Predigt zum Fest der Enthauptung Johannes des Täufers (Apg. 13:25-32; Mk. 6:14-30) (11.09.2020)

Liebe Brüder und Schwestern, 

 

dem Anschein nach hat der heutige Festtag seinen Ursprung in einer traurigen Entwicklung der Ereignisse – der Enthauptung des Vorläufers des Herrn durch Herodes auf Betreiben seiner illegitimen Frau Herodias (s. Mk. 6:17-18). Die Ernsthaftigkeit des heutigen Tages scheint sich dadurch zu erhärten, dass die Kirche diesen Tag als strengen Fastentag im Kalender festgeschrieben hat. Aber ist das tatsächlich ein so trauriger Tag? - Natürlich ist, aus irdischer Sicht betrachtet, nur schwerlich ein Grund zur Freude auszumachen, wenn ein Mensch mit gerade einmal dreißig Jahren auf gewaltsame Weise sein Ende findet. Doch wie sieht der Vorläufer selbst seiner nahenden Todesstunde entgegen? Hier seine Worte: „Wer die Braut hat, ist der Bräutigam; der Freund des Bräutigams aber, der dabei steht und ihn hört, freut sich über die Stimme des Bräutigams. Diese Freude ist nun für mich Wirklichkeit geworden“ (Joh. 3:29). Jedem Menschen ist von Gott eine unterschiedlich lange Lebensspanne bestimmt: die einen erreichen ein hohes Alter, andere sterben jung, manche werden gar nicht erst geboren. Wem aber von Gott Zeit zum Handeln beschieden ist, der sollte am Ende seines Lebens guten Gewissens sagen können: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue gehalten“ (2 Tim. 4:7; vgl. Apg. 20:24). Wer das von sich sagen kann, hat – ob jung oder alt – nicht umsonst gelebt.

Manch einer wird in Johannes dem Vorläufer aufgrund seiner Lebensweise die Personifizierung des religiösen Fanatismus sehen. In der Tat war sein Leben von frühester Kindheit an extrem asketisch (s. Mt. 3:4; Mk. 1:6): er hatte keine Frau (wie vom Gesetz vorgesehen, weil aus jeder ehelichen Verbindung potenziell der Messias hervorgehen konnte; der Vorläufer des Herrn hatte aber eine andere Berufung); Freunde oder eine geregelte Arbeit kannte er nicht, hatte überhaupt kein weltliches Leben. Zu sich war er streng bis aufs Äußerste. Aber ist das, was er gelehrt hat, etwa auch so extremistisch? – Hier eine Passage aus dem Lukasevangelium: „Da fragten ihn die Leute: ´Was sollen wir also tun?` Er antwortete ihnen: ´Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso`. Es kamen auch Zöllner zu ihm, um sich taufen zu lassen, und fragten: ´Meister, was sollen wir tun?` Er sagte zu ihnen: ´Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist`. Auch Soldaten fragten ihn: ´Was sollen denn wir tun?` Und er sagte zu ihnen: ´Misshandelt niemand, erpresst niemand, begnügt euch mit eurem Sold!` (Lk. 3:10-14). Sieht so etwa religiöser Extremismus aus?! Ein religiöser Eiferer hätte wohl gesagt: „Entledigt euch jeglichen Besitzes und folgt mir nach in die Wüste!“ -  „Wie könnt ihr es wagen, für die Okkupanten Steuern einzutreiben?“ - „Legt eure Waffen nieder!“

Seine Aufgabe bestand darin, die Menschen auf die Ankunft des Messias vorzubereiten. Er, der von den Leuten Früchte der Umkehr verlangte, musste selbst authentisch sein. Auch er war ein Mensch aus Fleisch und Blut, der aber „das Fleisch und damit seine Leidenschaften und Begierden gekreuzigt“ hatte (s. Gal. 5:24). Nur so konnten die Menschen sein Zeugnis auch annehmen.

Da auch wir alle berufen sind, den Glauben durch ein vorbildhaftes Leben zu bezeugen, muss in unserem Leben ebenso gemäßigte Enthaltsamkeit ihren gebührenden Platz einnehmen. Metropolit Vitali (Ustinov, +2006) sagte 1986 auf einem Kongress der russischen orthodoxen Exiljugend (sinngemäß): „Welchen Sinn hat es, wenn jemand das ganze Jahr über mittwochs und freitags fastet und auch sonst die kirchlichen Fastenzeiten einhält? – Das sind gerade die Menschen, auf die sich die Kirche dann, wenn es darauf ankommt, stützen kann“. Es muss also jetzt erkennbar sein, wer durch Enthaltsamkeit in allen Dingen und eine fromme Lebensweise eine Stütze des Glaubens ist, und wer nicht. In Zeiten der Drangsal wird sich dann zeigen, was es wert gewesen ist.

Auf Youtube kann man sich ansehen, wie nationalistische Extremisten eine Kirche der kanonischen Ukrainischen Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat) gewaltsam unter ihre Kontrolle bringen wollen. Es kommt zu Handgreiflichkeiten. Die Verteidiger der Kirche werden dabei von den Angreifern als „Verräter“ beschimpft. Darauf ein Verteidiger zu einem Angreifer: „Ich bin auch Ukrainer, und das ist immer meine Kirche gewesen. Und du – kannst du das Glaubensbekenntnis auswendig?“ – Schweigen... 

Der Tag scheint nicht mehr fern zu sein, da alle, welche die wahren Nachfolger Christi töten, meinen werden, Gott damit einen heiligen Dienst zu leisten (s. Joh. 16:2). Und „das werden sie tun, weil sie weder den Vater noch Mich erkannt haben“ (Joh. 16:3), sagt der Herr.

Unsere Treue zu Christus und zu Seiner Kirche können wir dadurch beweisen, dass wir die Loyalität gegenüber der vom Heiligen Geist eingesetzten Hierarchie (s. Apg. 20:28) entgegen jeglicher politischer Konjunktur und jeglicher sonstiger Zeitströmung bewahren sowie jeder auf persönlichem Komfort oder schnöder Bereicherung ruhenden Verlockung eine Absage erteilen. Treu sein im Kleinen (s. Mt. 25:21,23)! Denn was mich persönlich angeht, so bin ich unendlich weit davon, die o.a. Worte aus 2 Tim. 4:7 auf mich anwenden zu können. Statt eines „Kranzes der Gerechtigkeit“ (4:8) fürchte ich die Verantwortung für alle meine wissentlich oder unwissentlich, gewollt oder ungewollt, in Wort oder Tat und in Gedanken begangenen Sünden. Eine kleine Frucht meiner Umkehr (s. Mt. 3:8,10; Lk.3:8-9) könnte ich aber schon darin bringen, dass ich den heutigen Tag in Nüchternheit verbringe (s. Lk. 1:15) und dadurch meine Ehrfurcht vor dem größten Verkündiger der Umkehr zeige. Dieser kleine Akt der Solidarität mit dem größten aller Asketen wäre wohl auch in seinem Sinne ein kleiner Schritt der Vorbereitung auf die nahende (zweite) Ankunft Christi. Amen.

Jahr:
2020
Orignalsprache:
Deutsch