Predigt zum Fest der Synaxe des hl. Erzengels Michael und aller himmlischen körperlosen Mächte (Hebr. 2: 2-10; Lk. 10: 16-21) (21.11.2014)

Liebe Brüder und Schwestern, 

 

gewöhnlich bezieht man sich bei einer Predigt zum Fest eines Heiligen auf dessen Vita, aus der man Erbauliches auf der Suche nach dem Seelenheil schöpft. Doch welche „biographischen“ Daten könnten wir von den Bewohnern der himmlischen Welt beziehen? Himmelsboten werden in der Heiligen Schrift namentlich genannt – zuvörderst Michael (s. Jos. 5: 13-15;  Dan. 10: 13, 21;  12: 1;  Jud. 9;  Offb. 12: 7) und Gabriel (s. Dan 8: 16; 9: 21; Lk. 1: 19, 26) – aber reicht das aus, um nützliche Schlüsse für unsere Bestrebungen nach einem Leben mit Gott zu ziehen? Wo finde ich einen Denkansatz, um das Dasein der Engel nachahmenswert für uns Menschen darstellen zu können?...

Zunächst einmal sind Übereinstimmungsmerkmale nur begrenzt vorhanden, was aber durchaus auch auf eine Mittlerfunktion der Engel zwischen Gott und Mensch hinweisen könnte: Menschen sind Fleisch und Blut, Engel sind körperlos, wenn auch nicht gänzlich immateriell, denn nur Gott allein ist absolutes Geistwesen; Menschen sind infolge ihres freien Willens und ihrer gefallenen Natur leicht anfällig für die Sünde, während die ebenso mit einem freien Willen ausgestatteten Himmelswesen der Sünde nicht zugeneigt sind, obgleich auch sie nicht vollkommen dagegen gefeit sind, denn ontologisch ist nur Gott allein ohne Sünde; Menschen unterliegen aufgrund ihrer stofflichen Zusammensetzung physikalischen Gesetzen, auch sind sie in ihrer Kraft und Ausdauer begrenzt, während Engel durch Wände hindurchgehen, Feuer und Kälte trotzen und sich problemlos mit großer Geschwindigkeit von einem Ort zum anderen begeben können, doch auch sie können nicht zugleich an zwei Orten sein, da nur Gott allein allgegenwärtig ist usw.

Was wir noch wissen ist, dass Mönche den Körperlosen nacheifern: sie fasten und wachen, leben in Keuschheit, weshalb wir die bekanntesten Vertreter des Mönchsstands ehrfurchtsvoll als „irdische Engel“, „himmlische Menschen“ oder als „Engel im Fleisch“ bezeichnen. Aber selbst eine auf absolutes Minimum beschränkte Sorge um den Leib, wie z.B. von der hl. Maria von Ägypten vorgelebt, macht den Menschen nicht automatisch zu einem „Gesandten“ Gottes (griech. аггелос = Gesandter, Bote). Was ist es also dann, was ein fleischliches Wesen von einem unkörperlichen lernen kann?

 

Vor wenigen Wochen wurde mir die Gnade zuteil, an der Nachtwache zum Fest der 26 Blutzeugen am Ort ihres Martyriums im bulgarischen Kloster Zographou auf dem Heiligen Berg teilnehmen zu dürfen. Als ich die Schönheit dieses Gottesdienstes erlebte, fühlte ich mich spontan an zwei Sachen erinnert: 1) an die Gesandten des Kiewer Fürsten Wladimir, die nach ihrer Rückkehr aus Konstantinopel berichteten, sie hätten während des Gottesdienstes in der Hagia Sophia nicht gewusst, ob sie im Himmel oder auf der Erde seien; 2) an eine fromme Weisheit, die besagt, dass Gott das Licht für die Engel sei, die Engel für die Mönche, die Mönche für die Laien, und die Laien für die Nicht-Gläubigen.

 

Wie kam es zu dieser Erkenntnis? - Während der Vigil wurde der Abt des Klosters, Schema-Archimandrit Amvrossij, der nicht im Altar, sondern im Kirchenschiff auf dem ihm gebührenden Platz des Klostervorstehers stand, zu den feierlichsten Momenten mehrmals von zwei jungen Mönchen in seine liturgischen Gewänder mitsamt Insignien eingekleidet. Der greise Abt wirkte selbst wie eine „Ikone“, und war offensichtlich von einfacher Herkunft. Die beiden etwa dreißigjährigen Mönche, die ich kurz zuvor kennen lernen konnte, hatten Gardemaß, waren dazu hervorragend gebildet. Als ich nun sah, wie ehrfurchtsvoll sie vor dem Abt als dem Abbild Christi niederfielen und um seinen Segen baten, war an diesem Bild nichts Unnatürliches. Im Kontext des Berges Athos war dies das Normalste der Welt, es war ein Bild vollkommener Harmonie und Schönheit. Für mich war das die Antwort auf die Frage, wodurch Menschen Engeln gleich sein können! Denn die irdische Kirche ist ja ein Abbild der himmlischen. Christliche Kaiser- und Königreiche sind auf dem hierarchischen Prinzip aufgebaut gewesen - die Kirche Christi ist es bis heute und wird es immer sein. Und auf dem Berg Athos, dem spirituellen Zentrum der Orthodoxie, lebt diese Idee noch weiter – nicht von ungefähr weht bis heute der byzantinische Doppeladler über der Mönchsrepublik.

 

Wenn wir Laien den Engeln nacheifern wollen, sollten wir uns demnach ein Beispiel an den Mönchen nehmen. Genügsamkeit und Bescheidenheit, Fleiß und Uneigennützigkeit, Verantwortung für die Umwelt, aber vor allem – Gehorsam und Respekt gegenüber den Älteren. Eine Gesellschaft, in der Kindern im Vorschulalter eingeimpft wird, sie seien „Persönlichkeiten“, die für ihre „Rechte“ eintreten sollen, kann unendlich viel davon profitieren. Was sehen wir denn heute? - Im Eingangsbereich zum Supermarkt begegnen sich ein älteres Ehepaar und zwei Halbwüchsige – drei Mal dürfen Sie raten, wer wem den Vortritt lässt... Oder: sehen Sie heute noch, dass Jugendliche im Bus ihren Sitzplatz einer älteren Frau überlassen? - Wenn wir die Folgen dieser „Zeitenwende“ auf Familie, Schule, Beruf, Gesellschaft etc. betrachten, werden wir alsbald sehnsuchtsvoll erkennen, wie harmonisch das Leben sein kann, wenn wir uns auf unvergängliche Werte rückbesinnen. Revolutionen aller Art sind doch im Grunde immer die Wiederholung der Ur-Revolte vor Erschaffung der sichtbaren Welt. Ihr lag schon damals die Untergrabung jeglicher Autorität zugrunde sowie das trügerische Versprechen nach Unabhängigkeit und einem selbstbestimmten Leben. Und immer ist es derselbe „Lügner und Vater der Lüge“ (Joh. 8: 44), der den Menschen durch den von ihm eingegebenen Ungehorsam ins Verderben stürzt (s. Gen. 3: 1-24).

Um diesen Fallstricken zu entgehen, haben wir die Gebote Gottes: „Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt“ (Ex. 20: 12) – Haben denn diese Worte ihre Gültigkeit verloren?!...  In Klöstern sind Abt und Äbtissin Vater bzw. Mutter. Dort wird nach himmlischen Kriterien gelebt, und nichts ohne den Segen des Vorstehers  unternommen. Oder können Sie sich vorstellen, dass ein untergebener Engel die Anweisung eines höheren „Dienstgrades“ ignoriert und sagt: „Ich hab´ keinen Bock, geh du doch selber!“...? 

Auch wir können dieses Prinzip in unseren Lebensbereich übernehmen. Noch für meine Großmutter war es selbstverständlich, ehrfurchtsvoll den Segen ihres Vaters zu empfangen, denn nichts wurde ohne Zustimmung der Eltern gemacht. Diese Harmonie kam ohne Zwang und Repressalien zustande, da sie auf Liebe und Vertrauen gegründet war. Der Herr Selbst hat uns durch Seine Loyalität gegenüber Seinen gesetzlichen Eltern gezeigt, dass die Familie die Keimzelle der irdischen Kirche ist, denn nur in einer wirklichen „Hauskirche“ (s. Röm. 16: 5) können wahre Nachfolger Christi herangezogen werden. 

Wie harmonisch und liebevoll geht es doch in Familien zu, in denen die Frau den Mann ehrt (s. Eph. 5: 33), die Kinder ihre Eltern achten (s. Eph. 6: 1;  Kol. 3: 20), - oder in Gesellschaften, in denen Untergebene die Obrigkeit respektieren (s. Eph. 6: 5;  Kol. 3: 22;  1. Tim. 6: 1) und sich Staatsbürger loyal gegenüber den Regierenden zeigen (Mt. 22: 21;  Mk. 12: 17;  Röm. 13: 1;  1. Petr. 2: 13; 17;  1. Tim 2: 2;  Tit. 3: 1)! 

Ich bin mir durchaus dessen bewusst, dass uns die Heilige Schrift lehrt, nach dem Geist, und nicht nach dem Buchstaben zu leben (s. Röm. 2: 29), dass es für alles Grenzen gibt und dass die Wahrscheinlichkeit zum Missbrauch der von Gott verliehenen Macht jederzeit besteht. Dem sei aber erwidert, dass unser Herr Selbst zum freiwilligen Opfer eines derartigen Machtmissbrauchs wurde, als Er Sich im Austausch für einen Schwerverbrecher um unseres Heiles willen ans Kreuz schlagen ließ. Dadurch öffnete Er uns den Weg ins Paradies! Die aber, die wider besseres Wissen nur Irdisches im Sinne hatten, wurden zu Mittätern des Satans. Vox populi erweist sich in der Bibel jedenfalls nicht als vox Dei. 

Ohne die Orientierungsbasis der kirchlichen Tradition werden wir niemals imstande sein, verantwortungsbewusst nach Gottes Willen zu handeln. Die Zukunft der ganzen Menschheit hängt aber davon ab, inwieweit es uns allen gelingen wird, das Leben auf der Erde in ein Paradies nach dem Vorbild der himmlischen Ordnung umzuwandeln. Wir können schon einmal bei uns selbst beginnen, - dann wird uns himmlischer Beistand gewiss sein.

Durch die Fürsprache der heiligen himmlischen körperlosen Mächte, Herr, Jesus Christus, unser Gott, erbarme Dich unser!

Amen.

Jahr:
2015
Orignalsprache:
Deutsch