erhalte, wird sie unwirksam in mir. Ohne Beichte und Kommunion würde ich zum Spielball der Dämonen. So aber bin ich der glücklichste Mensch der Welt, müsste unaufhörlich Dankesgebete gen Himmel senden, denn ich bin Hausgenosse Gottes, ein "Fleisch und ein Blut" mit Christus, meinem Gott! - "Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns?" (Röm. 8:31b).

Noch sind wir nicht am Ziel. Wir Christen sind nicht als Wellness-Touristen in diese Welt gekommen, die Genuss- und Vergnügungssucht antreibt, sondern als Pilger (s. Ps. 38:13; Hebr. 13:14), die ihr Ziel vor Augen haben, das freilich nur auf sehr beschwerlichem Wege erreicht werden kann. Wie sonst könnten wir denn unsere Treue und Dankbarkeit unserem Herrn gegenüber beweisen?!.. Nehmen wir uns daher ein Beispiel an den unzähligen Märtyrern, die in Stücke zerhackt, auf kleiner Flamme gebraten und auf stählernen Pfannen geröstet wurden, dabei jedoch jubelten und Gott verherrlichten! Also müssen auch wir diese Bereitschaft aufbringen, die Herausforderungen und Prüfungen, welche dieses irdische Leben mit sich bringt, mit Freude anzunehmen. Nur so können wir im Glauben gestärkt werden. Einen anderen Weg, Gott unsere bedingungslose Treue zu bekunden, gibt es nicht! Amen.

Jahr:
2018
Orignalsprache:
Deutsch