Predigt zum 22. Herrentag nach Pfingsten (Gal. 6: 11 - 18; Lk. 16: 19-31) (05.11.2017)

Liebe Brüder und Schwestern,


wieder einmal beschäftigt uns der reiche Mann, der sich in Purpur und feines Leinen kleidete und tagtäglich einem opulenten Lebensstil nachging, während der kranke Bettler namens Lazarus vor seiner Haustür Hunger litt. Dieses Gleichnis ist - wie alle anderen Gleichnisse des Herrn - immer aktuell, drückt es doch die globale Schieflage sowie die soziale Ungleichheit in praktisch jeder existierenden Gesellschaft aus. Sicher spielen hier Systemfehler eine Rolle - es gibt Länder, die Rohstoffe aus Entwicklungsländern billig importieren und Fertigprodukte in dieselben Länder teuer exportieren; darüber hinaus ist die schulische und berufliche Chancengleichheit für Kinder aus sozial schwachen Familien selbst in reichen Ländern nicht zureichend gewährleistet - trotzdem ist die soziale Frage nicht Gegenstand der heutigen Predigt. Die wahre Ursache für jedwede Benachteiligung, Ausgrenzung und Ausbeutung ist die von Habgier und Vergnügungssucht geleitete Herzlosigkeit zahlreicher Menschen. Dieser Mangel an Liebe soll uns heute miteinander beschäftigen. Im Grunde ist es doch so: was die Kirche nicht tut oder lehrt, in den Augen ihrer Opponenten wird es verkehrt immer sein. Beschränkt sie sich auf das einzig Notwendige, heißt es: "Diese Popen denken nur an ihr Seelenheil anstatt sich den realen Problemen dieser Welt zuzuwenden"; beteiligt sich die Kirche hingegen aktiv am Leben der Gesellschaft, heißt es: "Warum beschäftigen sich diese Popen nicht mit dem, wovon sie eine Ahnung haben - mit Beten?!" - So ist es auch - und zwar direkt auf Gott bezogen - in der Frage von Paradies und Hölle. Wenn es ungerecht in dieser Welt zugeht oder großes Leid durch menschliche Bosheit geschieht, dann ist Gott ungerecht, weil er zulässt. dass die Missetäter ungestraft davon kommen. Entgegnet man darauf, dass es bei Gott für alle Belange eine absolute überirdische Gerechtigkeit gibt, wird man mit der Feststellung konfrontiert, dass die Bestrafung mit Höllenquallen einem liebenden Gott irgendwie nicht gut zu Gesichte stünde. All das ist menschliches Denken, welches mit der göttlichen Natur nichts gemein hat. Daher wollen wirnun versuchen, mit der uns nun mal zur Verfügung stehenden irdischen Denkweise die Gedankengänge Gottes nach menschlichem Ermessen zu ergründen. Gewiss ist es aus irdischer Sicht ungerecht, dass einer von Geburt an im Überfluss lebt, während der andere erbärmlich Not leidet. Aber aus Gottes Sicht hat sowohl der Reiche die Möglichkeit, sich durch Barmherzigkeit und Fürsorge gegenüber den Schwächeren und Minderbemittelten die Seligkeit im Paradies zu verdienen, als auch der Arme, wenn er (wie im Falle des Lazarus geschehen) sein Elend sanftmütig erträgt oder im Falle von ihm erwiesener Mildtätigkeit für seine Wohltäter betet. Am Ende fügt sich alles zusammen zu einem idealen Bild, das der allweise Künstler vor Anbeginn der Welt entworfen hatte. So gesehen sind Arme (potenzielle) Wohltäter der Reichen. "Alles hast Du in Weisheit gemacht" (Ps. 103: 24).

Bleibt noch die Sache mit der Hölle. Ist Gott dann ein unerbittlicher Rächer, wenn Er die Sünder in der Gehenna des Feuers schmoren lässt? Im vorliegenden Falle haben wir es ja nicht einmal mit einem durch und durch schlechten Menschen zu tun; er leidet ja nicht böser Taten wegen, sondern wegen unterlassener Hilfeleistung. Mag durchaus sein, dass ihn sein Gewissen zu Lebzeiten nicht geplagt hat, wie so viele Zeitgenossen heute, die trotz ausschweifender Lebensführung ruhig schlafen können, da sie ihren subjektiven persönlichen Urteilssinn für maßgeblich betrachten. Auch das ist, ähnlich wie das Richten seines Nächsten, eine kühne und eigenmächtige Vorwegnahme von Gottes Urteilsspruch. Der Mensch wird demnach nicht Opfer der "himmlischen Justiz", sondern seiner eigenen Gedanken- und Gefühlswelt. Was gereicht unserem Reichen denn zum Verderben? Er kannte Gottes Gesetz und die Heiligen Schriften (s. Lk. 16: 28), er kannte den Bettler vor seiner Toreinfahrt sogar beim Namen (s. Lk. 16: 24), folglich hatte er die Möglichkeit, sich durch ein tugendhaftes Leben seine Teilhabe am Reich Gottes zu sichern. Wie dem reichen Jüngling fehlte ihm aber das Entscheidende (vgl. Mk. 10: 21; Lk. 18: 22): die Liebe zu Gott und den Mitmenschen. Und ohne diese Liebe ist alles andere nichtig! Trotzdem bleibt es schwer zu begreifen, wieso der liebende Gott die Qualen der Sünder in der Hölle geschehen lassen kann. Gerade bei dieser Frage wird uns menschliche Überlegung weiterhelfen. Wir kennen doch alle solche Leute, die sich mit oder ohne Grund von anderen gekränkt fühlen und um nichts in der Welt die Bitten um Vergebung erhören wollen. Sie erinnern sich noch so gut an die Zeit, als man noch ein Herz und eine Seele war, sie können sich auch gut vorstellen, wie schön es wieder wäre, miteinander versöhnt zu sein - sie sehen und begreifen es, aber ihr teuflischer Hochmut erlaubt es ihnen nicht, sich milde stimmen zu lassen. Es ist ihre Entscheidung, nur ihre! Sie sind vernunftbegabte, verantwortungsvolle Wesen, die wider besseres Wissen das

Böse wählen und aus freien Stücken die Hölle auf Erden erdulden. Liebe ist Paradies, Hass ist Hölle! Wie sollten sie dann in das Reich Gottes, das Reich der Liebe, gelangen wollen?! Selbst wenn man sie mit Gewalt dorthin verfrachten würde (Gott könnte das selbstverständlich), sie würden die dort vorherrschende gegenseitige Liebe Gottes und der Menschen sowie der Menschen zueinander gar nicht ertragen können. Sollte also Gott sie dort vielleicht gegen ihren Willen einsperren lassen?! Das widerspräche aber der von Gott dem Menschen ein für alle Mal zugebilligten Entscheidungsvollmacht. Nein, Gott respektiert die freie Entscheidung, die der Mensch da getroffen hat, wo selbst Gott "machtlos" ist: im Innersten des Menschenherzens. Amen.

Jahr:
2017