Predigt zum 6. Herrentag nach Ostern / Gedächtnis des Blindgeborenen (Apg. 16: 16-34; Joh. 9: 1-38) (13.05.2018)

"Ich bin das Licht, das in die Welt gekommen ist, damit jeder, der an Mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibt" (Joh. 12:46)

 

Liebe Brüder und Schwestern,

 

der letzte Herrentag der Osterzeit ist dem Gedächtnis des Blindgeborenen gewidmet, dem der Herr das Augenlicht schenkt. Die heutige Evangeliumslesung lässt einige erhellenden Einblicke in dessen Seelenleben zu. Bemerkenswert ist z.B. die Treue gegenüber dem Wohltäter, obwohl er sich der Gefahr bewusst war, aus der Synagoge ausgestoßen zu werden. Ohne jegliche theologische Vorbildung stellt dieser Mann die Ignoranz der Pharisäer bloß (s. Joh. 9:30-33). Und anders als seine Eltern und viele mit ihnen verleugnete er seinen Glauben an den Herrn Jesus Christus nicht (s. Joh. 9:22-23 und 9:30-34).

Das geschilderte Ereignis steht in einer Reihe mit denen vom Gelähmten und der Samariterin. Die körperliche  Regungslosigkeit ist die Versinnbildlichung unser aller seelischer Paralyse, da wir im geistlichen Sinne wie fruchtlose Feigenbäume vor dem Herrn sind. Die sittliche Verirrung der Samariterin steht für unsere bornierte Orientierungslosigkeit, denn obwohl wir die Wahrheit und den Weg des Heils kennen, suchen wir trotzdem immer noch nach unverbindlichen Alternativen, um das leichte Joch Christi nicht auf uns nehmen zu müssen. Folgerichtig sehen wir in der Blindheit des geheilten Mannes einen deutlichen Hinweis auf die Krankheit unserer seelischen Augen. Doch überall stellt uns der Herr Seine Hilfe in Aussicht. Der seelischen Starre, dem moralischen Irrgang sowie der geistlichen Blindheit kann durch Jesus Christus abgeholfen werden. Das wahre Wunder geschieht demzufolge nicht in der Öffnung der leiblichen Augen, sondern in der Erkenntnis des Erlösers, Der das "Licht der Welt" (Joh. 8:12; 9:5) ist. Also wird der nun an den Menschensohn Glaubende in zweifacher Hinsicht - an Leib und Seele - von Blindheit geheilt.

Das Johannesevangelium zeigt uns drei Bekehrungsmuster: Der Gelähmte erlangt seine Gesundheit quasi aus dem Stand, ohne auf die Annahme des Erlösers im Herzen hingewiesen oder vorbereitet worden zu sein. Warum dies in dem Fall so geschah, können wir mit unserem irdischen Verstand nicht begreifen, aber wir können erkennen, dass es dem Seelenheil nicht zuträglich war, da dieser Mann kurz darauf seinen Wohltäter an die Juden verrät (man ist hierbei geneigt, eine Parallele zu jenen ungeduldigen Taufbewerbern zu ziehen, die sich gleich von heute auf morgen der Kirche anschließem wollen, ohne deren Leben wenigstens anfänglich in ihrer Spiritualität, im Glauben und in ihrer liturgischen Vielfalt kennengelernt zu haben). Positive Ergebnisse zeitigt dagegen das ausführliche, aber nicht aufdringliche Gespräch mit der Samariterin sowie die etwas umständlich anmutende aber ganz gewiss nicht sinnlose oder überflüssige Prozedur der Abwaschung im Teich Schiloach im Falle des Blindgeborernen. Für die Samariterin spricht hier, dass sie sich belehren und bekehren ließ; für den Blinden spricht, dass er das Bestreichen der Augen mit Speichel und Erde (s. Joh. 9:6-8) ohne zu murren über sich ergehen ließ (vgl. 4 Kön. 5:9-12). Beides steht nämlich für das schrittweise Heranführen in die Gemeinschaft mit Christus. Erst wenn die alten Verirrungen erkannt und der sündhafte Lebenswandel abgelegt worden ist, kann das Licht Christi durch das Mysterium der Taufe in den Herzen der Menschen erstrahlen! Geschieht dies vorher nicht, ist die Gefahr groß, dass "der Hund zu dem zurückkehrt, was er erbrochen hat" und "die gewaschene Sau sich wieder im Dreck wälzt" (s. 2 Petr. 2:22; vgl. Spr. 26:11). Und solche Fälle hat es schon zuhauf gegeben. Ich verurteile niemanden dafür. Vermutlich sind die Gründe für ihren Abfall wie im Gleichnis vom Sämann illustriert (s. Mt. 13:19-22; Mk. 4:15-20;  Lk. 8:12-14). Mich erstaunt aber etwas anderes: Niemand wird doch jemals von uns gedrängt oder überredet, den orthodoxen Glauben anzunehmen. Alle, die sich der orthodoxen Kirche anschließen, tun dies auf eigenen Wunsch und aus voller Überzeugung, dass dies die Kirche Christi ist (nämlich die Eine, Heilige, Katholische und Apostolische). Diesen Glauben bezeugen sie feierlich vor dem Kreuz und dem Evangelium im Beisein der Gemeinde. Wenn sie dann aber (meistens schon nach kurzer Zeit) abtrünnig werden, tun sie so, als habe dieses feierliche Glaubensbekenntnis nie stattgefunden. Irgendein anderer ist immer schuld, dass sie in der Kirche Christi nicht heimisch geworden sind, nur nicht die Betreffenden selbst. - So, als ob sie diese verantwortungsvolle Entscheidung nie selbst getroffen hätten, sondern diese ihnen aufgezwungen worden wäre...

Als unser Herr Jesus Christus Seine Aposteln in alle Welt sandte, befahl Er ihnen: "Geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu Meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was Ich euch geboten habe" (Mt. 28:19-20). In der Weiterführung dieses Missionsauftrages sind alle Glieder der Kirche berufen, dem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die uns erfüllt (s. 1 Petr. 3:15). Der Herr heilt unsere verstockten Herzen auf liebevolle Art. Ebenso sollen auch wir verfahren: "Antwortet bescheiden und ehrfürchtig, denn ihr habt ein reines Gewissen" (1 Petr. 3:16) und: "Seid weise im Umgang mit den Außenstehenden, nutzt die Zeit! Eure Worte seien immer freundlich, doch mit Salz gewürzt; denn ihr müsst jedem in der rechten Weise antworten können" (Kol. 4:5-6). Gut möglich, dass wir da noch einige Defizite haben... Es ist noch ein weiter Weg bis zu dem Moment, an dem die Empfänger der von uns verkündeten Frohen Botschaft ausrufen können: "Ich glaube, Herr!" (Joh. 9:38), und sich unumkehrbar und unwiderruflich vor Christus niederwerfen. Amen.  

Jahr:
2018
Orignalsprache:
Deutsch