Predigt zum Herrntag der hl. ehrwürdigen Maria von Ägypten (Hebr. 9: 11-14; Gal. 3: 23-29; Mk. 10: 32-45; Lk. 7: 36-50) (21.04.2013)

Liebe Brüder und Schwestern,

 

mit dem Sonntag zu Ehren der heiligen Maria von Ägypten biegen wir, sozusagen, in die Zielgerade der Fastenzeit ein. Es bleibt noch eine Woche, die mit dem Fest „der kleinen Auferstehung“ - dem Lazarus-Samstag, endet. Danach beginnt schon die Große Woche, die durch das Hochfest des Einzugs des Herrn in Jerusalem eingeleitet wird.

Wir hören heute zwei Evangeliumslesungen: die erste im Zusammenhang mit der näherrückenden Karwoche, die zweite zu Ehren der hl. Maria von Ägypten.

Die schon dritte Ankündigung der Leiden, des Todes und der Auferstehung des Herrn (vgl. Mk. 8: 31-33; 9: 30-32) erfolgt nach dem letzten Aufbruch aus Galiläa in Richtung Jerusalem. Interessant ist immer wieder die Reaktion der Jünger auf diese Ankündigungen des Herrn: beim ersten mal, in Cäsarea Philippi, nahm Ihn „Petrus beiseite und machte Ihm Vorwürfe“, wollte seinem Herrn das Leiden und den Tod noch „ausreden“ (s. 8: 32); beim zweiten Mal, in Galiläa, verstanden die Jünger „den Sinn Seiner Worte nicht, scheuten sich jedoch, Ihn zu fragen“ (9: 32); und beim dritten Mal, auf dem Weg nach Jersusalem, wenden sich die beiden Söhne des Zebedäus an Ihn mit ihrer sehr irdisch anmutenden Bitte vom Sitzen zur Rechten und zur Linken in Seinem Reich. Darauf erfolgt die Belehrung des Herrn in Bezug auf wahre Größe und die Nachfolge Christi: „Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um Sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und Sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (10: 43-45).

Was bei allen drei Ankündigungen auffällt: die, an die diese Worte gerichtet sind, scheinen die Ankündigung von der Auferstehung am dritten Tage jedesmal zu „überhören“ (vgl. Mk. 8: 31; 9: 31; 10: 34). Dreimal wurde es ihnen explizit angekündigt, doch sie können es, im wahrsten Sinne des Wortes, nicht fassen...

Sie reagieren menschlich. Auch die angekündigten Leiden und der Tod Christi werden zusehends „ausgeblendet“, so dass in ihrer Vorstellung am Ende nur noch das Königreich ohne jedes Opfer dasteht, dass sie bloß noch mit ihrem Meister in Besitz zu nehmen brauchen. Ein irdisches Königreich hier und jetzt, ohne Leiden, Tod und Auferstehung.

Auch wenn sie (v.a. Petrus, Jakobus und Johannes) bereits früher in einer namentlich nicht genannten Stadt am See Genezareth die wenige Minuten zuvor verstorbene Tochter des Jairus und danach den schon zu Grabe getragenen Sohn der Witwe zu Nain wieder lebendig gesehen haben, und in wenigen Tagen - als weitere Steigerung – den schon der Verwesung anheimgefallenen Lazarus die Grabesbinden ablegen sehen werden, übersteigt der Gedanke an die Auferstehung Christi Selbst ihre Vorstellungskraft – sogar, als sie von der Auferstehung hören und mit eigenen Augen den Auferstanden erblicken (s. Mt. 28: 17; Mk. 16: 11-13; Lk. 24: 11, 25-26, 36-42).

Auch wir tun uns manchmal schwer, wirklich an die Möglichkeit der Auferstehung  von den Toten zu glauben. Der Apostel Paulus sagt jedoch: „Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos“ (1 Kor. 15: 14), und fügt hinzu: „Wenn wir unsere Hoffnung nur in diesem Leben auf Christus gesetzt haben, sind wir erbärmlicher daran als alle anderen Menschen“ (15: 19). In diesen Worten wird ja die Trennlinie sichtbar, die den wahren Glauben an Christus vom falschen unterscheidet – eine Trennlinie, die selbst die Jünger, wie gerade dargelegt, bis ganz zum Schluss nicht erkennen konnten. Täglich verkündete Christus der Herr das Reich Gottes in Städten, Dörfern, auf den Bergen, in der Wüste und auf dem See, aber Seine Jünger dachten bis zum Schluss an ein Königreich nach irdischem Muster. Er verkündigte ihnen die Auferstehung, das ewige Leben, das Himmelreich, aber sie interpretierten es wohl als exaltierte symbolische oder allegorische Rede. Und wenn wir ehrlich sind, klingt das Воистину Воскресе, das Aleithos Anesti zumindest bei denen, die nur ihre Osterspeisen segnen lassen, auch bei uns wie ein folkloristischer Brauch. Aus dem Munde eines wahren Christen müsste es doch „WAHRHAFTIG AUFERSTANDEN“ lauten, d.h. äußerer Ausdruck tiefster innerer Freude über die Auferstehung sein.

Aber wie erlange ich diese Freude am Glauben? - Wir hören heute wirklich wunderbar einfache und doch wirkungsvolle Worte des Herrn, die Er in der zweiten Lesung über die reuige Sünderin spricht: „Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie (Mir) soviel Liebe gezeigt hat. Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe“ (Lk. 7: 47). Wenn wir also wieder zum Kern des Evangeliums, dem Gebot der Gebote kommen: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken“  und “Du sollst deinen nächsten lieben wie dich selbst“ (Lk. 22: 37, 39), dann folgern wir daraus, dass Bußfertigkeit die Voraussetzung für die Liebe zu Gott ist, dass aber auch, umgekehrt, nur bei vorhandener Liebe zu Gott die Sünden vergeben werden können. Beides hatte die Sünderin, beides fehlte dem Pharisäer. Vereinfacht gesprochen gilt demnach für uns: je mehr ich mich als Sünder sehe, desto größer ist meine Liebe und Dankbarkeit zu Gott.

Der uns heute als Anschauungsbeispiel angebotene Protoyp der Bekehrung ist die hl. Maria von Ägypten (+ um 430). Sie lebte als Buhlerin 17 Jahre in Alexandria, bevor sie aus lustvoller Neugier eine Gruppe von Pilgern nach Jerusalem begleitete, wobei sie der Mannschaft ihre Dienste anbot, um die Überfahrt zu bezahlen. In Jerusalem angekommen, wurde sie dreimal von einer unsichtbaren Kraft gehindert, die Grabeskirche zu betreten, um das Heilige Kreuz zu verehren. Erst als sie im Vorhof der Kirche eine Ikone der Allreinen Jungfrau erblickte und zu Ihr inbrünstig, voller aufrichtiger Reue betete, wurde sie hineingelassen. Von einem Unbekannten erhielt sie drei Geldmünzen, von denen sie drei Brote kaufte – als ganzen Vorrat für den Rest ihres irdischen Lebens! In einer anderen Kirche empfing sie die Heiligen Gaben, ging danach in die Wüste jenseits des Jordans, in der sie erst nach 46 Jahren den heiligen Zosimas traf, dem sie ihre ganze sündige Vorgeschichte offenbarte. Dieser spendete ihr auf ihre Bitte hin am Großen Donnerstag, dem Tag des Abendmahls des Herrn, die Heilige Kommunion, wobei die hl. Maria ihm auf dem Wasser des über die Ufer getretenen Jordans entgegenkam. Nachdem der hl. Zosimas gegangen war, verschied die hl. Maria zu Ostern im Herrn. Im Jahr darauf fand der hl. Zosimas, der, wie damals bei den Mönchen aus dem betreffenden Kloster üblich, die Große Fastenzeit allein in der Wüste verbrachte, den unverwesten Leib der hl. Maria mit der schriftlichen Bitte, sie an dieser Stelle zu begraben. Als Helfer bot sich dem Heiligen ein Löwe an, der mit seinen Tatzen die Grube für die letzte Ruhestätte der hl. Maria aushob.

Christus ist ja in die Welt gekommen, um die Sünder zu erretten. Diesen galt doch immer Seine größte Aufmerksamkeit und Zuwendung. Durch Gottes Vorsehung „muss“ der Mensch manchmal erst zum großen Sünder werden, um zu erkennen, dass ein Leben ohne Gott wie eine Fahrt mit Vollgas in eine Sackgasse ist. Einem offensichtlichen Sünder fällt diese Erkenntnis oftmals leichter, als einem vermeintlich Rechtschaffenen. „Heißt das nun, dass wir an der Sünde festhalten sollen, damit die Gnade mächtiger werde? Keineswegs! Wie können wir, die wir für die Sünde tot sind, noch in ihr leben?“ (Röm. 6: 1-2), schreibt ein weiterer bekehrter Sünder.

Das Beispiel der hl. Maria von Ägypten verdeutlicht uns anschaulich, dass Gottes Gnade für sündige Menschen keine Grenzen kennt, sofern sie ihre Sünden bereuen und sich zu einem tugendhaften Leben bekehren. Und wir „Normalsünder“ täten gut daran, uns mit der Frau im Hause des Pharisäers zu identifizieren, und nicht mit dem Gastgeber. Aber wer kratzt schon gerne an seiner blitzblanken Oberfläche, um die in seinem Innersten verborgenen Leidenschaften und sündhaften Neigungen ans Tageslicht zu fördern?!..

Wir müssen dazu nicht in die Wüste gehen, wie die hl. Maria von Ägypten. Sehr wohl müssen wir aber durch die Reinigung unserer selbst in der Liebe zu Gott und den Mitmenschen wachsen. Das Eremitentum ist, wohlgemerkt, der Abschluss eines lebenslangen Prozesses des Aufstiegs zum Himmel, nicht dessen Beginn. So sprach der junge Abba Longinus einst zu Abba Lukios: „Vater, lass mich allein in die Wüste ziehen“. Abba Lukios entgegenete ihm: „Lerne zuerst, hier gut mit den Menschen auszukommen; erst dann kannst du als Einsiedler in der Wüste leben“. Amen.

Jahr:
2013
Orignalsprache:
Deutsch