Predigt zum 4. Herrentag nach Pfingsten (1 Kor. 16:13-24; Mt. 21:33-42) (19.09.2021)

Liebe Brüder und Schwestern, nachdem unser Herr Jesus Christus in Jerusalem Einzug gehalten hatte, lehrte Er das Volk ein letztes Mal im Tempel. Wie gewöhnlich nahm Er auch hier kein Blatt vor den Mund, womit die Zuspitzung der Ereignisse, die zur Verurteilung Christi führen sollten, ihren Gang nahm. Seine Feinde hatten da schon längst den Entschluss gefasst, Ihn zur Strecke zu bringen, wussten aber noch nicht wie und bei welcher Gelegenheit. Doch der Herr Selbst wusste es bereits. Das Gleichnis von den bösen Weingärtnern ist demnach eine allegorisch-prophetische Andeutung Seiner Hinrichtung durch die Machenschaften derer, welche zur Arbeit im Weinberg des Herrn berufen waren. Vom Herrn dahingehend gefragt, sagen die geistlichen Führer Israels (ungewollt) selbst voraus, welches Los sie bald darauf erwartet (s. Mt. 21:41), wodurch sich auch die folgende Prophezeiung erfüllen soll: „Der Herr geht ins Gericht mit den Ältesten des Volkes und mit seinen Fürsten: ´Ihr habt den Weinberg abgeweidet, und was ihr den Armen geraubt, ist in eurem Hause`“ (Jes. 3:14). Diese Anführer waren letztlich die Hauptverantwortlichen für die Untreue des ganzen Volkes: „Ich aber habe dich gepflanzt als einen edlen Weinstock, ein ganz echtes Gewächs. Wie bist du Mir denn geworden zu einem schlechten, wilden Weinstock?“ (Jer. 2:21), spricht der Herr. Ein Weinberg hat nur eine Bestimmung: Früchte zu bringen (s. Mt. 21:34; vgl. Joh. 15:6). Für etwas anderes eignet sich das Gestrüpp nicht, weder zum Bauen, noch zum Schnitzen, auch nicht zur Herstellung von Werkzeugen. Wenn die Reben keine Trauben hervorbringen, werden sie abgeholzt und auf dem Feld verbrannt, da sie nicht einmal als Heizmaterial für den Ofen taugen. Und der Herr erwartet auch heute Früchte von Seinem Weinberg: „Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit“ (Gal. 5:22-23; vgl. Eph. 5:9). Wer diese Früchte zeitigt, erfüllt das Gesetz Gottes – nicht um des Gesetzes willen, sondern aus Liebe zu Gott und den Menschen (vgl. Röm. 13:8-10). Früchte reifen nicht von selbst. Gott erwartet von den Winzern, dass sie beflissentlich arbeiten, sonst ernten sie am Ende statt erlesener Früchte von einem edlen Weinstock nur schlechte Früchte von einem wilden Weinstock. Der Herr schließt Seine Rede mit dem Spruch aus dem Buch der Psalmen: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unseren Augen“ (Mt. 21:42; s. Ps. 117:22-23; vgl. Apg. 4:11). Wie der Eckstein die Nahtstelle zwischen zwei Wänden bildet und dadurch die Stabilität und den Zusammenhalt des gesamten Bauwerks gewährleistet, so ist unser Herr Jesus Christus, Den die Anführer des Volkes verraten haben, der Garant für die Einheit des Alten und des Neuen Bundes, des alten und des neuen Israel. Er ist zudem Mittler zwischen Gott und den Menschen (s. 1 Tim. 2:5), denn „in keinem anderen ist das Heil, auch ist kein anderer Name unter den Himmeln den Menschen gegeben, durch den wir sollen selig werden“ (Apg. 4:12). Wie aber sieht diese „Arbeit“ aus? Die bösen Winzer waren ja keineswegs untätig gewesen, nur haben sie den an sie verpachteten Weinberg (s. Mt. 21:33) als ihr Eigentum betrachtet. Sicher durften sie sich durch ihn bzw. von ihm ernähren, aber an den verbrieften Besitzverhältnissen rütteln durften sie nach jeglicher anerkannter Rechtsordnung nicht. Trotzdem ignorierten sie die Abmachungen und forderten durch ihre Gesetzlosigkeit schließlich den Zorn des Weinbergbesitzers heraus. Dieser hatte zuvor viel Geduld mit ihnen, rief sie durch seine Gesandten (s. 21:34-36) mehrmals zur Besinnung, doch alle Warnungen schlugen sie in den Wind, bis er seinen einzigen Sohn zu ihnen entsandte, den sie nahmen, zum Weinberg hinausstießen und dort töteten (s. 21:39; vgl. Hebr. 13:12). Sie wurden hart bestraft und gingen so der Obhut über den Weinbergs verlustig (vgl. Ps. 79; Lk. 12:48). In der Tat, wie viele Propheten, von denen hier ja bildhaft die Rede ist, gab es im Volk Gottes vor und noch während Christi Geburt (s. Lk. 1:41-45; 67-79; 2:25-35; 36-38; 3:2), und wie viele gab es danach?! Nicht einen einzigen!.. Die Stammesgenossen Christi hatten die Verheißungen Gottes in der breiten Masse auf ihre Erwählung bezogen, nicht auf den Messias. Als der Erlöser kam, nahmen sie Ihn nicht an (s. Joh. 1:11). Aber was interessieren uns die Juden?! Sind wir, das neue Israel Gottes (vgl. Gal. 6:14-15), etwa besser? Im Vergleich zur Sowjetzeit hat sich vieles getan bei uns, gewiss. Doch jüngste Erhebungen besagen, dass sich in Russland 80% zur orthodoxen Kirche bekennen, aber z.B. nur 3% die Große Fastenzeit einhalten. Sieht so die viel umjubelte Erneuerung des kirchlichen Lebens aus, wenn selbst Kathedralen an Sonntagen leer sind? Gebe es Gott, dass wenigstens die, welche kommen, dies aus reinem Herzen tun. Das bedeutet nichts anderes als Früchte der Buße zu bringen, anstatt uns auf unsere Taufe zu berufen wie sich zuvor die Juden auf Abraham beriefen (s. Mt. 3:8-10; Lk. 3:8-9; Joh. 3:39). Wir dürfen nicht weiter so leben, dass die legitime Befriedigung unserer materiellen und physischen Bedürfnisse als Feigenblatt für unsere Habgier und sündhaften Leidenschaften dient (vgl. 1 Petr. 4:1-2). Wenn schon der Apostel Paulus von sich schreibt: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?“ (Röm. 7:24), wie wollen wir dann erst vor unserem Herrn bestehen (vgl. Ps. 129:3)?! „Wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung“ (Röm. 8:24). So wird uns auch die formale Mitgliedschaft in der Kirche nicht retten, wenn wir der uns anvertrauten Verantwortung nicht gerecht werden. Von uns allen hängt das Heil des ganzen Volkes ab. Passiver Glaube der Massen erlaubte es einst, den Messias ans Kreuz schlagen zu lassen. Mutmaßlich waren auch nicht alle bösen Winzer gleich zu Mord und Raub geneigt, eher nur einer oder zwei, die ihre Chance auf schnellen und unrechtmäßig angeeigneten Reichtum witterten und den Anderen wie so oft die Richtung vorgaben. Die schweigende Mehrheit folgte ihnen blindlings ins Verderben wie eine Hammelherde. Bekennen wir uns aber zu unserer Schwäche und arbeiten zielgerichtet und mit Nachdruck daran, indem wir uns vor Gott als Sünder sehen und Ihn durch Barmherzigkeit gegenüber unseren Mitmenschen gnädig stimmen, dann können wir unsere Schuld tilgen. Gott sehnt Sich danach, uns Seine Gnade zu schenken. Dass Er Seinem (alten und neuen) Volk alles zu schenken bereit ist, liegt auf der Hand, denn der exegetische Gehalt des Gleichnisses ist entsprechend der Interpretation der heiligen Väter eindeutig: der Hausherr ist Gott, der Weinberg ist das Volk Israel, die Weinbauern – die Hohepriester, Ältesten und Schriftgelehrten des Volkes; die vorübergehende Abreise des Hausherren außer Landes steht für die Zeit nach der ägyptischen Gefangenschaft, als Gott nämlich Seinem Volk das Gelobte Land übergeben hatte (vgl. Ps. 79:9); der Zaun symbolisiert das Gesetz Mose, das dem Volk Schutz vor geistlichen Räubern und Eindringlingen garantierte; der Wachturm ist Sinnbild des Gewissens, das die Einhaltung des Gesetzes kontrollieren sollte, aber auch des Tempels als Mittelpunkt des geistlichen Lebens in Israel; die Kelter schließlich ist die bildhafte Umschreibung des Altars, auf dem Gott Ihm wohlgefällige Opfer aus den eingesammelten Früchten entgegennehmen sollte. Allerdings, gerettet werden sollten wir alle nach Gottes unergründlichem Heilsplan (vgl. Röm. 11:11-16) am Ende nur durch das unschuldig vergossene Blut Seines Sohnes, das für uns und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden (s. Mt. 26:28). Das Blut der Opfertiere auf dem Altar war ja bloß Urbild des einzig wahren Opfers, das allein Gottes Erhabenheit angemessen war – des Opfers, welches wir nun in Gestalt des Weines, der unser Herz erfreut, empfangen dürfen (s. Ps. 103:15). Nicht von ungefähr lesen wir als nächstes bei Matthäus das Gleichnis vom Hochzeitsmahl des Königssohnes, das mit den Worten endet: „Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt“ (22:14). Im Anschluss an die Einsetzungsworte beim Heiligen Abendmahl selbst spricht der Herr: „Amen, Ich sage euch: Ich werde von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken bis an den Tag, an dem Ich von neuem davon trinken werde mit euch in Meines Vaters Reich“ (Mt. 26:29). So wie Er, der Eckstein, von den Bauleuten verworfen worden ist, so wird als Folge dieses Frevels der Weinstock Seines Vaters nun anderen Winzern übergeben werden, weil sich die zuerst Berufenen als unwürdig erwiesen hatten. Die Worte des Neuen Testaments sind immer aktuell – sie können auch auf uns angewandt werden (vgl. Röm. 11:17-24). Wir dürfen es nicht so weit kommen lassen, dass der Weinberg den Winzern ein weiteres Mal entrissen wird und die Gott zustehenden Früchte mit dem Blut Seiner verbliebenen Getreuen entrichtet werden müssen – derjenigen, die der Gnade nach Seine Kinder geworden sind (s. Joh. 1:12; vgl. Röm. 8:16-9:8; Gal. 4:28-31; Hebr. 2:14)! Zu ihnen, den Auserwählten, wollen wir doch auch gehören. Um jeden Preis. Amen.
Jahr:
2021
Orignalsprache:
Deutsch