Predigt zum 22. Herrentag nach Pfingsten (Gal. 6: 11-18; Lk. 8: 5-15) (01.11.2015)

Liebe Brüder und Schwestern, 

 

das Gleichnis vom Sämann hat mit den anderen Gleichnissen eines gemeinsam: es widerlegt all die, welche glauben, das Seelenheil sei ohne viel Stress und ohne die richtige seelische Voraussetzung quasi im Passiv-Modus zu erwirken. Dieses Gleichnis handelt im Grunde davon, dass es den anstrengenden und anspruchsvollen Weg des ewigen Heils gibt, und den Weg der verlockenden Akkommodation an die zeitliche Welt, welcher aber ins Verderben führt. Doch keine Spur von Schwarz-Weiß-Malerei: hier das auf Anhieb erkennbare und für die Massen taugliche Gute, hier das mit Signalfarbe gekennzeichnete abstoßende Böse, an dem nur die völlig Missratenen Gefallen finden können. - Oh, wenn es doch nur so einfach wäre!.. Nein, es reicht eben nicht, das Gute und Richtige nur zu wollen. Es reicht auch nicht, bloß mal kurz an Gott zu glauben, und danach sein Herz wieder zeitlichen Dingen zuzuwenden (s. Lk. 8: 13-14). Der Glaube muss auch schwersten Prüfungen standhalten können.

So legten viele Judenchristen der ersten Generation eine zutiefst ambivalente Denkstruktur zutage. Sie sahen in der Beschneidung der Heidenchristen eine bequeme Symbiose zwischen dem eigenen Seelenheil und dem Frieden mit der Außenwelt. Ihr Kalkül bestand wohl darin, dass sie zur Beruhigung des eigenen Gewissens die Heiden nicht vom wahren Glauben an Jesus Christus abbrachten, doch zugleich auch der Anfeindung seitens ihrer ungläubigen Stammesgenossen entgingen, da sie die bekehrten Heiden nach außen hin als Proselyten zum Judentum ausgeben konnten. Der Apostel Paulus ist diesem faulen Kompromiss mit dem eigenen Gewissen jedoch abhold. Aus diesem Grunde sieht er sich veranlasst, Klartext zu reden: „Jene Leute, die in der Welt nach Anerkennung streben, nötigen euch nur deshalb zur Beschneidung, damit sie wegen des Kreuzes Christi nicht verfolgt werden“ (Gal. 6: 12). Diese uns bestens bekannte Attitüde des geringsten Widerstandes ist in Wirklichkeit ein Gräuel in den Augen des Herrn (vgl. Mt. 6: 24  und  Lk. 16: 13), noch dazu, weil hier vorgegeben wird, den Vorteil der in Glaubensfragen noch unkundigen Heidenchristen im Auge zu haben. In Wirklichkeit aber zielt diese Haltung nur zum eigenen gesellschaftlichen Vorteil („Anerkennung in der Welt“) auf Kosten jener Neophyten ab. Noch deutlicher wird dieses heuchlerische Vorgehen durch die folgenden Worte: „Denn obwohl sie beschnitten sind, halten sie nicht einmal selber das Gesetz; dennoch dringen sie auf eure Beschneidung, um sich dessen zu rühmen, was an eurem Fleisch geschehen soll“ (6: 13). O ja, wie schön, wenn man es allen recht machen kann! Nur vergisst man dabei allzu gerne darüber nachzudenken, ob Gott Sich durch so ein Verhalten milde stimmen lässt. Dabei hat man doch vor der Außenwelt einen prima Ausweg gefunden, hat sogar sein eigenes Gewissen überlistet – nur Einen kann man halt nicht hinters Licht führen. Er akzeptiert stets nur den „schmalen Weg“ durch das „enge Tor“, den aber nur wenige finden (s. Mt. 7: 14) – nämlich die, welche mit ganzem Herzen nach Gottes Willen leben wollen, und nicht die, welche sich in erster Linie bequem in dieser Welt einrichten wollen. Die dem wahren Gefolge Christi Zugehörigen sind dagegen einmütig mit dem Apostel Paulus: „Ich aber will mich allein des Kreuzes Jesu Christi, unseres Herrn, rühmen, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt“ (6: 14).  Der Sinn meines Lebens muss darin bestehen, freiwillig mein Kreuz auf mich zu nehmen und mich in dem mir zugewiesenen Maße am Leidensweg Christi zu beteiligen. - Bin ich nun ein Fanatiker, ein Spinner, ein Extremist? - Früher galt es noch als große Ehre, als treuer Untertan für seinen König in den Kampf zu ziehen und seinetwillen extreme Strapazen und Entbehrungen, schwere Wunden und sogar den Tod zu erdulden. Ich gebe zu, das egozentrisch und individualistisch geprägte moderne Weltbild hält wenig Raum für solch romantische Gefühlsduselei offen. Aber nur in so einem, nicht auf den eigenen zeitlichen oder materiellen Vorteil bedachten Persönlichkeitsprofil kann Christus Gestalt annehmen – und kann dann das Tragen des Kreuzes zu einer geistlichen Labsal für den Betreffenden machen. „Denn es kommt nicht darauf an, ob einer beschnitten oder unbeschnitten ist, sondern darauf, dass er neue Schöpfung ist“ (6: 15). Es geht nicht um Äußerlichkeiten oder verklausulierte Heilformeln. Jeder darf seinen Weg gehen; es kommt nur auf das Resultat an: „dass er neue Schöpfung ist“ durch die Gnade Gottes. „Friede und Erbarmen komme über alle, die sich von diesem Grundsatz leiten lassen, und über das Israel Gottes“ (6: 16). Dieser Weg steht allen offen, und zwar völlig unabhängig von Alter, Geschlecht, Bildung, Intellekt, Körperkraft, Sozialstatus, Rasse, auch und sogar von der geistlichen Reife; sie müssen es nur wollen. Dann gehören sie zum auserwählten Volk Gottes! Sie alle sollen aber wissen, dass diese Glückseligkeit nicht zum Nulltarif zu haben ist. Deshalb die Mahnung des Apostels: „In Zukunft soll mir niemand mehr solche Schwierigkeiten bereiten. Denn ich trage das Zeichen Jesu an meinem Leib“ (6: 17). Die Spuren der Misshandlungen, die der Apostel für seinen Herrn erlitten hat, lassen sich mühelos an seinem Körper feststellen. Es ist folglich illusorisch zu glauben, dass man den Himmel bequem wie in einer Seilbahngondel erreichen kann. Aber um wie viel mehr freut sich dann am Ende der, welcher den Gipfel aus eigener Anstrengung und behütet von Gottes Gnade erklommen hat!.. Jeder weiß doch, dass ohne Mühe und Anstrengung kein Erfolg erzielt werden kann (z.B. im Sport, im Studium oder im Berufs- und Geschäftsleben). Warum wollen wir uns dann nicht um des Himmelreichs willen abmühen?!..

„Die Gnade Jesu Christi, unseres Herrn, sei mit eurem Geist, meine Brüder“ (6: 18) und Schwestern. Amen.

Jahr:
2015
Orignalsprache:
Deutsch