Predigt zum 15. Herrentag nach Pfingsten /Herrentag nach Kreuzerhöhung (Gal. 2: 16-20; 2. Kor. 4: 6 - 15; Mk. 8: 34 – 9: 1; Mt. 12: 35-46) (02.10.2016)

Liebe Brüder und Schwestern, 

 

in einer Hinsicht lässt sich die Kreuzerhöhung, deren Nachfest immer noch andauert, nur mit den Hochfesten der Geburt und der Taufe Christi vergleichen: der Samstag und der Sonntag vor bzw. nach Kreuzerhöhung haben ihren festen Platz im Kalender und sind mit dazugehörenden neutestamentlichen Lesungen versehen. Wenn man den Herrentag der Kreuzverehrung in der Mitte der Großen Fastenzeit hinzunimmt, wird deutlich, dass dem Kostbaren und Lebenspendenden Kreuz des Herrn eine liturgische Sonderstellung zukommt. Es ist von daher geboten, über den Sinn der Kreuzverehrung nachzudenken. 

Am Festtag selbst lauschten wir folgenden wohlbekannten Worten: „Da die Welt angesichts der Weisheit Gottes auf dem Weg ihrer Weisheit Gott nicht erkannte, beschloss Gott, alle, die glauben, durch die Torheit der Verkündigung zu retten“ (1. Kor. 1: 21). Was ist das aber für eine „Torheit“, die weiser ist als die Weisheit aller Menschen (s. 1: 25)?! Und warum ist das Wort vom Kreuz „denen, die verlorengehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft“ (1: 18)?! - Wenn ich auf Brüder und Schwestern „dieser Welt“ treffe, unter denen sich eine nicht geringe Zahl nur aus kulturellen Gründen mit der Orthodoxie identifiziert, fange ich an zu begreifen, warum „das Törichte an Gott (…) weiser als die Menschen“ und „das Schwache an Gott (…) stärker als die Menschen“  ist (s. 1: 25). Für besagte Mitmenschen assoziiert sich das Attribut „christlich“ fast ausschließlich mit einer moralischen Gesinnung und Lebensweise, deren Krönung karitative Werke sind. Alles darüber hinaus Gehende ruft bei ihnen Befremden, Unverständnis bis hin zu Ablehnung hervor. Auch wenn die Berufung auf die Bergpredigt oder auf die Parabel vom Weltgericht (s. Mt. 25: 31-46) legitim und richtig ist, muss man andererseits nicht unbedingt Christ sein, um seine überschüssigen Güter mit Bedürftigen zu teilen oder Notleidenden beizustehen, denn selbstverständlich ist Christsein ohne die Erfüllung dieser Mindeststandards der Menschlichkeit undenkbar. Bei der wahren Nachfolge Christi (s. Mk. 8: 34) geht es allerdings um mehr als um äußere Werke. Wir lesen heute: „Ich bin aber durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich für Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal. 2: 19-20). Exakt darum geht es! Gewiss, um der Menschenliebe willen erwiesene Barmherzigkeit verdient größten Respekt und Anerkennung, und sicherlich werden die uneigennützigen Stifter von christlichen Wohltätigkeitseinrichtungen ihren Lohn nicht verlieren, denn es ist ja letztlich der Glaube, der bei ihnen ungeahnte soziale Energien freisetzt. Doch im Grunde genommen bewirken Waisenheime, Obdachlosenasyle, Bahnhofsmissionen etc. im Endeffekt nur ein weiteres Herumdoktern an den Symptomen. Sie sind wie Schmerztabletten, welche die akute Not lindern helfen, nicht aber deren Ursachen beseitigen. Solche Werke können Leben retten und bewahren, die Lebensumstände verbessern etc., aber sie können nicht die Welt verändern. Das kann nur das Evangelium Christi: Durch das „Wort vom Kreuz“ Christi ändert sich in der Tat die Sichtweise auf das Leben: „Wohin wir auch kommen, immer tragen wir das Todesleiden Christi an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem sterblichen Leib sichtbar wird. Denn immer werden wir, obgleich wir leben, um Jesu willen dem Tod ausgeliefert, damit auch das Leben Jesu an unserem sterblichen Leib offenbar wird“ (Gal. 4: 10-11). Das Evangelium ist „nur denen verhüllt, die verlorengehen; denn der Gott dieser Weltzeit hat das Denken der Ungläubigen verblendet. So strahlt ihnen der Glanz der Heilsbotschaft nicht auf, der Botschaft von der Herrlichkeit Christi, Der Gottes Ebenbild ist“ (4: 3-4). Also sind dem heutigen Zeitgeist entsprechende „Werke des Gesetzes“, durch die der Glanz der Heilsbotschaft nicht aufstrahlt, zwar aus sozialer Sicht wertvoll, nicht so sehr aber aus geistlicher. Gleichwohl können sie perspektivisch der Nährboden sein, auf dem die Saat Christi aufgehen kann (s. Mt. 13: 8;  Mk. 4: 8;  Lk. 4: 8), denn ein guter Christ kann nur der sein, der zuvor ein guter Mensch gewesen ist. Abschreckende Gegenbeispiele gibt es ja genug.

 

Das Gesagte betrifft alle zusammen und jeden einzelnen im gleichen Maße. Mir scheint nämlich, dass es heute auf unserem Kontinent Länder gibt, die auf die Karte der modernen „Werke des Gesetzes“, also auf ein individualistisch-humanistisches Weltbild setzen (Freiheit, Toleranz, Menschenrechte), und solche Länder, die (zugegeben, nach Jahren des staatlich verordneten Atheismus von einem sehr niedrigen Niveau ausgehend) im engen Zusammenwirken mit der Kirche auf eine allmähliche Gesundung der Gesellschaft abzielen. In vielleicht 20 oder 30 Jahren werden wir sehen, welcher Weg der richtige gewesen ist. Aufgabe der Kirche ist es trotzdem nicht, sich für das eine oder andere politische System starkzumachen – die Kirche existierte über Jahrhunderte in den Katakomben des Römischen Reichs und unter der Knechtschaft der Muslime, überwand den kommunistischen Terror und kam sogar einigermaßen mit der Gängelung durch gesalbte und gekrönte Herrscher zurecht – Aufgabe der Kirche ist es vielmehr, unter welchem politischem System auch immer, Seelsorge zu betreiben. Seelsorge ist aber nur da möglich, wo es überhaupt eine Sorge um das Seelenheil gibt! Eben dadurch unterscheidet sie sich von psychologischer oder sozialpädagogischer Betreuung. So reift in uns die Erkenntnis, dass es der Seele schlecht geht, wenn äußerlich alles paletti zu sein scheint (wie beim Horoskop: Geld, Gesundheit, Liebe) – und umgekehrt! Wie denn sonst?! „Wir dagegen verkünden Christus als den Gekreuzigten“; für die Berufenen „Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ (1: 23-24). Amen.   

Jahr:
2016
Orignalsprache:
Deutsch