Predigt zum Fest der Ikone der Allheiligen Gottesgebärerin von Kasan´ (Phil. 2: 5-11; Lk. 10: 38-42; 11: 27-28) (04.11.2015)

Liebe Brüder und Schwestern,

 

der heutige Festtag der Russischen Kirche wird im Gedenken an die Befreiung Moskaus und Russlands von den polnischen Invasoren im Jahre 1612 begangen. Damals schlug, begleitet von inständigen Gebeten zur Allheiligen Gottesmutter vor Ihrer wundertätigen Kasaner Ikone, das von Minin und Pozharsky angeführte Freicorps aus Nizhnij Novgorod die Aggressoren und trieb sie außer Landes. Soviel zur Geschichte. Wie zu Festen der Gottesgebärerin üblich, werden zwei Lesungen vorgetragen, die aber auf den ersten Blick nichts mit der Gottesmutter zu tun haben. Wie kommt das?

In der Epistellesung bezieht sich der Apostel Paulus explizit auf den Herrn Jesus Christus, indem er an die Philipper schreibt: „Er entäußerte Sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; Er erniedrigte Sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat Ihn Gott über alles erhöht und Ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen“ (Phil. 2: 7-9). Diese einprägsamen Worte sind uns wohlbekannt, aber in welcher Beziehung stehen sie zur Mutter Gottes?..

Wenn wir nun unseren Horizont erweitern wollen, werden wir feststellen, dass das gesamte Erlösungswerk Christi darauf abzielt, alle Menschen zu Teilhabern Seiner Entäußerung und Leiden (s. Mt. 10: 38; 16: 24;  Mk. 8: 34;  Lk. 9: 23), Seines Todes (s. Mt. 10: 39;  Mk. 8: 35;  Lk. 9: 24;  Röm. 6: 3-11;  2. Kor. 4: 11) und Seiner Auferstehung (s. Joh. 6: 44; Röm. 6: 5;  1. Kor. 15: 22;  2. Kor. 4: 11) zu machen. Christus Gott wurde doch den Menschen gleich und Sein Leben war das eines Menschen – mit dem einzigen Ziel, dass nämlich umgekehrt auch das Leben der Menschen Sein Leben sei! Und wer hätte das alles nicht in einem für die menschliche Natur zugänglichen Höchstmaß erreicht, wenn nicht die jungfräuliche Mutter des Herrn? Ihr Gehorsam (s. Lk. 1: 38) und Ihr Leiden (s. Lk. 2: 35b) – beide im Evangelium prophetisch-mystisch angedeutet – kamen dem Gehorsam und dem Leiden Christi am nächsten. Folglich wurde auch Sie von Gott über alles erhöht (s. Lk. 1: 42, 48). Sie zeigt uns – ganz ohne laute Worte und aufsehenerregende Gesten – den wahren Weg der Nachfolge Christi! 

Ebenso deutlich wird dies in der Evangeliumslesung, die üblicherweise zu Gottesmutterfesten vorgetragen wird. Auch hier kommt die Gottesmutter als  handelnde Person gar nicht vor. Wir hören nämlich von den beiden Schwestern des Lazarus Martha und Maria, von denen sich eine um das leibliche Wohl des Herrn und der Gäste in ihrem Haus kümmert, während die andere zu Füßen des Herrn sitzt und Seinen Worten lauscht. Oftmals wird in dieser Welt dem kontemplativen Weg seitens der sozial-engagierten Fraktion ja der Vorwurf gemacht, nicht produktiv oder gar schmarotzerisch zu sein (was in der Tat, wäre dieser Vorwurf berechtigt, nicht dem christlichen Selbstverständnis entspräche – s. 1. Thess. 4: 11; 2. Thess. 3: 10). Doch die Prioritätensetzung Christi ist mehr als eindeutig: „Nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden“ (Lk. 10: 42). Es ist wohl kein Zufall, dass die jüngere der beiden Schwestern den Namen Maria trägt. Die Kirche sieht in diesem dezenten Hinweis eine nicht bloß unterschwellige Verherrlichung des Strebens nach himmlischer Vollkommenheit, das alles Weltliche beiseite lässt, um sich nur dem Leben im Herrn zu widmen. Wer einmal im irdischen Garten der Mutter Gottes – dem Berg Athos – gewesen ist, wird unschwer verstehen, was damit gemeint ist. Und er wird selbst beim Vorhandensein einer ausgeprägten sozialen Ader in seinem Innersten feststellen, dass dort kein Parasitismus vorherrscht, sondern ein tausend Jahre bewährtes System, das ökologisch und ökonomisch ausgewogen ist und behutsam mit den natürlichen Ressourcen umgeht (was allerdings heute angesichts der ansteigenden Besucherströme keinen Schutz vor weggeworfenen Getränkedosen und Zigarettenschachteln gewährleisten kann). Vor allem aber gibt der Heilige Berg, der als vom Herrn Selbst zugewiesenes Erbteil der Immer-Jungfrau gilt, tausendfach mehr als er nimmt. In diesem Sinne ist dies vom Grundsatz und vom Wesen her ein Modell für alle Menschen für alle Zeiten.  

Doch nun zurück zu unsere Lesung. Um nämlich den Bezug zur Theotokos in der heutigen Lesung deutlich zu machen, wurde am Ende ein kleiner eingeschobener Abschnitt aus dem 11. Kapitel des Lukasevangeliums hinzugefügt, in dem die Mutter des Herrn dann doch wenigstens indirekt erwähnt wird: „Als Er das sagte, rief eine Frau aus der Menge Ihm zu: ´Selig die Frau, Deren Leib Dich getragen und Deren Brust Dich genährt hat`. Er aber erwiderte: ´Selig sind vielmehr die, die das Wort Gottes hören und es befolgen`“ (Lk. 11: 27-28). Ist das nun eine Verleugnung der Ehrbarkeit Seiner Mutter oder gar eine Herabwürdigung Ihrer Verdienste um das Heil der Welt?! - Das ist absurd (vgl. Ex. 20: 12;  Mk. 7: 10-12)! Der Herr gibt vielmehr zu verstehen, dass nicht die leibliche Verwandtschaft oder Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk das Auserwählt sein ausmachen (s. Mt. 3: 9;  Lk. 3: 8), sondern ein Leben nach dem ausschließlichen Willen Gottes (vgl. Mt. 12: 50;  Mk. 3: 35;  Lk. 8: 21). Die Jungfrau sagte ja seinerzeit zum Engel: „Ich bin die Magd des Herrn; Mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk. 1: 38). Somit ist die Gottesgebärerin und Jungfrau Maria für uns alle das größte Vorbild darin, wie man auf Erden aus freiem Willen und mit ganzem Herzen einzig und allein dem Herrn dienen und dadurch zu höchstem himmlischen Ruhm gelangen kann. Amen.

Jahr:
2015
Orignalsprache:
Deutsch