Predigt zum 26. Herrentag nach Pfingsten (Lk. 17: 12-19) (22.12.2013)

 

(Eph. 5: 8-19; Lk. 17: 12-19)

 

Liebe Brüder und Schwestern,

 

in der für den heutigen Sonntag vorgeschriebenen Apostellesung schreibt der hl. Paulus an die Kirche von Ephesos: „Prüft, was dem Herrn gefällt, und habt nichts gemein mit den Werken der Finsternis, die keine Frucht bringen, sondern deckt sie auf“ (Eph. 5: 10-11), und weiter: „Lasst in eurer Mitte Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder erklingen. Singt und jubelt aus vollem Herzen zum Lob des Herrn! Sagt Gott, dem Vater, jederzeit Dank für alles im Namen Jesu Christi, unseres Herrn!“ (5: 19).

Wie beginne ich also den Kampf „mit den Werken der Finsternis“, um in gut zwei Wochen freudevoll, voll des Dankes „für alles im Namen Jesu Christi“ am Feste des Lichtes teilhaben zu können?

Ich beginne schlicht und ergreifend mit einem „Offenbarungseid“, denn nichts anderes besagen z.B. auch die ersten Worte der Seligpreisungen: „Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich“ (Mt. 5: 3). Meine täglichen Gebete, jede Beichte in der Kirche soll mit einer geistlichen „Bankrotterklärung“ beginnen, denn mit dem „Aufdecken“ meint der Apostel wohl zuerst meine eigenen „Werke der Finsternis“, nicht die der anderen. Konkret heißt das: ich soll mich nicht im Bloßstellen der anderen befleißigen, sondern mir wünschen, dass mir durch meine Mitmenschen ggf. meine eigenen Schwächen geoffenbart werden. Das beinhaltet auch das Erdulden von unangenehmen Zurechtweisungen, ja sogar von Hohn und Spott.

 

Als Seelsorger hört man sehr oft in der Beichte: „Ich will ja nicht sündigen, aber ich bin so schwach, ich kann einfach nicht dagegen ankämpfen“ - was nichts anderes bedeuten soll, als das: „Ich bin nun einmal so jähzornig, dass ich sogar meinen liebsten Menschen Böses tun kann; ich kann Herrn X oder Frau Y nun einmal nicht ausstehen; ich bin nun mal faul, träge, unentschlossen, gleichgültig gegenüber dem Leid anderer“ usw., kurzum: „Ich komme nicht an gegen meine Schwäche, also kann ich doch nichts dafür, dass ich so bin wie ich bin!“

 

Die Frage sei dann aber erlaubt: wer kann was dafür?!

- Gott?! … Nun ja, Er hat mich doch so gemacht, oder etwa nicht?...

Oder, anders formuliert: können wir etwas dafür, wenn wir menschlich nicht vollkommen sind?

Wahr ist: Gott hat uns so geschaffen wie wir sind. Wir sind alle verschieden, bei uns allen sind Stärken und Schwächen unterschiedlich verteilt; nur in unserer Unvollkommenheit sind wir alle gleich. Und von dem, der ein Talent erhalten hat, wird nicht soviel verlangt, wie von dem, der fünf erhalten hat. So sagt es auch Metropolit Anthony (Bloom): Gott verlangt nicht mehr von uns, als wir leisten können. Aber das, wozu wir imstande sind, sollten wir schon erfüllen können.

Keiner ist als Heiliger geboren worden, aber genauso wenig ist jemals einer als Mörder oder Dieb geboren worden.

 

Die Frage ist demnach: was machen wir aus unseren von Gott individuell auf uns zugeschnittenen Möglichkeiten – ob uns fünf, zwei oder ein Talent gegeben worden ist?

 

Ein schon zu Lebzeiten allseits als Heiliger bekannter Mann besuchte einst ein Kloster und lebte einige Zeit zusammen mit den Mönchen. Bei der Verabschiedung fragten ihn die Brüder: „Wer von uns ist am weitesten fortgeschritten im geistlichen Leben?“ - Der Heilige antwortet ohne zu zögern: „Euer Koch erfüllt am gewissenhaftesten Gottes Gebote“. Darauf ertönte ein Aufschrei des Erstaunens: „Waaaas, dieser Grobian?! Du hättest ihn mal sehen sollen, wie er mit Töpfen und Schöpfkellen nach den anderen wirft. Und du hättest mal hören sollen, was für Worte des Zorns über seine Lippen kommen. Gerade erst gestern, da hat er...“  - „Ich weiß, ich weiß“, lächelte der Heilige. „Ihm ist von Gott ein fürwahr schwieriger Charakter in die Wiege gelegt worden. Zeit seines Lebens kämpft er jedoch mit sich selbst; oft fällt er, aber er steht immer wieder auf. Was meint ihr, wie sehr er jedes Mal seine Verfehlungen bereut?! Und wisst ihr überhaupt, was er für eine Kindheit hatte? Von den Eltern nicht geliebt, in der Schule von allen gehänselt, in der Nachbarschaft von allen gemieden. Andere hätten mit diesen Grundvoraussetzungen zu Massenmördern werden können, er aber ging ins Kloster, um mit Gottes Hilfe in Demut sein Heil zu erlangen. Was ihr hier seht ist nur die raue Schale – das Innere bleibt euch verborgen, weil ihr so oberflächlich über ihn urteilt.“

 

So handeln auch wir sehr oft, weil wir das Böse meist außerhalb von uns selbst suchen, anstatt es in unserem Innersten ausfindig zu machen (s. Mt. 7: 1-5) ...

Also gut, den ersten Schritt, die Aufdeckung unserer finsteren Werke können wir alle tun. Als Beichtende können wir ohne größere Anstrengung erkennen und bekennen, dass wir nicht das tun, „was dem Herrn gefällt“. Zu dieser Einsicht fehlt uns nun lediglich noch die Entschlossenheit oder, nach unseren eigenen Angaben, die Kraft, um dagegen anzukämpfen.

 

Woher nehme ich die Kraft, die mir fehlt?

 

Gott sprach einst zu einem überaus schwachen Menschen: Meine Gnade genügt dir, denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit“. Daraufhin sagte sich der Angesprochene: „Viel lieber also will ich mich meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt. Deswegen bejahe ich meine Ohnmacht, alle Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die ich für Christus ertrage; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark(2. Kor. 12: 9-10).

 

So einfach ist das.

 

Aber was machen wir mit der Gnade Gottes, die uns die Kirche in Gestalt der göttlichen Mysterien – Beichte, Eucharistie, - in überreichem Maße darreicht?

 

Entweder wir ignorieren sie (davon wird in einer Woche die Rede sein, wenn wir über das Gleichnis vom Hochzeitsmahl des Herrn sprechen), oder wir pervertieren sie: statt sich selbst anzuklagen, „beichten“ wir liebend gern die Sünden der anderen, die sich alle miteinander gegen uns verschworen haben („Ich meine es immer gut mit allen, nur die anderen sind immer so gemein zu mir!“); so weisen wir die Gnade Gottes ab, anstatt sich über erlittenes Unrecht zu freuen, wie es geschrieben steht: „Darum sollen alle, die nach dem Willen Gottes leiden müssen, Gutes tun und dadurch ihr Leben dem treuen Schöpfer anbefehlen“ (1. Petr. 4: 19).

 

Wir müssten doch als Nachfolger Christi längst erkannt haben, dass Leid und Unrecht sich immer in einen Quell der göttlichen Gnade verwandeln können. Christus Selbst ist doch als Unschuldiger für unsere Sünden am Kreuz gestorben.

 

Wollen wir also dankbar sein, auch für erlittenes Unrecht seitens unserer Mitmenschen. Gerade bei der Beichte können wir erkennen, was Dankbarkeit bedeutet, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass die nächste Beichte schon die letzte sein kann. Das schärft wiederum unseren Blick auf die geistliche Realität.

Aus der Evangeliumslesung erfahren wir nämlich, dass neun rechtgläubige Juden nicht zurückkehrten, „um Gott zu ehren“ (Lk. 17: 17), dass aber der Samariter Jesu zu Füßen fiel und Ihm für die Heilung dankte. Er, der „Fremde“, wusste die Gnade Gottes zu schätzen, für die anderen neun war sie wohl eine Selbstverständlichkeit.  

Ich habe eine junge Inderin in der Weimarer Gemeinde, die, obwohl sehr in Anspruch genommen durch ihre Arbeit, zu jedem Gottesdienst aus Jena kommt und trotz der Sprachbarriere zu mir sagt: „Ich bin so glücklich, dass ich orthodox bin!“ Andere müssen erst daran erinnert werden, dass es vor gar nicht allzu langer Zeit gar nicht so selbstverständlich war, dem Gottesdienst in der Kirche ohne Schikane von außerhalb beizuwohnen, seine Kinder taufen zu lassen und den Glauben ungehindert praktizieren zu können.

 

Dankbar ist man vor allem für das, was man zu schätzen weiß. Doch etwas schätzen können wir leider meistens erst dann, wenn es nicht mehr da ist. Auch im zwischenmenschlichen Bereich: nehmen wir z.B. einen mir nahestehenden Menschen, mit dem ich oft Auseinandersetzungen hatte, der jetzt nicht mehr da ist. Was würde ich nicht alles geben, um jetzt nur für eine Minute mit diesem Menschen sprechen zu können, ihn umarmen, an mich drücken, küssen und zu  ihm sagen zu können, wie sehr mir meine Verfehlungen ihm gegenüber leid tun, wie sehr ich ihn liebe, wie nichtig all unsere irdischen Zwistigkeiten vor dem Hintergrund der Ewigkeit doch waren?!...

 

Solange wir die Gelegenheit dazu noch haben, wollen wir uns doch aufrichtig vor dem Angesicht Gottes mit unserem eigenen Gewissen und unseren Mitmenschen versöhnen – und damit den ersten Schritt in Richtung ewiges Leben tun. Nur dann verdient die Beichte auch wirklich ihren Namen. Dann können wir alle, Laien und Geistliche, „ein Leib und ein Geist“ (Eph. 4: 4) sein. Das bedingt den Umstand, dass wir nur gemeinsam, als Ganzes, das Heil erlangen können, denn durch unsere Berufung ist uns „auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben“ (ebd.).  Eben diese Einheit als ein Leib und ein Geist ermöglicht es uns allen, gegen die Werke der Finsternis, die keine Frucht bringen, anzukämpfen. Die gemeinsamen Gottesdienste, aber auch die häuslichen Gebete – Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder – bewirken doch, das der Leib vom Geist erfüllt wird. Diesen Zustand wollen wir anstreben, der die Freude und den Dank zum Ausdruck bringt. Diese spürbare Gnade bewirkt doch, dass der Schwache, Unentschlossene, Willensschwache nicht mehr sündigen will!

Diese Wonne der lebendigen Gemeinschaft  mit Christus und Seiner Kirche ist doch der größte Ansporn, um gegen sündige Leidenschaften – die angesprochenen Werke der Finsternis – anzukämpfen. Zudem ist mir eine solche Motivation, die mich als freies, vernunftbegabtes Kind des Himmlischen Vaters respektiert, tausendmal lieber, als die Androhung von Höllenqualen und ewiger Verdammnis für meine absichtlichen und unabsichtlichen Verfehlungen.

Lasst uns alle zusammen diese Erfahrung machen – durch Gebet, Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder aus vollem Herzen zum Lobpreis des Herrn. Das ist der beste Ausdruck unserer Danksagung für alles an Gott den Vater im Namen unseres Herrn Jesu Christi. Das wäre zudem die beste Vorbereitung zur Eucharistie, was übersetzt nichts anderes heißt als Danksagung. Amen.