Predigt zum 22. Herrentag nach Pfingsten (Gal. 6: 11-18; Lk. 8: 41-56) (20.11.2016)

Liebe Brüder und Schwestern, im abschließenden Absatz seines Briefes an die Galater schreibt der Apostel Paulus: "Ich aber will mich allein des Kreuzes Jesu Christi, unseres Herrn, rühmen, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt. Denn es kommt nicht darauf an, ob einer beschnitten oder unbeschnitten ist, sondern darauf, dass er neue Schöpfung ist. Friede und Erbarmen komme über alle, die sich von diesem Grundsatz leiten lassen, und über das Israel Gottes. In Zukunft soll mir niemand mehr solche Schwierigkeiten bereiten. Denn ich trage die Zeichen Jesu an meinem Leib" (Gal. 6: 14-17). Der Apostel wurde nach seiner Bekehrung zu einem auserwählten Werkzeug der Verkündigung Gottes, und wusste, dass er viel für den Namen des Herrn zu leiden habe (s. Apg. 9: 15-16). Diese Erfahrung kommt ihm in der Polemik mit den Judenchristen zupass, da er sich auf den Erfahrungsschatz der erlittenen Anfeindungen bei der Missionierung von Juden und Heiden berufen kann. Anders als für seine internen Widersacher, die den bequemen Weg gehen wollten und mittels Beschneidung vor der Taufe von Heidenchristen der Verfolgung durch die feindseligen Juden entgehen wollten, entschied er sich für den Weg des Kreuzes. Wenn andere neben der Suche nach dem ewigen Leben auch vergänglichen Ruhm einheimsen wollten, rühmt sich der wahre Glaubensbote einzig und allein des Kreuzes Christi. Er ist tot für die Welt und die Welt für ihn, d.h. er lebt nur noch für das Reich Gottes. Das kann jeder, der täglich bloß bei vollem Verstand, ohne Hetze seine Gebete spricht, Widrigkeiten erduldet und in allem bemüht ist, bereitwillig nach Gottes Willen zu leben. So einer hat für sich die Welt gekreuzigt und ist selbst für diese Welt gekreuzigt. Wenn ich an die vielen erhitzten Debatten unter sonst Gleichgesinnten denke (z.B. Kopftuch, Kalender, Ökumene), wünsche ich mir, dass alle sich im Disput Ereifernden das eigentliche Ziel nicht aus den Augen verlieren: dass wir nämlich "neue Schöpfung" werden! Wer das beherzigt - und womöglich zudem noch von vermeintlichen Weggefährten verleumdet wird - der kann doch getrost den orthodoxen Glauben im brüderlichen Austausch mit Andersgläubigen verkündigen - und das sogar viel besser als einer, der nur strikt auf die Einhaltung äußerer Vorschriften pocht. Wen will denn Letzterer von der Wahrheit des Glaubens überzeugen, wenn er zwar Meister der Regelkunde ist, aber selbst kein inneres Feuer in sich und anderen entfachen kann (vgl. Lk. 24: 32)?! Und hat nicht Christus Selbst ostentativ Vorschriften gebrochen, um allen zu zeigen, worauf es Gott im Wesentlichen ankommt?! Der Apostel scheute nicht den Kontakt zu Andersdenkenden, nutzte z.B. in Athen die sich ihm bietende Bühne des Areopags zur Verkündigung der Auferstehung von den Toten (s. Apg. 17: 16-34). Die orthodoxe Theologie der Epoche der sieben Ökumenischen Konzile (aber auch die Zeit danach) ist ohne die Auseinandersetzung mit den Häresien gar nicht denkbar. Allerdings - auch das ist sicher - kann solch eine Verkündigung wie beim Apostel Paulus nur mit schmerzlichen Erfahrungen einhergehen. Sein Leib war gezeichnet von den schweren Misshandlungen, die ihm während seiner Missionsreisen zugefügt worden waren (s. Gal. 6: 17). Darauf muss aber jeder Verkündiger gefasst sein - und froh darüber sein (s. Mt. 5: 10-11). Gott gewährt Seine Gnade nur dem, der in allem bedingungslos - ohne persönliche Hintergedanken - Seinen Willen erfüllen will und dafür die größten Opfer auf sich zu nehmen bereit ist. Hierfür ist Sein Sohn das vollkommene Beispiel (s. Joh. 5: 30). So sehen wir in der heutigen Evangeliumslesung, wie Christus in zwei direkt aufeinanderfolgenden Situationen völlig entgegengesetzt reagiert: in einem Fall macht Er das im Verborgenen geschehene Wunder publik (s. Lk. 8: 43-48), im anderen bemüht Er sich um völlige Geheimhaltung (s. 8: 55). Warum, können wir nur vermuten. Wir wissen aber, dass Christus den Willen des Himmlischen Vaters kannte. In einem Falle war es offensichtlich gewollt, dass die blutflüssige Frau vor allen Leuten dafür gelobt wird, dass sie unter Umgehung der äußeren Vorschriften (s. Lev. 18: 19) noch vor allen anderen den Glauben über das Gesetz gestellt hat (s. Gal. 2: 16); im Hause des Jairus dagegen wollte der Herr möglicherweise vermeiden, dass wegen der kurzen Zeitspanne zwischen dem Hinscheiden und der Auferweckung des Mädchens Seine Gegner das aus Mitgefühl für die Eltern vollbrachte Wunder als Schwindel desavouieren. Deshalb wohl die biologischen Fakten widersprechende Behauptung, sie sei nicht gestorben, sondern schlafe nur (s. Lk. 8: 52). Das ist zugleich eine Mahnung an uns alle, sich nicht unbedacht an der Ausbreitung der Informationsflut über wahre und vermeintliche Wunder in der hehren Absicht zu beteiligen, andere zu bekehren. So gab es bekanntlich keinen Mangel an Zeugen der Auferweckung des Lazarus, der Vermehrung der Brote in der Wüste und etlicher Heilungen von Kranken und Aussätzigen, doch als es darauf ankam, blieben nur die dem Herrn treu, die Ihm zuvor schon aus reinem Herzen ergeben waren. Der Rest verließ Ihn oder beteiligte sich später an Seiner Verurteilung. Ohne die lebendige Gemeinschaft mit Christus kann man sehen - und doch blind sein, hören - und doch taub bleiben (s. Mt. 13: 13; Lk. 8: 10), denn ohne die Liebe zu Gott und den Mitmenschen ist auch der stärkste Glaube wertlos (s. 1. Kor. 13: 2). Die paradiesische Erfahrung der "neuen Schöpfung" ist aber jedem zugänglich, der wenigstens ein Mal reuevoll gebeichtet hat und mit reinem Gewissen die Kostbaren und Lebenspendenden Mysterien Christi empfangen hat. Wer das für sich aber nicht für nötig hält, hat noch immer nicht begriffen, worum es im Glaubensleben eines Christen wirklich geht. Amen.
Jahr:
2016
Orignalsprache:
Deutsch

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