Predigt zum Hochfest der Geburt der Allerheiligsten Gottesgebärerin (Phil. 2:5-11; Lk. 10:38-42; 11:27-28) (21.09.2021)

Liebe Brüder und Schwestern, genau eine Woche nach Beginn des Indikts begehen wir das erste Hochfest im Kirchenjahr, was gewissermaßen einer chronologischen Abfolge der heilsgeschichtlich relevanten Ereignisse entspricht. Nach der Geburt der Theotokos feiern wir Ihre Einführung in den Tempel, die Verkündigung durch den Erzengel und Ihr seliges Entschlafen. Aber auch die Geburt Christi oder Seine Darstellung im Tempel sind ohne die Mutter des Herrn nicht denkbar. Im Neuen Testament wird nur wenig über die Gottesmutter berichtet, was Ausdruck Ihrer Demut ist, die selbst die Engel in Erstaunen versetzte. Man stelle sich nur vor: Sie lebte seit Ihrem vierten Lebensjahr im Tempel und hatte täglich Kontakt zu den Engeln, besagt die kirchliche Überlieferung. Wie man danach weiterhin so demütig sein kann, entzieht sich unserem Vorstellungsvermögen. Die große Gefahr eines Asketen besteht ja darin, zu früh, also schon vor der angemessenen Zeit die gnadenvolle Kenntnis Gottes zu erlangen und dadurch hochmütig zu werden (s. Gen. 3:4-13; 22; vgl. Lk. 15:12). Heilige strebten nicht nach Visionen und fürchteten sich stets davor, dämonischer Täuschung zu erliegen, während die heilige Jungfrau mit Beginn des Jugendalters nicht einmal im Gedanken gesündigt hatte. Dennoch erschrak Sie, als Sie den Gruß des Erzengels hörte: „Sei gegrüßt, Du Begnadete! Der Herr ist mit Dir!“ (Lk. 1:28). Es ist ein zweifelsfreier, eindrucksvoller Beleg für die Demut dieses sehr jungen Mädchens. Diese war Voraussetzung dafür, dass Gott diese junge Frau für Sich als Behausung auszusuchen geruhte: „Fürchte Dich nicht, Maria, Du hast Gnade bei Gott gefunden“ (1:30). Ihre Demut war die Antwort des Menschen auf Gottes unermessliche Demut. Niemand sonst unter den Erdgeborenen entsprach dieser Tugend mehr als die Tochter der heiligen Joachim und Anna. Deren Geburtshaus können wir auch heute noch in Jerusalem als unwürdige Pilger betreten. Hier nahm das seinen Anfang, was quasi als Vorwort der heutigen Lesung aus dem Brief an die Philipper zum Ausdruck kommt: „Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den anderen höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auf das, was dem anderen dient“ (Phil. 2:3-4). Diese Worte stehen im absoluten Sinne für den Herrn Jesus Christus, Der, obwohl in göttlicher Gestalt und Gott gleich, Sich Selbst entäußerte, Knechtsgestalt annahm und den Menschen gleich wurde, Sich Selbst erniedrigte und gehorsam war bis zum Tode am Kreuz (s. 2:6-8). Doch die Gesegnete unter den Frauen (s. Lk. 1:42) erfüllte das für Menschen mögliche Höchstmaß an göttlicher Demut, wodurch Sie mehr als alle Anderen zu unser aller Errettung dienstbar war. Durch Ihr Vorbild inspiriert wollen auch wir nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen tun, in Demut einer den anderen höher achten als sich selbst und nicht auf das Seine achten, sondern auf das, was dem anderen dient. Ihre Eltern waren Joachim und Anna. Er stammte aus dem königlichen Geschlecht Davids, sie vom priesterlichen Geschlecht Aarons. Aus ihnen ging die Jungfrau Maria hervor, Die den Herrn gebar – den König der Könige (s. Offb. 17:14; 19:16) und den ewigen Hohepriester (s. Hebr. 2:17; 3:1, 4:14; 5:5-10; 6:20; 7:26-28; 8:1-2; 9:11). Wenn wir uns die Umstände Ihrer Geburt etwas näher betrachten, gelangen wir zu der Erkenntnis, dass die Gottesergebenheit der Allerheiligsten „genetisch vererbt“ wurde, ähnlich wie es einige Jahre später bei der Geburt Johannes des Propheten, Vorläufers und Täufers gewesen ist, der ja seinerseits von Propheten-Eltern abstammte (s. Lk. 1:41-45; 67-79). Die Opfergabe des vor Gott gerechten Joachim wurde seitens der Priester im Tempel mit der Begründung abgewiesen, er habe „nichts für die Nachkommenschaft für das Reich des Messias beigetragen“. Unter den Juden, die vor der Ankunft des Erlösers noch keine konkrete Vorstellung von der Auferstehung von den Toten hatten, war die Ansicht verbreitet, dass sich jeder durch seine Nachwuchs einen Platz im künftigen Reich Gottes sichern konnte. Unfruchtbarkeit bzw. Zeugungsunfähigkeit sind und waren zu allen Zeiten ein großes Unglück für Ehepaare (s. Gen. 15:2-3; 16:1-2; 25:1; Ri. 13:2; 1 Kön. 1:1-20), doch später galt in Israel Kinderlosigkeit zudem noch als Indiz für die Sündhaftigkeit der Eheleute vor Gott. Welch ein Drama für Joachim und Anna! Doch sie setzten trotz ihres schon fortgeschrittenen Alters ihre Hoffnung auf den Herrn (vgl. Gen. 18:14), und Er erhörte sie. Joachim betete in der Wüste, Anna im Tempel. Was muss das für ein Gebet gewesen sein!.. Beiden erschien ein Engel, der ihnen die Geburt einer Tochter verhieß. Beide machten sich eilends auf den Weg, um einander diese frohe Kunde zu überbringen. Sie trafen sich am Goldenen Tor, durch das später der Herr in die Stadt einziehen sollte. Es folgte die Geburt der Mutter des Herrn, die „dem ganzen Erdkreis Freude verkündete“ (s. Troparion). Wie groß doch die Freude ist, wenn uns Gott ein Kind schenkt (s. Joh. 16:21)!.. Unter uns gibt es aber zuhauf Leute, die zwar Soldaten und Polizisten als Mörder bezeichnen (und sogar das „verfassungsmäßige Recht“ dazu haben), selbst jedoch nicht mit der Wimper zucken, wenn sie ein Kind im Leib seiner Mutter töten lassen (auch das ist inzwischen mehr oder weniger „legal“). Und immer mehr Menschen, auch unter den „Christen“, finden diese Form von Familienplanung heute zeitgemäß. Was hätte, eine christliche Erziehung vorausgesetzt, aus all dem Millionen ungeborener Kinder werden können?! Möge uns deshalb an diesem Festtag bewusst sein, dass durch die Geburt der Theotokos nicht nur Joachim und Anna von der Schmach der Kinderlosigkeit, sondern auch Adam und Eva – und durch sie die ganze Menschheit – von der Verwesung des Todes befreit wurden (s. Kondakion). Amen.
Jahr:
2021
Orignalsprache:
Deutsch