Predigt zum zweiten Herrentag der Großen Fastenzeit / Gedächtnis des hl. Gregorios Palamas, des Erzbischofs von Thessaloniki (Hebr 1, 10 - 2, 3. Mk 2, 1-12.) (08.03.2015)

Hebr. 7: 26  - 8: 2; Joh. 10: 9-16

Liebe Brüder und Schwestern, 

 

schon haben wir alle miteinander die zweite Woch der großen Fastenzeit hinter uns gebracht und feiern am heutigen zweiten Fastensonntag das Gedächtnis des hl. Gregorios Palamas. Dieser überragende Heilige aus der Endphase des Oströmischen Reiches verteidigte beherzt die athonitische Praxis des Hesychasmus, die ja vor allem auf dem Herzensgebet basiert. Das kurze, ununterbrochen vorgetragene Gebet „Herr, Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme Dich meiner, des Sünders!“ ist gewissermaßen eine lebenserhaltende Maßnahme für die Seele, die des Gebets in gleichem Maße bedarf, wie der Körper die Luft zum Atmen braucht. Und wenn wir uns in der Heiligen Eucharistie mit unserem Herrn vereinigt haben, hilft dieses Gebet dabei, die empfangene Gnade noch weiter in unserem Herzen zu behalten. Für den Kommunikanten kann dieses Gebet Vorbereitung bzw. Vorbedingung für die Einswerdung mit Christus, zugleich aber auch Mittel und Weg dafür sein, Christus in uns zu behalten. Dieses Gebet wird immer erhört, wenn es aus demütigem und zerknirrschten Herzen gesprochen wird (s. Ps. 50: 19). Es hilft dem Darniederliegenden beim Aufstehen und bewahrt den Erhobenen vor erneutem Fall. Wie die hll. Väter lehren, soll dieses Gebet vom Verstand ins Herz übergehen. Dort soll es permanent wie eine kleine Öllampe brennen, so dass wir nur noch ab und zu etwas Öl nachgießen und hin und wieder den Docht erneuern müssen. Entscheidend ist hierbei der ständige Bußcharakter des Gebets, das den Hesychasmus von nicht-christlichen Praktiken von seinem Wesen her unterscheidet. Vor allem orientalische Kulte, aber auch gewisse rituelle Erscheinungsformen evangelikaler charismatischer Gemeinschaften zielen ja vornehmlich darauf ab, den Menschen möglichst schnell in einen entrückten Zustand zu versetzen, ohne überhaupt auf den geistlichen und moralischen Zustand des Betreffenden zu achten. Wie beim Drogenkonsum verweilt der Mensch zwar eine Weile lang in einer Scheinwelt, doch entfernt er sich bei dieser Art von „Spiritualität“ immer weiter von der einzig vollkommenen und realen Welt im Reich Gottes (s. Lk. 17: 21). Letztere wird dem Menschen jedoch ausschließlich durch die Gnade des Heiligen Geistes zugänglich. Diese wiederum wird ihm meistens nur dann gewährt, wenn er nach langer intensiver Buße und tränenreicher Selbsteinsicht demütig genug ist, diese Gnade ohne Schaden für die Seele zu empfangen. Nur so kann Beten und Fasten überhaupt vonstatten gehen! Und dafür stehen der hl. Gregorios Palamas und die Mönche vom Heiligen Berg bis heute als Leuchttürme der Orthodoxie.

Neben der besagten inwendigen Ur-Gefahr der „Vergöttlichung ohne Gott“ (s. Gen. 3: 5) existiert aber auch das pedantische und pharisäische Festhalten an äußeren Regeln und Vorschriften, wofür die Schriftgelehrten in der heutigen Lesung vom Gelähmten aus Kafarnaum stehen. Sie und ihre Nachahmer von damals und heute gleichen im Grunde Kindern, die zwar wohlerzogen sind – immer schön „bitte“ und „danke“ sagen, ordentliche Tischmanieren besitzen und bei der Begrüßung brav ihren Diener oder Knicks machen, - doch in ihrem Inneren voll von Verachtung, Hochmut und sogar Auflehnung sind. Die Zeit wird unweigerlich kommen, da all das, was sich tief verborgen in ihrem Herzen aufgestaut hat, offenkundig zu Tage treten wird. Und je länger dieser Selbstbetrug andauert, desto schlimmer wird es dann für sie selbst und ihre bemitleidenswerten Eltern sein. Aber wie schlimm muss es dann erst für diejenigen sein, die in den allerwichtigsten Belangen – in der Beziehung zum Himmlischen Vater nicht mit ihrem Gewissen im Reinen gewesen sind?!

Für alle gibt es aber einen Arzt (s. Mt. 9: 12). Dieser beweist heute, dass Er die alleinige Macht dazu besitzt, die Menschen von den Fesseln der Sünde zu befreien. Dabei bedient Er Sich fast nebenbei der einfachen menschlichen Logik, die für jeden von uns begreifbar sein sollte. Schon der römische Zenturio aus derselben Stadt konnte zuvor unschwer erkennen, dass wenn er schon seine Soldaten und Bediensteten beinahe nach Belieben herumkommandieren kann (s. Mt. 8: 8-9), dann kann doch der Sohn Gottes umso mehr seinen schwerkranken Diener durch ein einziges Wort aus größerer Entfernung gesund machen. Genau so zeigt unser Herr heute Seinen Widersachern, dass es für Ihn ein Leichtes ist, einen Menschen von seinen Sünden loszusprechen, wenn Er diesen zeitgleich durch ein einfaches Wort von der Tragbahre aufrichten kann (s. Mk. 9: 2).

Wenn man einmal darüber nachdenkt, was sich da in jenem von Menschen überfüllten Hause in Kafarnaum zugetragen hat, sehen wir, dass der Herr den Glauben der vier Freunde des Gelähmten honoriert und ihnen deshalb Seine Gnade gewährt. Wie leicht muss es damals gewesen sein zu glauben, als Gottes Sohn die Menschen durch Seine physische Gegenwart beglückte! - Und heute? - Ist nicht das immerwährende Gebet ein Garant dafür, dass der Herr Jesus Christus uns Seine ständige Gegenwart schenkt, so dass wir nicht erst zu zweifeln brauchen, dass Er uns alle zum Seelenheil führenden Bitten gewähren wird? Bedingung aber ist die Erkenntnis unserer Sündhaftigkeit und das absolut vorrangige Verlangen, die Vergebung der Sünden zu bekommen, denn diese Priorität spiegelt sich in der heutigen Begebenheit besonders deutlich wider: zuerst kommt die Sorge um die Seele, dann um den Leib. 

Wir dürfen also niemals verzweifeln, sondern immer bemüht sein, unseren Herrn „bei uns zu haben“ - als ob Er, wie damals, leibhaftig unter uns weilte. Und wahrhaftig, wenn der Herr Selbst wahrnehmbar neben mir stünde, würde ich doch niemals etwas Böses denken, geschweige denn, sagen oder tun wollen. Er ist doch der Einzige, Den ich zu fürchten habe (s.  Lk. 12: 5). Wir aber fürchten uns stattdessen vor allem Möglichen – vor schwarzer Magie, vor bösen Menschen, vor Krankheiten, Krisen, Unglücken, Kriegen, Dämonen, dem Antichrist**) usw. - nur Gottesfurcht ist uns, der Handlungsweise und dem Lebensstil nach zu urteilen, völlig fremd! Wollen wir also durch das Jesus-Gebet immer mit Herz und Verstand beim Herrn sein, was ja lediglich bedeutet, dass wir Sein elementarstes Gebot erfüllen (s. Mt. 22: 37; s. dazu auch  Lk. 17: 10). Das ist die beste Medizin und Prophylaxe gegen alle Krankheiten der Seele.  Besonders wertvoll ist so eine Einstellung zudem dann, wenn wir nicht Not leiden, wenn wir uns nicht in Gefahr befinden und wenn keiner unserer Liebsten schwer erkrankt ist. Unser Glaube an den Herrn und Seine Worte (s. Mt. 28: 20) wird sich dafür dann umso mehr auswirken, wenn mal wirklich Ungemach droht.

Widerstände wird es dabei von allen Seiten geben, garantiert! Die vier Träger mussten sich wohl auch so einiges anhören, ehe sie sich zum Entschluss veranlasst sahen, das Dach aufzudecken und die Tragbahre durch die Öffnung zu Füßen des Herrn hinunterzulassen. Und da hier die wundersame Heilung dieses Mal nicht an einem Sabbat stattfand, mussten die Schriftgelehrten notgedrungen anderweitig nach einem Haar in der Suppe suchen. So wird früher oder später jedem aufrichtigen Nachfolger Christi ebenso die Abneigung dieser Welt entgegenschlagen (s. 2. Tim. 3: 12). Aber kein Grund zur Sorge! Das muss so sein. Bei „schlechter Presse“ sage ich z.B. zu meinen Schäfchen: „Beruhigt euch! Wenn eines Tages mal was Gutes über unsere Kirche in der Bild-Zeitung stehen sollte, dann erst habt ihr wirklich einen Grund zur Besorgnis“.

Doch zurück nach Kafarnaum. Wie reagiert der Herr auf die Not der vier Träger? - In Seiner Allwissenheit und Güte hätte Er den Männern und ihrem gelähmten Freund doch auch Selbst entgegengehen oder die versammelte Menge bitten können, eine Gasse für den Krankentransport zu bilden.*)  - Stattdessen lässt Er sie zunächst selbst gewähren, stellt ihre Geduld, ihren Tatendrang, ihre Entschlussfreudigkeit und ihren Einfallsreichtum, kurz: ihren Glauben auf die Probe – und gewährt ihnen dann, nach bestandener Prüfung, Seine Hilfe. Ist das nicht eine ideale Vorlage für die Beharrlichkeit unserer Gebete?! Der Herr sieht doch, was wir benötigen, Er weiß alles, ist allmächtig, steht immer neben uns – und gewährt uns Seine Hilfe, wenn wir nur bereit sind, Seinen Willen zu akzeptieren. Wir müssen nur daran glauben.

 

Zum Schluss eine Notiz am Rande: in der Lesung vor einer Woche sprach der Herr zu einer singulären Person (Natanael) im Plural (s. Joh. 2: 51), wodurch sich nicht nur die übrigen anwesenden Jünger angesprochen fühlen sollten, sondern wir alle; in der heutigen Lesung sieht der Herr den Glauben der Mehreren, und spricht dann aber zu dem Einzelnen: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!“ (Mk. 2: 5). Wird dadurch nicht zum Ausdruck gebracht, dass wir als Musketiere, pardon, Krieger des Herrn die Devise haben: „Einer für alle – alle für einen!“? - Vater Archimandrit Simeon (+2009) aus dem Kloster St. John the Baptist in Essex schreibt ja, dass es ontologisch keinen Unterschied macht, ob wir beim Jesus-Gebet die Singular- oder die Pluralform verwenden, denn nach dem Vorbild der Göttlichen Dreiheit sind wir alle eins in Christus (s. Röm. 12: 5). Er ist der All-Mensch, und wir sind Glieder an Seinem Leibe (s. 1. Kor. 6: 15;  12: 27). Zumindest können wir durch Gebet und Fasten zu solchen werden, wie es uns die Heilige Kirche durch unsere Gott tragenden Väter wie den hl. Gregorios Palamas lehrt.

Amen.

 

*) Irgendwie erinnert mich das Ganze an einen Unfall auf der Autobahn, wenn sich auch auf der Gegenfahrbahn ein kilometerlanger Stau bildet, so dass die Notfallhelfer wegen unfallg..ler Gaffer erst mit großer Verspätung die Rettungsmaßnahmen einleiten können.

 

**) Protodiakon Andrej Kuraev wies mal daruf hin, dass in russischen Kirchen am Kiosk oftmals zehn Bücher über den Antichristen zu erwerben sind (und natürlich reißenden Absatz finden!), aber kaum mal eines über Christus.

Jahr:
2015
Orignalsprache:
Deutsch