Predigt zum 7. Herrentag nach Pfingsten (Röm. 15:1-7; Mt. 9:27-35) (08.08.2021)

Liebe Brüder und Schwestern, die Heilung zweier Blinden und die Austreibung eines Dämons aus einem Stummen unterscheiden sich auf den ersten Blick nicht von den übrigen ungezählten Wundertaten des Herrn während der dreieinhalb Jahre Seines öffentlichen Wirkens. Doch erstens sehen wir in diesen beiden kurz nacheinander folgenden Heilungen (wir gehen mal davon aus, dass es sich bei der zweiten Heilung wie auch in Mk. 7:31-37 u. 9:25 um einen Taubstummen handelte) die direkte Erfüllung der Prophezeiungen des Jesaja (s. Jes. 29:18; 35:5; 42:7; vgl. Lk. 4:18-19), und zweitens kündigt sich hier in bildhafter Form die Bewahrheitung der ungleich bedeutungsvolleren Prophetie von der Heilung der gesamten Menschheit an, die sich bis zur Ankunft Christi in Finsternis befand: „Blinde führe Ich auf Wegen, die sie nicht kennen, auf unbekannten Pfaden lasse Ich sie wandern. Die Finsternis vor ihren Augen mache Ich zu Licht; was krumm ist, mache Ich gerade. Das sind die Taten, die Ich vollbrachte, und Ich lasse davon nicht mehr ab“ (Jes. 42:16). Im Klartext heißt es: wir sind die Blinden, deren Augen geöffnet werden müssen. Der Herr empfängt die beiden Blinden mutmaßlich in dem Haus in Kafarnaum, das während der Verkündigung der Frohen Botschaft in allen Städten und Dörfern (s. Mt. 9:35) Sein Domizil gewesen ist. Möglicherweise war es das Haus des Petrus, der zwar mit seinem Bruder Andreas aus Bethsaida stammte (s. Joh. 1:44), danach aber mit ihm zusammen in Kafarnaum sesshaft wurde (s. Mt. 8:14-15; Mk. 1:29-31; Lk. 4:38-39). Jedenfalls können wir dieses Haus im engeren Sinne als das „Haus des Herrn“ betrachten, das symbolhaft für die Kirche Christi steht. In dieses „Haus Gottes“ finden sich die Blinden – also wir alle – ein. Zugangsbedingung ist der Glaube, ohne den es keine Möglichkeit gibt, der unermesslichen und unbeschreiblichen göttlichen Gnadengaben teilhaftig zu werden (s. Mt. 9:28). Durch die Erleuchtung im Taufbad und das nachhaltige Verweilen im Hause des Herrn durch ein bußfertiges Leben können wir unsere Sündhaftigkeit erkennen und fortan „auf unbekannten Pfaden wandern“, so dass „die Finsternis vor unseren Augen zu Licht wird“. Dabei muss die in uns wirkende Gnade Gottes für sich sprechen, so dass die Leute durch unsere Taten die Wege Gottes erkennen und den Himmlischen Vater preisen (s. Mt. 5:16), denn Gott hat es nicht nötig, dass Seine Werke vor der Zeit marktschreierisch verkündet werden (s. Mt. 9:30; vgl. Hebr. 6:1-8). Eine Hinwendung zu Gott nur aus (irdischem) Vorteilsdenken ist ebenso nicht statthaft vor dem Herrn (vgl. Mt. 8:19-20; Lk. 9:57-58), „denn auch Christus hat nicht für Sich Selbst gelebt“ (Röm. 15:3a), sondern offenbarte in Sich das vollkommene Ideal der aufopfernden selbstlosen Liebe (Lk. 22:25-27). So soll es auch bei Seinen Nachfolgern sein. Einen anderen Weg gibt es nicht. Unser Problem liegt im allgemeinen darin, dass wir unsere (geistliche) Blindheit nicht erkennen. „Ich bin ein Sünder wie alle anderen auch“ - dafür reicht es noch gerade bei den meisten. Wir sind wohl mehrheitlich keine gewissenlosen Übeltäter, haben als Christen meistens das Gute im Sinn, und sind dennoch vom Fleisch bestimmt, d.h. „verkauft an die Sünde“. Und folglich: „Ich tue nicht das, was ich will, sondern das, was ich hasse“ (s. Röm. 7:14-15, s. auch 17-20). Wenn schon der Apostel Paulus, der bis in den dritten Himmel ins Paradies entrückt worden war (s. 2 Kor. 12:2-4), von sich sagt, dass er ein Sünder ist – was sind dann wir?!.. – Ach, wir sind keine Mörder, Räuber und Vergewaltiger?!.. Aber davon handelt das Evangelium nicht: Christus erhob Seine mahnende Stimme ja nicht gegen die, welche offensichtliche Schandtaten verübten, sondern vornehmlich gegen die, welche von ihrer eigenen Rechtschaffenheit überzeugt waren (s. Lk. 18:9-14), aber auch gegen die, welche das Gute unterließen (s. Mt. 25:3,12; 26-30; 41-46). Gott hat uns die Befähigung verliehen, nach Vollendung zu streben (s. Mt. 5:48; Jak.1:4; 3:2; Eph. 4:13; Phil. 3:15; Kol. 1:28; 2:2; Hebr. 10:14). Wir aber bemühen uns lediglich darum, vor den Menschen gut dazustehen (s. Mt. 6:1-2,5). Gott will aber, dass wir unserer von Ihm ausgegebenen Zweckbestimmung gerecht werden, und die heißt: Vergöttlichung. Wir sind berufen, unsere menschliche Natur zu vergöttlichen, so wie der Menschensohn Seine göttliche Natur uns zuliebe vermenschlicht hat. Das ist unsere Berufung! Das ist das Maßstabskriterium, an dem wir gemessen werden. In unserer geistlichen Lethargie gleichen wir aber einem blitzblanken Sportwagen mit allen Schikanen, der jedoch beim Anlassen stottert und nach wenigen Metern stehen bleibt und nicht mehr weiter fahren kann. Der Wagen gehört somit auf den Schrottplatz, eignet sich bestenfalls noch zum Ausschlachten. Es kann sich auch nicht dadurch herausreden, dass es keinen überfahren hat oder dass keine Insassen durch einen technischen Defekt (Bremse, Steuerung etc.) zu Schaden gekommen sind. Oder stellen Sie sich ein in einer aufwendigen Werbekampagne beworbenes supermodernes Smartphone vor, bei dem nach ein-zwei Gesprächen keine Verbindung mehr zustande kommt. So ein Ding gehört schleunigst auf die Müllhalde, denn „jeder Baum, der keine guten Früchte hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen“ (Mt. 7:19). Diesem Schicksal wollen wir aber entgehen, indem wir die Möglichkeiten nutzen, die uns der Herr Jesus Christus in Seiner „Hausgemeinschaft“ (s. Eph. 2:19) anbietet, denn „lieber wählte ich mir, beiseite geworfen zu werden im Haus meines Gottes als zu wohnen in den Zelten der Sünder“ (Ps. 83:11). Schon dieses Leben bietet uns die selige Möglichkeit, die Gemeinschaft mit Gott zu verwirklichen: „Herr, ich liebe die Pracht Deines Hauses und den Ort, wo Deine Herrlichkeit wohnt“ (Ps. 25:8). Amen.
Jahr:
2021
Orignalsprache:
Deutsch