Predigt zum 20. Herrentag nach Pfingsten und zum Fest des Schutzes unserer Allerheiligsten Gebieterin, der Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria (Gal. 1:11-19; Hebr. 9: 1-7; Lk. 6:31-36; Lk. 10: 38-42; 11: 27-28) (14.10.2018)

Liebe Brüder und Schwestern,

 

die Sonntagslesung aus dem Evangelium nach Lukas scheint zunächst oberflächlich lediglich die goldene Regel auszudrücken, die da besagt: "Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen" (Lk. 6:31). Eine Regel, die nicht die Quintessenz oder gar den Zenit der Lehre des Evangeliums ausdrückt, sondern eher bloß die Grundvoraussetzung für jegliches menschliche Zusammenleben festlegt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch die Steinzeitmenschen einen in etwa auf diesem minimalen Grundsatz basierenden Moralkodex gehabt haben könnten, durch den sie sich um eine ganze Entwicklungsstufe von den Primaten abgehoben haben. Wer also danach handelt ist noch kein Christ; aber als Christ kann man nicht umhin, diese Prämisse zu erfüllen... Erst im weiteren Verlauf Seiner Rede kommt unser Herr zur Sache: "Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür? Auch die Sünder lieben die, von denen sie geliebt werden" (Lk. 6:32). Weiter im Text: "Ihr sollt aber eure Feinde lieben und Gutes tun und leihen, auch wo ihr nichts dafür erhoffen könnt" (6:35a; vgl. Röm. 12:20). Das ist schon radikal, besonders im kulturellen Milieu der Juden zu Zeiten Jesu. Kein Zweifel, es ist eine Maximalforderung, die dem Menschen alles abverlangt. - Kann man wirklich alle lieben, ohne jede Ausnahme?!.. Auch ich denke oft über die Erfüllbarkeit dieses einzigen imperativen Gebots des Neuen Testaments nach (s. auch Joh. 13:34; 15:12,17; 1 Petr. 1:22; vgl. dazu Mt. 5:3-12; 16:24; Mk. 8:34; Lk. 6:20-26). Inspiration fand ich neulich im Spielfilm "Der Mönch und der Dämon" (russ. "Монах и бес"; Russland 2016). Die Handlung spielt im Russland der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ein vagabundierender Mönch bittet um Aufnahme in ein Kloster. Er redet nur wirres Zeug, wird von den anderen Mönchen als verrückt oder vom Teufel besessen angesehen. Bei der Beichte bekennt er dem Abt des Klosters, dass ihm die Fähigkeit abgehe zu hassen, dass er immer jedem alles verzeiht. Er wird malträtiert und schikaniert, aber alles, was er anpackt, führt er wie seinerzeit Jakob im Hause Labans oder Josef im Hause Potiphars zu einem glänzenden Ende. Als Zar Nikolai I wegen eines Schadens an seiner Karosse notgedrungen Halt macht im Kloster (eine für russische Straßen nicht konzipiertr Radfeder englischer Bauart war kaputt gegangen), kann durch die wundertätige Kraft dieses Mönches am nächsten Morgen die Weiterfahrt des Herrschers gewährleistet werden, wofür sich der Monarch dem Kloster gegenüber erkenntlich zeigt. Dennoch will man den vermeintlich irrsinnigen Mönch loswerden. Zunächst bindet man ihn an ein Floß und bringt ihn zum nahegelegenen Fluss, damit er möglichst weit entfernt flussabwärts von irgendjemand gefunden wird. Aber trotz mehrfacher Versuche kommt das Floß jedesmal gegen die Strömung zurückgeschwommen. Schließlich setzt man ihn fernab vom Kloster allein im Wald in einer erbärmlichen Hütte aus. Zu allem Überfluss gesellt sich dort ein Dämon (in menschlicher Gestalt) zu ihm, der ihn in dieser kargen Einöde durch leckere Speisen, materielle Güter und sinnliche Vergnügungen verführen und vom Weg des Heils abbringen will. Aber selbst diesen hinterhältigen und bösartigen Peiniger liebt der Mönch. Er ist unfähig zu hassen. Zum Schein gibt er den Verlockungen des Dämons nach, ringt ihm dafür aber eine Reise durch die Luft nach Jerusalem ab. Und siehe da! - Er überredet den Dämon sogar, die Grabeskirche, den Ort unser aller Erlösung, zu betreten! Der Dämon fängt langsam an, sein von unterster Stelle designiertes Opfer zu lieben. Als sie wieder nach Russland einreisen, werden beide mit Peitschenhieben begrüßt, weil der Mönch, wie immer, wirres Zeug redet und auch etwas mit den Papieren nicht stimmt. Er überlebt diese Tortur nicht. Weinend sieht der arme Dämon zu, wie die reine Seele des Mönches aus dem Leibe gen Himmel entschwindet. Die Geschichte endet damit, dass nun der durch Feindesliebe bekehrte Dämon an die Tür desselben Klosters klopft, an der zuvor unser Mönch um Aufnahme ersucht hatte. Nun will also der Dämon die Heiligkeit erlangen...

Spontan dachte ich dabei, dass auch unser Gemeindepatron, der selige Isidor, der Misshandlungen förmlich auf sich zog, auf ähnliche Weise unfähig gewesen sein muss, irgendjemanden zu hassen. Vom hl. Serafim von Sarov ist verbrieft, dass er von drei Banditen halbtot geschlagen wurde und von da an verkrüppelt war, doch er weigerte sich strikt (und gegen jegliche Vernunft), vor Gericht gegen die drei Verbrecher auszusagen. Auch er war hassunfähig. Und das, liebe Brüder und Schwestern, ist die wahre Nachfolge Christi. Christi "Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf" (1 Kor. 13:4-8a). Und für uns fromme Christen bedeutet das, dass selbst prophetische Rede, Kenntnis aller Geheimnisse, Berge versetzende Glaubenskraft, bedingungslose materielle Opferbereitschaft und sogar der freiwillige Märtyrertod - und damit natürlich all unser religiöses, soziales oder karitatives Wirken - völlig wertlos sind, wenn wir nicht diese grenzenlose Liebe Christi in uns haben. Christus "riss durch Sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder" und versöhnte "durch das Kreuz in Seinem einzigen Leib; Er hat in Seiner Person die Feindschaft getötet" (Eph. 2:14,16). Jede Form von Feindschaft - sei es ethnischen, politischen oder religiösen Ursprungs - überwand Christus durch Seine Liebe, wobei Er die damals gültigen gesellschaftlichen Normen außer Kraft setzte und das Establishment gegen Sich aufbrachte: Die kanaanäische Frau, die für die Juden nicht besser als ein Hund war, lobte Er für ihren Glauben, nachdem sie voller Demut ihresgleichen selbst mit den Hunden verglichen hatte (s. Mt. 15:26-28); den Hauptmanns von Kapernaum, einen Vertreter der verhassten Okkupationsmacht, pries Er öffentlich dafür, dass dieser einen Glauben offenbarte, der in ganz Israel vergeblich seinesgleichen suchte (s. Mt. 8:10; Lk. 7:9); dem dankbaren Samariter, der zwar wie die Juden an den einen Gott glaubte, aber die Propheten Israels nicht anerkannte und dessen selbsternannte Priesterschaft statt in Jerusalem auf dem Berg Chorazim dem Herrn opferte, gab Er zu verstehen, dass ihm dessen Glaube geholfen habe (s. Lk. 17:19). Keinem dieser "natürlichen Feinde" versagte unser Herr Seine Güte! Die einzigen, mit denen Sich unser Herr niemals verständigen konnte, waren ja gerade die rechtgläubigen Schriftgelehrten und Pharisäer! Und von uns erwartet der Herr jetzt, dass wir nicht nur richtig glauben (das tun bekanntlich auch die Dämonen - s. Jak. 2:19), sondern richtig l(i)eben. Nur so können wir Gott richtig preisen, nur so sind wir ortho-doxe Christen.

Inquisition und Kreuzzüge, Zwangsbekehrungen indigener Völker haben unterm Strich die Probleme in der Welt nur verschärft, nicht gelöst. Feuer und Schwert sind unvereinbar mit dem Geist des Evangeliums. Wir verfügen ohnehin nicht über die politischen, finanziellen oder militärischen Mittel, die ganze Welt unter christliche Herrschaft zu bringen. Gott sei Dank! Was wir aber haben, sind Menschen, die uns heute das Leben schwer machen oder die uns in der Vergangenheit großes Leid zugefügt haben. Unser Herr will von uns, dass wir unsere gesamte Kraft dafür aufwenden, ihnen und allen Mitmenschen gegenüber ähnlich "hassunfähig" zu werden wie der besagte Mönch aus dem Spielfilm.

Die grenzenlose Liebe Christi - symbolisiert durch Sein Kostbares und Lebenspendendes Kreuz - ist die stärkste Kraft in dieser Welt. Sie hat uns das Paradies wieder zugänglich gemacht, sie hat auch zur Ausbreitung der Frohen Botschaft vom Reich Gottes in der ganzen Welt geführt. Für unseren Herrn ist die Seele jedes einzelnen Menschen unendlich kostbar, wertvoller als die ganze sichtbare Welt (s. Mt. 16:26; Mk. 8:36; Lk. 9:25). Gott könnte höchstselbst alle Menschen zur Heiligung berufen, doch stattdessen hat Er uns Christen zur Verkündigung Seiner Liebe eingesetzt und uns die Freiheit geschenkt, die mit der Verantwortung für alle unsere Mitmenschen einhergeht.  

Für einen Christen muss es möglich sein, jegliche Feindschaft zu überwinden, denn Christus hat es Selbst vorgemacht, als Er ans Kreuz geschlagen wurde (Lk. 23:34; vgl. Röm. 5:10; Kol. 1:21-22). Lasst uns unfähig sein zu hassen! Beginnen wir damit in unserer Familie, in unserer Gemeinde, in unserem Freundes- und Bekanntenkreis. Was wird das für eine Kraft sein, wenn wir alle miteinander im Leib Christi in Liebe vereint mit der Mutter des Herrn, den heiligen Engeln mitsamt aller Heiligen zusammenstehen werden?!.. Eine Kraft, der nichts und niemand in dieser Welt etwas entgegensetzen könnte. Amen.

Jahr:
2018
Orignalsprache:
Deutsch