Predigt zum zweiten Herrentag der Gr. Fastenzeit / Hl. Gregorios Palamas (Hebr. 1: 10 – 2: 3; Mk. 2: 1-12) (27.03.2016)

Liebe Brüder und Schwestern, 

 

am zweiten Fastensonntag gedenken wir jedes Jahr des hl. Gregorios Palamas, des Erzbischofs von Thessaloniki. Dieser hatte im ausgehenden vierzehnten Jahrhundert die jahrhundertealte Praxis des Hesychasmus, die er sich selbst auf dem Heiligen Berg Athos angeeignet hatte, gegen die rationalistische Kritik seines Widersachers Barlaam von Kalabrien verteidigt. Der hl. Gregorios bewies unter anderem, dass dem Asketen nach langen mühevollen Jahren in der Übung des Herzensgebets das ungeschaffene Licht erscheinen kann, wie es die drei Jünger während der Verklärung Christi auf dem Berg Tabor gesehen hatten.

Für uns einfache Christen stellt sich fast unweigerlich die Frage, ob wir denn auch solche Gnadengaben anstreben dürfen oder sollen. Diakon Andrej Kuraev erzählte einst von einem orthodoxen Kloster in Italien, in das beinahe täglich Besucher aus der Nachbarschaft mit dem Verlangen kommen, sich möglichst heute noch die göttlichen Energien „vorführen“ zu lassen. Wenn sie dann aber erfahren, dass solche Gaben nur ganz wenigen Auserwählten, und das nach unvorstellbar entbehrungsreichem jahrzehntelangem Kampf gewährt werden (z.B. dem hl. Seraphim von Sarov oder dem hl. Silouan vom Athos), wenden sie sich enttäuscht ab. Manche wenden sich darauf anderen Religionen oder charismatischen Sekten zu, die ihnen die „Erleuchtung“ im Schnellverfahren versprechen. Deshalb ist es für uns an dieser Stelle wichtig festzuhalten, dass nicht „berauschende“ Erlebnisse unser Ziel bei der Suche nach der verlorenen Gemeinschaft mit Gott sein dürfen. Das wäre der schnellste Weg ins Verderben, da sich der Mensch dadurch selbst zu einer leichten Beute der dämonischen Verführer macht. Auch im irdischen Leben wird nur der enttäuscht, der von vornherein eine falsche Erwartungshaltung hat. Die „Böcke“ zur Linken des Herrn erwarten für sich die aus ihrer Sicht wohlverdiente Belohnung (s. Mt. 25: 41-44), während statt ihrer die „Schafe“ zur Rechten vollkommen unversehens für sie selbst das Reich Gottes in Empfang nehmen (s. Mt. 25: 34-40). Auch der Räuber zur Rechten des Herrn auf Golgatha bat ja nur darum, Christus möge seiner in Dessen Reich gedenken, auf welches er jedoch selbst keinerlei Anspruch zu erheben wagte. Was ihn von dem Räuber zur Linken unterschied, war die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis (s. Lk. 23: 41). Wer von uns ist schon in der Lage, im Moment unvorstellbarer Qualen von sich zu sagen: „Mir geschieht recht; ich erhalte den verdienten Lohn für meine Taten“?!.. Diese Geisteshaltung öffnete ihm, dem Verbrecher, das Paradies. Dem anderen Räuber, der ein Instant-Wunder ohne Vorleistung forderte, blieb es dagegen verwehrt. 

 

Heilige sind vor Gott demütig, beweinen ihre eigenen Sünden – und vollbringen zahlreiche Wunder. Diejenigen aber, die einen Forderungskatalog an Gott richten, werden verbittert, wenn sie nicht erhört werden. Grundlage für die Gewährung göttlicher Gnade ist also tiefste Demut und der völlige Verzicht auf seinen eigenen Willen – auch für uns Laien. Wir haben, wie der Räuber, keine guten Werke, wir sind zur Genüge in „dieser Welt“ eingespannt, aber selbst Kräfte- und Zeitmangel dürfen kein Hindernis bei der demütigen Schicksalsergebenheit vor Gott darstellen. Dann werden wir niemals enttäuscht werden. Unser Ziel gerade während der Fastenzeit ist es doch, weiter im Glauben zu wachsen. Als die Jünger den Herrn darum baten, Er möge ihren Glauben stärken (s. Lk. 17: 5-7), erwiderte Er ihnen: „Wenn einer von euch einen Sklaven hat, der pflügt oder das Vieh hütet, wird er etwa zu ihm, wenn er vom Feld kommt, sagen: ´Nimm gleich Platz zum Essen`? Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: ´Mach mir etwas zu essen, gürte dich, und bediene mich; wenn ich gegessen und getrunken habe, kannst auch du essen und trinken`. Bedankt er sich etwa bei dem Sklaven, weil er getan hat, was ihm befohlen wurde? So soll es auch bei euch sein: Wenn ihr getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: ´Wir sind unnütze Sklaven; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan`“ (Lk. 17: 7-10). Ist es nicht absurd, einen Vorschuss zu erwarten, bevor wir unserem Herrn zur Gänze gedient haben?!.. - „Oh!“, werden jetzt einige sagen, „was für eine unzeitgemäße Servilität! Habt ihr Orthodoxen kein optimistischeres Konzept zu bieten?“ - Doch, haben wir. Aber dazu muss das Evangelium in seiner Ganzheit gedeutet werden. An einer anderen Stelle sagt der Herr nämlich über die, welche Seinen Willen erfüllen: „Selig die Knechte, die der Herr wach findet, wenn er kommt. Amen, ich sage euch: Er wird sich gürten, sie am Tisch Platz nehmen lassen und sie der Reihe nach bedienen. Und kommt er erst in der zweiten oder dritten Nachtwache und findet sie wach – selig sind sie“ (Lk. 12: 37-38). Ja, so einen Herrn haben wir!! Er vereint Gerechtigkeit und Barmherzigkeit auf wahrlich wunderbare Weise (s. Ps. 84: 11). Nur müssen wir „wach sein“ und uns im Dienste unseres Herrn durch Treue und Beharrlichkeit bewähren, um dereinst von Ihm zum „Verwalter Seines ganzen Vermögens“ (Lk. 12: 44) bestellt zu werden. Und schon gar nicht dürfen wir a priori auf unsere „Verdienste“ vertrauen, sondern einzig und allein darauf bedacht sein, unserem Herrn zu gefallen auf Seine Güte hoffen – egal was andere darüber denken. Der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz beschuldigte die orthodoxe Kirche unlängst, in ihrem Weltbild rückwärtsgewandt zu sein (hätte er sich so oder ähnlich auch über das Judentum oder den Islam geäußert?!). Zugegeben, aus seiner beengten Sicht mag er durchaus recht haben. Für uns aber kommt es in geistlicher Hinsicht nicht darauf an, was „zeitgemäß“, „weltoffen“ und „gesellschaftskonform“ ist, sondern allein auf das, was Christus im Evangelium lehrt – und das steht über den Dingen dieser Welt, weil es in das ewige Leben führt. Amen.

Jahr:
2016
Orignalsprache:
Deutsch