Predigt zum Vergebungssonntag / Gedenken an die Vertreibung Adams aus dem Paradies – Beginn der Großen Fastenzeit (Röm. 13:11-14:4; Mt. 6:14-21) (14.03.2021)

Liebe Brüder und Schwestern, nun ist der langersehnte Moment gekommen – der Herrentag der Vergebung, der Beginn der heiligen Zeit der Reinigung unserer Seelen. Der Sinn dieses einmaligen Tages im Kirchenjahr ist nicht schwer zu erfassen: „(…) Wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer himmlischer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben“ (Mt. 6:14-15). Diese Worte schließen sich im Matthäus-Evangelium direkt an das Gebet des Herrn an, in dem in komprimierter Form alles zusammengefasst ist, was für unser Heil notwendig ist. Es ist gleichsam der Epilog zum Vaterunser. Nun werden einige vielleicht glauben, die Kirche erwarte von uns, dass wir uns von allen angenehmen Dingen fernhalten und quasi in Bleiwesten oder mit einem Rucksack voller Steine bepackt unsere sonstigen Ein- und Ausgänge tätigen sollen. Dem ist aber nicht so! Постимся постом приятным! - Lasst uns auf angenehme Weise die Fastenzeit gestalten!.. Aber wie soll das vonstatten gehen – ganz ohne Anstrengung etwa?.. Es soll uns um das Wesentliche gehen – um die Besinnung auf das, was notwendig für das Seelenheil ist. Auf dem Weg in das Reich Gottes sind uns aber die täglichen Sorgen und Mühen hinderlich. Wir sind ja zuweilen ganz davon in Anspruch genommen, ausschließlich für unser irdisches Wohl zu sorgen (vgl. Lk. 10:40). Das Veloziferische, das Goethe als das größte Unheil unserer Zeit nannte, und der damit verbundene Stress machen jegliches geistliche Bestreben zunichte. Der Herr sagt doch klipp und klar, dass es uns zuerst um das Reich Gottes gehen muss, und uns dann alles andere dazugegeben wird (s. Mt. 6:33; Lk. 12:31). Wir tauchen stattdessen aber gänzlich in die Sorgen des Alltags ein und finden kaum Zeit für die Sorge um das Seelenheil. Ich höre oft von gläubigen Menschen, denen ich anbiete, ihr Heil im Gebet zu suchen: „Ich kann nicht beten!“ Nicht einmal zwei Minuten am Tag?!.. Sie brechen unter der Last des Alltags zusammen, sind seelisch paralysiert; sie sehnen sich zwar nach der Gemeinschaft mit Gott, finden aber nicht den Zugang zum Gebet. Manche fangen sogar an, am Glauben zu zweifeln, neigen zu Verzweiflungstaten. Es ist klar, wer hinter dem allem steckt. Was erwartet also Gott von uns? Wozu ruft uns die Kirche auf? Zur Verdoppelung der üblichen Gebetsregel? Zum Verzicht auf schöne Momente miteinander und zum griesgrämigen Umherschweifen (vgl. Mt. 6:16-18). Nein! Was das häusliche Gebet anbetrifft, bietet uns die Kirche nur ein kurzes Gebet als zusätzliche geistliche Arznei an – das Gebet des heiligen Ephraim des Syrers nämlich. Wer dieses Gebet als Regel konsequent für sein gesamtes inneres (geistliches) Leben und sein äußeres Handeln nimmt, hat schon zur Hälfte gewonnen. Es schützt ihn vor geistlicher Leere, Mutlosigkeit, Überheblichkeit und seelischer Zerstreutheit; es erzieht ihn zu innerer Reinheit, Demut, Geduld und Liebe; und schließlich bewahrt es ihn davor, die Verfehlungen der anderen zu sehen, statt seine eigenen; doch vor allem schützt es vor der Verurteilung des Nächsten. Denn ohne dieses Element der Askese ist jegliche körperliche oder seelische Anstrengung vollkommen zwecklos (s.o. Mt. 6:14-15). Wie viel Zeit benötigt man für das aufmerksame Sprechen dieses Gebets? Eine Minute? Zwei?.. Gut. Mit Metanien kommen wir auf zwei–zweieinhalb Minuten, abends und morgens. Und wer kann, lese die üblichen Morgen- und Abendgebete – aber so, dass diese den Mittelpunkt unseres Lebens darstellen. Uns Plagen irdische Nöte? - Gut. Aber dann richten wir uns nach der göttlichen Anweisung des Herrn (s.o. Mt. 6:33; Lk. 12:31) und beten ohne Zerstreuung der Gedanken, ohne Eile diese Gebete. Oh, wie wohltuend das ist!.. Herz und Seele sind mit dem Herrn vereint! Es gibt nichts Schöneres als wenn dann Tränen der Rührung die Wangen herunterlaufen. Der Herr lässt uns Seine alles verzeihende Liebe spüren, gestattet es uns, an Seiner Gnade teilzuhaben. Jetzt erinnern wir uns an die ausgebreiteten Arme des Vaters, der seinen totgeglaubten Sohn zurückerhalten hat (s. Lk. 15:20). Gibt es etwas Schöneres oder Großartigeres als diese Liebe?!.. Vor ihr verblassen alle Sorgen des hiesigen Lebens. Und wir „rennen“ förmlich in die Kirche, um in der Beichte „reinen Tisch zu machen“... Und dann wenden wir uns, geistlich gestärkt, wieder den Dingen des Alltags zu. Na ja, und wenn die Zeit knapp ist, muss die Gebetsregel nicht zur Gänze erfüllt werden. Hauptsache ist die Erfahrung der lebendigen Gemeinschaft mit Gott. Ach ja, unsere täglichen Probleme sind immer noch da. Mein Ehepartner, meine Angehörigen, Nachbarn und Kollegen, die mir permanent das Leben zur Hölle machen... Aber was haben wir da im Gebet des heiligen Ephraim für Worte ausgesprochen: „Verleih mir den Geist der Demut, der Geduld, der Liebe! Lass mich meine Sünden erkennen und meinen Bruder nicht richten!“ Also auch hier?!… Ja! Hier und jetzt! Wir sind alle Sünder vor Gott? - Richtig. Und wir alle haben unsere negativen Eigenschaften: einer säuft, die andere tratscht, wieder ein anderer ist faul usw. Aber per Saldo ergibt dies, dass wir alle mehr als genug Sünden haben, nur sind diese qualitativ unterschiedlich verteilt. Von mir erwartet mein himmlischer Vater zum Glück nicht, dass ich die Fehler meiner Mitmenschen ausbessere, sehr wohl aber, dass ich mich um den Schmutz in meiner eigenen Seele kümmere. Es wird gelingen, wenn ich als erster auf alle meine Brüder und Schwestern zugehe und von mir aus die Versöhnung anstrebe, „denn die Liebe deckt viele Sünden zu“ (1 Petr. 4.8; vgl. Spr. 10:12). Amen.
Jahr:
2021
Orignalsprache:
Deutsch