Predigt zum 31. Herrentag nach Pfingsten / Herrentag nach Theophanie (Eph.. 4: 7-13; 1. Tim. 1: 15-17; Mt. 4: 12-17; Lk. 18: 35-43) (26.01.2014)

Liebe Brüder und Schwestern,

 

der auf das Hochfest der Taufe Christi folgende Sonntag versetzt uns in die Lage, fortgesetzt darüber nachzudenken, was das Ziel des Menschen nach dem Empfang der Taufe sein muss. Wir alle sollten uns darüber im Klaren sein, dass die Taufe der erste,und nicht der letzte Schritt im geistlichen Leben des Menschen sein muss. Wer getauft wird und danach nicht am Leben der Kirche teilnimmt, der erklärt am Tage seines Eintritts in die Kirche zugleich praktisch seinen Austritt. Er gleicht dadurch einem, der eine Jahreskarte für die Staatsoper erwirbt, aber nie zu einer Vorstellung erscheint, oder einem, der das Ticket für eine Weltreise kauft, aber dann lieber zu Hause bleibt.

 

Dass es nach der Taufe Widerstände geben wird, sollte freilich jedem bewusst sein. Beim Evangelisten Markus lasen wir am gestrigen „Samstag nach Theophanie“ gleich nach dem Abschnitt von der Taufe des Herrn: „Danach trieb der Geist Jesus in die Wüste. Dort blieb Jesus vierzig Tage lang und wurde vom Satan in Versuchung geführt“ (Mk. 1: 12-13).

Wenn also beim Menschensohn die Versuchung durch den Teufel vorgezeichnet war, dann wird sie es zu gegebener Zeit auch bei uns sein - jedem nach dessen Möglichkeiten, denn „jeder von uns empfing die Gnade, wie Christus sie ihm geschenkt hat“ (Eph. 4: 7). Wir alle sind berufen, uns als Glieder des Leibes Christi an dessen Aufbau zu beteiligen. Christus nämlich „gab den einen das Apostelamt, andere setzte Er als Propheten ein, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, um die Heiligen für die Erfüllung ihres Dienstes zu rüsten, für den Aufbau des Leibes Christi. So sollen wir alle zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, damit wir zum vollkommenen Menschen werden und Christus in Seiner vollendeten Gestalt darstellen“ (4: 11-13). Das ist die gemeinsame Berufung der Getauften! Eine Taufe in Christus ist demnach keine private Veranstaltung, sondern Angelegenheit der ganzen Kirche, was in der Frühkirche dadurch zum Ausdruck kam, dass die Taufe neuer Mitglieder während der Göttlichen Liturgie im Beisein der Gemeinde vollzogen wurde. Dies diente als Zeichen der gemeinsamen Verantwortung aller Getauften für jeden einzelnen und für die Verantwortung jedes einzelnen für den gesamten Organismus. Das Ziel war, ist und bleibt Christus: „Wir wollen uns, von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten und in allem wachsen, bis wir Ihn erreicht haben. Er, Christus, ist das Haupt. Durch Ihn wird der ganze Leib zusammengefügt und gefestigt in jedem einzelnen Gelenk. Jeder trägt mit der Kraft, die ihm zugemessen ist. So wächst der Leib und wird in Liebe aufgebaut“ (4: 15-16).

 

Wir sollen uns, von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten, bis wir Christus erreicht haben!.. Unser Gott ist der Gott der Liebe und der Wahrheit, denn in der Person Jesu Christi „werden Wahrheit und Güte sich vermählen, Friede und Gerechtigkeit sich miteinander vereinen“ (Ps. 84: 11). Aber sind diese beiden wirklich immer vereinbar, stehen Milde und Gerechtigkeit nicht manchmal auch im Widerspruch zueinander?

 

Aus der Versuchung des Herrn nach der Taufe (s. Mt. 4: 1-11) lernen wir, dass wir als in Christus erneuerte Menschen berufen sind, dem Bösen in der Kraft des Heiligen Geistes zu widerstehen. Aber wie können wir das als schwache Menschen?! Zwar heißt es: „Seht, Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe: seid daher klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ (Mt. 10: 16; vgl. Lk. 10: 3), aber auch: „Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen“ (Ps. 22: 1). Ein Hirte, schickt Seine Schafe doch nicht unter die Wölfe, damit sie von diesen zerfleischt werden!.. Und weiter heißt es: „Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin“ (Mt. 5: 39). Im absoluten wörtlichen Sinn wäre das doch selbstzerstörerisch, absurd, kontraproduktiv. Aber wie soll ich mich denn nun verhalten – wann soll ich das Böse bekämpfen, und wann soll ich alles über mich ergehen lassen? Wie kann ich „Schlange“ und „Taube“ zugleich sein? - Eine schwierige Frage.

 

Unser Erlöser hat Selbst alles „vorexerziert“. So auch eine beispielhafte Anschauung dessen, wie man das Böse durch das Gute (s. Röm. 12: 21) besiegt, indem Er „für die Wahrheit Zeugnis“ ablegte (s. Joh. 18: 37). Und das ist die stärkste Waffe, die es gibt! Mit ihr können Schafe unter Wölfen leben, mit ihr können Wehrlose und Schwache vor unerbittlichen Statthaltern und ruchlosen Königen furchtlos bestehen (s. Mt. 10: 18; Mk. 13: 9; vgl. Lk. 12: 4-12). Jeder, der mit Christus ist, kann Seinem Beispiel folgen. Der Herr stand Selbst vor dem Hohen Rat und wurde vom Hohepriester über Seine Jünger und Seine Lehre gefragt (s. Joh. 18: 19). Wie reagierte Er? - Mit Würde und Selbstachtung: „Ich habe offen vor aller Welt gesprochen. Ich habe immer in der Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen. Nichts habe Ich im geheimen gesprochen. Warum fragst du Mich? Frag doch die, die Mich gehört haben, was Ich zu Ihnen gesagt habe, sie wissen, was Ich geredet habe“ (18: 20-21). Oder, anders formuliert: „Ich habe hier in Jerusalem, in allen übrigen Städten und Dörfern, auf den Bergen, in der Wüste und auf dem See vor Tausenden von Menschen offen gelehrt. Warum seid ihr da nicht gekommen und habt Mich da, vor allen Leuten, nicht gefragt? Warum habt ihr Mich stattdessen mitten in der Nacht wie einen Schwerverbrecher gewaltsam festnehmen lassen (vgl. Mt. 26: 55), um Mich das zu fragen, was ihr schon längst selbst wisst?!“ Und als der Herr von einem der Knecht ins Gesicht geschlagen wird, entgegnet Er diesem ohne Bosheit, ohne Abscheu, sogar mit Respekt, jedoch wahrheitsgemäß: „Wenn es nicht recht war, was Ich gesagt habe, so weise es nach; wenn es aber recht war, warum schlägst du Mich?“ (18: 23). - Das ist Demut und Erhabenheit zugleich!

Auch wir dürfen keinesfalls bestrebt sein, das Böse mit Bösem zu bekämpfen oder gar danach trachten, den Feind zu vernichten. Wir sollen vielmehr das Böse verabscheuen, dabei aber am Guten festhalten (s. Röm. 12: 9) und unsere Widersacher vom Bösen zum Guten bekehren (s. Lk. 6: 27-36), denn „der Menschensohn ist nicht gekommen, um Menschenseelen zu vernichten, sondern um sie zu erretten“ (Lk. 9: 56). Und hierfür soll uns jedes persönliche Opfer recht sein, das ist unser Beitrag zu einer glaubhaften Verkündigung der Wahrheit des Herrn (s. Mt. 28: 20).

 

Aber von welcher Wahrheit bzw. Gerechtigkeit sprechen wir? Von der, für die sich Zehntausende in Kiew oder Bangkok seit Wochen mit der Polizei bis auf das Blut bekämpfen? - Eher nicht. Dafür aber von der personifizierten göttlichen Wahrheit, für die die Herrscher dieser Welt nur ein spöttisches, unverständiges Schulterzucken übrig haben: „Was ist Wahrheit?“ (Joh. 18: 38).

 

Diese Wahrheit und Gerechtigkeit offenbarte Sich am Jordan, als der Herr zum Täufer sprach: „Nur so können wir die Gerechtigkeit, die Gott fordert, ganz erfüllen“ (Mt. 3: 15). Die Gerechtigkeit Gottes ist nicht die Gerechtigkeit des Menschen: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht Meine Wege – Spruch des Herrn“ (Jes. 55: 8). Es ist, wohlgemerkt, eine Gerechtigkeit, die dem menschlichen Gerechtigkeitsempfinden diametral entgegengesetzt ist. Nach der Taufe im Jordan beginnt nämlich Der Seinen Leidensweg, Der Selbst keinerlei Schuld auf Sich geladen hat, um für die Sünden derer zu sterben, die Seine Gebote missachtet haben! Er tut dies ohne Vorbedingung, schenkt allen, die an Ihn glauben, Seine Gnade. Als einzige „Gegenleistung“ erwartet Er aber von uns, dass wir Seine Gerechtigkeitskriterien in Bezug auf unsere Mitmenschen anwenden(s. Mt. 7: 2; Mk. 4: 24 und Lk. 6: 38).

Im Klartext bedeutet dies, dass wir bei nachrangigen Streitfragen gegebenenfalls „die andere Wange hinhalten“ sollen. Wenn mein Freund meint, 2 + 2 = 5, dann werde ich aus Liebe zu ihm „fünf gerade sein lassen“ - Hauptsache, es herrscht Frieden zwischen uns, und wir beweisen, dass wir zurecht Gottes Söhne und Töchter sind (s. Mt. 5: 9). „Wenn einer von euch leiden muss, weil er Christ ist, dann soll er sich nicht schämen, sondern Gott verherrlichen, indem er sich zu diesem Namen bekennt“ (1. Petr. 4: 16). Und, keine Sorge, Gott macht keine Schulden bei uns! Er zahlt alles hundertfach zurück (s. Mk. 10: 30; Lk. 18: 30), sofern wir uns um Seine Gerechtigkeit bemühen (s. Mt. 5: 6 und 6: 33), gemäß den Worten: „Ich heilige Mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind“ (Joh. 17: 19).

 

Diese Wahrheit beseelte die Martyrer der Urkirche, wie die Bekenner der Neuzeit. Diese Wahrheit war in den siebzig Jahren kommunistischer Diktatur am Ende stärker als ein scheinbar allmächtiger Staatsapparat von NKWD, KGB, GULAG; stärker als das Monopol für atheistische Indoktrination, das von der Tageskrippe bis zur Akademie der Wissenschaften reichte; stärker als die totalitäre Lügenmaschinerie und ihre dreiste Propaganda in den kontrollierten Massenmedien, - so dass am Ende Panzer, Flugzeugträger und Atomraketen einer Supermacht machtlos waren gegen ein Heer von alten Frauen, die einfach nicht wahrhaben wollten, „dass es keinen Gott gibt“; machtlos gegen einfache Mönche und Nonnen, die in aller Stille für die Bekehrung ihrer Feinde gebetet haben; machtlos gegen Bischöfe, Priester und Diakone, die allen Widrigkeiten und Schikanen zum Trotz voller Inbrunst durch ihr Leben den Glauben dort verkündet haben, wo das gesprochene Wort Gottes nicht ertönen durfte.

 

Welcher Beweise bedarf es noch, bis wir erkennen, dass unser Glaube an Gott die stärkste Waffe in dieser Welt ist, mit der selbst Kinder und Greise blutrünstige Tyrannen besiegten?! Sie alle haben dabei Dessen unaussprechliche Demut nachgeahmt, Der Sich als König des Alls den weltlichen Gesetzen nicht widersetzte, sondern es zuließ, als Untertan des irdischen Kaisers eingetragen zu werden, um später die weltliche Macht des römischen Statthalters über Sich als von Gott gegeben anzuerkennen; sie eiferten Dem nach, Der Sich als Gesetzesgeber den religiösen Gesetzen beugte, am achten Tag beschnitten, am vierzigsten Tag im Tempel dargestellt wurde, als einzig Sündenfreier die Taufe zur Vergebung der Sünden im Jordan empfing und Sich dem Urteil des Hohen Rats beugte. Beides zusammen – Gehorsam gegenüber der weltlichen Macht und Unterordnung unter den göttlichen Willen - kulminierte im Garten Gethsemane und zu Golgatha, wo Der Sohn Gottes aus freiem Willen für die Sünden der Menschen litt und starb. Aber das Ende der irdischen Mission Christi war zugleich die Saat für das Reich Gottes hier auf Erden.

 

DAS ist der Maßstab, nach welchem ich mich gegenüber dem Bösen in der Welt, sei es im Staat oder gar in Reihen der Kirche, verhalten werde - so Gott will! Denn in Wirklichkeit lenkt Gott die Welt, nicht der Mensch.„So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind Meine Wege über eure Wege und Meine Gedanken über eure Gedanken“ (Jes. 55: 9).

 

Also muss uns heute doch nicht bange vor der Zukunft sein, zumal das Evangelium Christi die „Frohe Botschaft“ ist – auch und vor allem in schwierigen Zeiten. Amen.