Predigt zum 24. Herrentag nach Pfingsten (Eph. 2: 14-22; Lk. 8: 26-39) (15.11.2015)

Liebe Brüder und Schwestern, 

 

im heute vorgelesenen Abschnitt aus dem Brief an die Epheser behandelt der hl. Apostel Paulus das Verhältnis der Juden und Heiden zueinander im Kontext ihrer Vereinigung mit Christus in der Kirche: „Er (Jesus Christus) ist unser Friede. Er vereinigte die beiden Teile (Juden und Heiden) und riss durch Sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft zwischen beiden nieder. Er hob das Gesetz samt seinen Geboten und Forderungen auf, um die zwei in Seiner Person zu dem einen neuen Menschen zu machen. Er stiftete Frieden und versöhnte die beiden durch das Kreuz mit Gott in einem einzigen Leib. Er hat in Seiner Person die Feindschaft getötet“ (Eph. 2: 14-16).

Das Dilemma des Menschen war zweierlei: zum einen waren die Gott Kennenden (Juden) und die Ihm nicht Zugeneigten (Heiden) voneinander getrennt, und zum anderen beide durch Sünde von Gott entfernt (vgl. Lk.12: 47-48;  Joh. 9: 41;  Röm. 3: 9). Und so musste auch die Heilung dieses zweifach untragbaren Zustandes der Feindschaft auf zweierlei Weise vonstatten gehen: durch die Schaffung einer in sich vereinten Menschheit, der Kirche, und deren Vereinigung mit Gott. Die Inkarnation Christi bewirkte Ersteres, Sein Tod und Seine Auferstehung ermöglichten Letzteres. Die „trennende Wand der Feindschaft“, sichtbarer Ausdruck derer das Sperrgitter zwischen dem Hof der Heiden und dem der Juden im Tempel zu Jerusalem war, stand für das Unvermögen des Alten Bundes, diese Entfremdung wettzumachen. In Jesus Christus ist diese Trennung jedoch überwunden, die Feindschaft zwischen Juden und Heiden zerstört. Weiter schreibt der Apostel über den Erlöser „Er kam und verkündete den Frieden: euch, den Fernen und uns, den Nahen. Durch Ihn haben wir beide in dem einen Geist Zugang zum Vater. Ihr seid also  jetzt nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“ (2: 17-19). Menschen vereinigen sich untereinander nach dem Prinzip der unergründlichen Dreieinigkeit Gottes, denn durch den Sohn haben beide (Juden und Heiden) in dem einen Geist Zugang zum Vater! Es ist das Modell der Vereinigung, das Menschen zueinander bringt und sie dann ewig mit Gott versöhnt sein lässt. Gott und Mensch wirken zusammen: „Ihr seid auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut; der Schlussstein ist Christus Jesus Selbst. Durch Ihn wird der ganze Bau zusammengehalten und wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn. Durch Ihn werdet auch ihr im Geist zu einer Wohnung Gottes erbaut“ (2: 20-22). Christus der Erlöser wird für uns zugänglich durch die Teilhabe an Seinem Leib. Nur die Kirche garantiert den Verbleib in der Gemeinschaft mit Gott: Ein Leib und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, Der über allem und durch alles und in allem ist“ (Eph, 4: 4-5). Diese kosmische Dimension findet ihren Ausdruck in der Göttlichen Liturgie: „Das Deine vom Deinigen, Dir darbringend, für alle und wegen allem“. 

Es ist nicht schwer zu erkennen, dass der ganze Text der heutigen Lesung aus dem Apostel zusammenfassend auf die wahre Gemeinschaft der Gläubigen in Jesus Christus  hindeutet und damit den „privat“ an Jesus Glaubenden den Wind aus den Segeln nimmt. Aber wie, auf welche Weise sind wir in Christus untereinander vereint? Wie kann man sich dieses für das Seelenheil relevante Wesensmerkmal unseres Glaubens (vgl. Joh. 15: 4-5;  1. Kor. 12: 12-27;  Eph. 4: 25; 5: 30) intellektuell wahrnehmbar vorstellen? 

Das Evangelium erzählt uns von der Heilung des Besessenen aus Gerasa. Eine scheinbar unbedeutende Notiz am Rande stellt dabei der Dialog des Weltschöpfers mit Seinen gefallenen Geschöpfen dar: „Jesus fragte ihn: ´Wie heißt du?` Er antwortete: ´Legion`. Denn er war von vielen Dämonen besessen“ (Lk. 8: 30). - Wir sehen anhand dieses kurzen Ausschnittes, wie Seelisches und Leibliches, Spirituelles und Materielles, Sichtbares und Unsichtbares miteinander verbunden sind. Der Herr fragt einen Menschen nach seinem Namen, doch es antworten die vielen von ihm Besitz ergriffen habenden Dämonen. Jedenfalls muss diese Menge von Dämonen groß genug für eine riesige Herde von Schweinen gewesen sein (vgl. Mk. 5: 13). Wenn es nun aber hier im negativen Sinne möglich war, dass ein sterblicher Mensch von zahlreichen unsterblichen aber todbringenden Geistern ergriffen war, so muss es doch umso mehr im positiven Sinne möglich sein, dass sterbliche Menschen zu Gliedern des unsterblichen Gottes in Seinem Leib werden und dadurch die Unsterblichkeit erlangen. Wenn hier, am Ufer des Sees Genezareth, die zahlreichen Dämonen beim Namen genannt werden und immer noch die mitleidsvolle Güte des Allherrschers genießen, so dass ihre Verbannung in die Hölle wenigstens kurz aufgeschoben wird, so werden unsere Namen im Leibe Christi noch viel weniger jemals in Vergessenheit geraten. Wer wird mich hier auf Erden in zwei oder drei Generationen noch kennen?! Dort aber heißt es für alle: „Ewiges Gedenken!“. Hier auf Erden sind wir bereits Brüder und Schwestern in Christo (vgl. Röm. 8: 29;  1. Kor. 8: 12;  Hebr. 2: 11, 12, 17), auch wenn wir uns schon allein wegen der räumlichen und zeitlichen Entfernung und angesichts von Millionen orthodoxer Christen weltweit nicht persönlich kennen. Doch wenn Raum und Zeit vergangen sind, werden wir uns als Glieder am Leib Christi und als Hausgenossen Gottes gewisslich „wiedererkennen“. Unser dortiges Erkennungsmerkmal wird die Liebe zu Christus und zu Seiner Wahrheit sein, welche die Kirche, der wir angehören, bis zum Ende aller Zeiten im aller-wahrsten Sinne des Wortes verkörpert hat. Amen.

Jahr:
2015
Orignalsprache:
Deutsch