Predigt zum Herrentag von der Samariterin (Apg. 11: 19-26, 29-30; Joh. 4: 5-42) (06.05.2018)

Liebe Brüder und Schwestern,

 

die noch andauernde nachösterliche bzw. vorpfingstliche Zeit ist eine zum frommen Nachdenken anregende Zeit. Die vielfältige liturgisch-theologische Thematik der Herrentage zwischen Ostern und Himmelfahrt/Pfingsten ist aber auch kohärent. Bei genauerem Hinsehen erkennen wir ein Leitthema, das sich wie ein roter Faden durch diese vierzig bzw. fünfzig Tage nach der Feier der Auferstehung zieht: die Treue. Der Apostel Thomas überwindet seinen anfänglichen Unglauben bei der abermaligen Erscheinung des auferstandenen Herrn, bekennt Ihn als seinen Herrn und Gott (s. Joh. 20:28) und bekundet Ihm seine Treue. Die Myron tragenden Frauen halten dem Herrn unverbrüchlich die Treue - selbst dann, als alles vergeblich gewesen und die Mission Christi kläglich gescheitert zu sein schien (s. Mk. 16:1-2). Auch Negatvibeispiele kommen hier zum Vorschein: der aufgerichtete Gelähmte, den der Herr am Schafstor nach 38 Jahren Siechtum geheilt hat, begeht einen beispiellosen Akt der Untreue, indem er seinen Wohltäter bei den Juden diffamiert (s. Joh. 5:15). Der sehend gemachte Blindgeborene (von ihm wird in einer Woche die Rede sein) erweist sich dagegen als treuer Diener des Herrn, Welcher ihm nicht nur das Augenlicht schenkte, sondern ihn vor allem von der Finsternis der Unkenntnis des Sohnes Gottes erlöste und dadurch zum Teilhaber des ewigen Lebens machte (s. Joh. 9:35-38, vgl. 17:3). Heute nun die Samariterin. Für sie war das so eine Sache mit der Treue (s. Joh. 4:16-18). Überhaupt ist diese Frau modellhaft für die meisten orthodoxen Christen von heute. Bestimmt ist sie keine böse Frau, sondern freundlich zu allen, hilfsbereit zu ihren Nachbarn. "Nett" eben. Aber wie steht es mit dem Glauben um sie? - Sie ist wohl eher nur lose an die eigene Tradition gebunden (s. Joh. 4:20), so wie die meisten orthodox Getauften eine lediglich partielle Identifikation mit ihrer "Nationalkirche" hergestellt haben. Diese Frau lebt vollkommen im Hier und Jetzt (s. Joh. 4:15), ohne nach Höherem zu streben, wodurch sich ihr Leben äußerlich kaum von dem einer Heidin unterscheidet. Darin gleicht sie unseren kirchenfremden Getauften, die sich zwar von der Kirche "nicht verbieten lassen" wollen, so zu leben wie sie es wollen, um die angenehmen Seiten des Lebens zu genießen, die aber dann, wenn die Kirche uns zur anhaltenden Freude über die Geburt oder die Auferstehung Christi aufruft, in ihre alltäglichen Sorgen verstrickt sind und sich darob gar nicht richtig freuen können.

Gerade jetzt befinden wir uns doch in dieser Zeit der österlichen Freude. Da ist kein Platz für Traurigkeit: "Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?" (Lk. 24:5) spricht der Engel zu den Myronträgerinnen; "Frau, warum weinst du?"" (Joh. 20:15) fragt der Herr die vor dem leeren Grab stehende Maria aus Magdala; "Freuet euch!" (Mt. 28:9) ruft der auferstandene Herr Jesus kurz darauf den übrigen Frauen zu. "Dies ist der Tag, den der Herr gemacht: Lasset uns jubeln und seiner uns freuen" (Ps. 117:24) und "Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut Euch!" (Phil. 4:4) - ruft uns die Kirche speziell in diesen gesegneten Tagen zu. Aber wie soll das gehen, wenn man sich auf diesen Tag überhaupt nicht vorbereitet hat und in unserer schnelllebigen Zeit schon am Ostermontag der Alltagstrott beginnt?! Dabei dauert das Osterfest bei uns eine ganze Woche und das Nachfest bis zum vierzigsten Tage.

Warum lassen wir aber diese Auferstehungsfreude vermissen? "Tod, wo ist dein Stachel? Hades, wo ist dein Sieg? Auferstanden ist Christus und du bist gestürzt. Auferstanden ist Christus und gefallen sind die Dämonen. Auferstanden ist Christus und die Engel freuen sich. Auferstanden ist Christus und das Leben triumphiert. Auferstanden ist Christus und kein Toter im Grabe. Denn Christus ist von den Toten auferstanden, der Erstling der Entschlafenen geworden" (Osterpredigt des hl. Johannes Chrysostomos). Der hl. Gregorios von Nyssa ergänzt: "Dieser Tag erleichtert jede Trübsal, und es gibt keinen Menschen, der so leiden würde, dass er keinen Trost in der Feier des Festes hätte".

Es scheint offensichtlich zu sein, dass nur der die Auferstehungsfreude empfinden kann, in dessen eigener Seele die Auferstehung Christi stattgefunden hat. "Gestern war ich mit Dir begraben, Christe! Heute werde ich mit Dir, dem Auferstandenen, auferweckt. Gestern wurde ich mit Dir gekreuzigt, Du Selbst verherrliche mich mit Dir, Erlöser, in Deinem Reiche" (Osterkanon, 4. Ode). Also erlangen wir das Paradies nur, wenn wir Gott die Treue halten (s. Lk. 16:9-13; Offb. 2:10). Der Glaube ist die höchste Form der Treue. Liebe ohne Treue ist nur Blendwerk (s. Mt. 12:39; 16:4; Mk. 8:38); ohne Treue ist der Mensch den Tieren moralisch unterlegen, denn der tollste Ehepartner, der coolste Freund, der fähigste Mitstreiter wird durch Treulosigkeit zum erbitterten "Ex".

Äußere Attribute sind im Evangelium nebensächlich. Nicht der Priester bzw. Levit, sondern der Samariter erfüllte das Gebot der Nächstenliebe (s. Lk. 10:25-37); von zehn geheilten Aussätzigen erwies nur ein Fremdling Gott die Ehre (s. Lk. 17:11-19); nicht der fromme Pharisäer, sondern der bußfertige Zöllner kehrte gerechtfertigt nach Hause zurück (s. Lk. 18:9-14); der zur elften Stunde gekommene Tagelöhner erhielt den gleichen Lohn wie der von der ersten Stunde an im Weinberg Tätige (s. Mt. 20:1-16)... Gott urteilt und verfährt nicht nach menschlichen Kriterien! - Durch einen offensichtlichen Tabubruch (s. Joh. 4:7-9) wird am Ende möglich, dass die verfeindeten Samariter (s. Lk. 9:52-53) Jesus als Messias erkennen. Ebenso können sogar heute noch viele scheinbar fremde Menschen durch uns Gottes Gnade erfahren und dann zu uns sagen: "Nicht mehr aufgrund eurer Aussage glauben wir, sondern weil wir Ihn selbst erkannt haben und nun wissen: Er ist wirklich der Retter der Welt" (Joh. 4:42). Amen.

Jahr:
2018
Orignalsprache:
Deutsch