Predigt zum Festtag des hl. Nikolaos, des Erzbischofs von Myra in Lykien (Hebr. 13: 17-21; Lk. 6: 17-23) (19.12.2015)

Liebe Brüder und Schwestern, 

 

die Feier des Gedächtnisses des hl. Nikolai ist in der ganzen orthodoxen Welt etwas Besonderes, ist der in Patara (Kleinasien) geborene Erzbischof von Myra in Lykien doch inoffiziell so etwas wie der Nationalheilige gleichermaßen für Russen, Serben, Rumänen, Bulgaren und ein wenig auch für Griechen... Tatsächlich kann man leicht die Bekanntschaft mit dem Regenschirm einer älteren russischen Dame machen, wenn man sich ihr gegenüber auf neuere wissenschaftliche Erkenntnisse beruft, denen zufolge der hl. Nikolai angeblich gar kein Russe gewesen sein soll. Wie wäre es sonst möglich, so die Babuschka, dass er auf Ikonen (auf russischen, wohlgemerkt) immer wie ein russischer Batiuschka aussieht (...und auf griechischen wie ein griechischer)?

Auch unser Patronatsfest feierte meine Familie wohnortübergreifend zu jeder Zeit zu Ehren des hl. Nikolai – ob nun im Spätherbst (6./19. Dezember in Frankfurt) oder im Frühjahr (9./22. Mai in München), und in unserem Elternhaus hing immer eine silberverzierte Ikone des hl. Nikolai an der Wand. Was mich aber in meiner Kindheit als logisch denkenden Menschen verwunderte, war die Tatsache, dass wir vor dieser Ikone z.B. das Tischgebet und das Dankgebet nach dem Essen sprachen. Wie kann man denn unseren Herrn mittels einer Ikone eines sterblichen (wenn auch heiligen) Menschen anbeten?! - dachte ich damals. Darüber habe ich bis heute lange nachgedacht. Die Ikonenverehrung in der orthodoxen Kirche basiert ja auf der Inkarnation des Logos, formuliert durch den hl. Athanasios den Großen: „Gott wurde Mensch, damit der Mensch Gott werde“ (also der Gnade nach die Gottähnlichkeit erlange). Auf der Christus-Ikone sehen wir den Mensch gewordenen Gott, auf der Ikone eines Heiligen – den vergöttlichten Menschen. Ziel des Christen ist ja nichts anderes als das: die Theosis. Der Mensch ist ja nach dem Abbild (griech. Eikon, lat. imago) Gottes geschaffen; wenn er also seiner Bestimmung gerecht geworden ist und durch sein irdisches Leben in der Ähnlichkeit Gottes – dem Vorbild Jesu Christi nachahmend –  vorangeschritten ist, kann er selbstverständlich als Abbild der Herrlichkeit Gottes erachtet werden. Das einschlägige alttestamentliche Gebot bzw. Verbot (s. Ex. 20: 4-6) verbietet ja nicht die Verehrung von Menschen, denn zu allen Zeiten huldigte man weltlichen Herrschern durch entsprechende Gesten als Zeichen der Ehrerbietung; nur ihre Anbetung als Gottheit untersagte das Gesetz strikt – eine Norm, die im Neuen Testament unangetastet blieb. In diesem Sinne sollen ja auch die Eltern geehrt werden (s. Ex. 20: 12). Also wurde beim VII. Ökumenischen Konzil auch zwischen der Anbetung Gottes und der Verehrung von Heiligen eine klare Trennungslinie durchgeführt. Bei der „Ikonenverehrung“ geht die bezeugte Verehrung immer auf den oder die auf ihr Abgebildete(n) über. Die Verehrung von Ikonen ist demnach nicht Selbstzweck (wie es bei Götzenbildern war), sondern Mittel zum Zweck: der Mensch wird im Gebet bestärkt, da er dank dieses Hilfsmittels der sinnlichen Wahrnehmung leichter Zwiesprache mit dem halten kann, zu dem er beten will. Heilige werden demnach nicht angebetet, sondern dahingehend verehrt, dass sie für uns Fürsprache vor Gott halten (vgl. Jak. 5: 16-18  u.  Offb. 8: 3-4). Und wer kennt nicht persönlich solche Fälle, in denen die Gebete zu Heiligen bzw. Gebete der Heiligen geholfen hätten?! Exemplarisch ist hier das Wirken des hl. Nikolai zu Lebzeiten und über sein irdisches Ableben hinaus.

Indirekt hat die Theologie der Ikonen auch mit der Moraltheologie zu tun. Wir dürfen den Mensch gewordenen Gott ikonographisch darstellen, weil Er Selbst das durch den Sündenfall beschädigte Abbild angenommen und in seiner ursprünglichen Schönheit wiederhergestellt hat. Dadurch verlor das zweite Gebot des Alten Bundes, so der hl. Johannes von Damaskus, seine Gültigkeit.

Gott wurde Mensch. Aufgrund dessen ist also jeder Mensch durch Gottes Abbild geheiligt, noch dazu, wenn er in der Taufe mit Christus vereint wurde. Und so wie keiner von uns jemals mit den Füßen auf einer Ikone unseres Herrn herumtrampeln oder sie besudeln würde, so müssten wir doch gleichermaßen achtungsvoll und behutsam mit unseren Mitmenschen – den Abbildern Gottes, umgehen. Vor allem, wenn wir bedenken, dass wir in der Kirche eins sind, Glieder eines Leibes, vereint mit Christus Gott und allen Heiligen, könnten wir doch niemals einem Mitmenschen Leid antun. 

Warum befeinden und verachten wir uns dann doch so oft gegenseitig? - Weil es uns an einem festen Glauben fehlt, bzw. der Glaube sich oftmals in einem nicht weiter definierbaren eigenbrötlerischen Nirwana abspielt; deshalb handeln wir gegenüber den Mitmenschen oft genug unbarmherzig und respektlos. Der wahre Glaube aber, und das wird hier deutlich, bedingt auch das Gott gefällige handeln. Wie kann man Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten (s. Joh. 4: 23), wenn man Sein Abbild missachtet oder erniedrigt (s. 1. Joh. 3: 13-18)?!  Das wiederum zeigt, dass Glauben nicht nur eine Sache von Überzeugung ist. Eine Überzeugung muss immer wieder vorgelebt werden, damit sie sich selbst und anderen gegenüber überzeugend sein kann; maßgeblich ist die Befolgung der Gebote Gottes: „Und das ist Sein Gebot: Wir sollen an den Namen Seines Sohnes Jesus Christus glauben und einander lieben, wie es Seinem Gebot entspricht“ (1. Joh. 3: 23-24) – so wie es der hl. Nikolai und andere Heilige getan haben. Als authentische Abbilder Gottes sind sie hierdurch zu wahren Vorbildern für uns Menschen geworden. Amen.

Jahr:
2015
Orignalsprache:
Deutsch