Predigt zum 9. Herrentag nach Pfingsten (1 Kor. 3:9-17; Mt. 14:22-34) (09.08.2020)

Liebe Brüder und Schwestern,

nach der wunderbaren Speisung der mehr als fünftausend Menschen in einer abgelegenen Gegend fordert der Herr Seine Jünger auf, ohne Ihn ins Boot zu steigen und auf das andere Ufer des Sees nach Bethsaida (vgl. Mk. 6:45) voraus zu fahren. Er Selbst wollte zuvor noch die Leute heimschicken. Erstaunlich, dass niemand sein Befremden darüber zum Ausdruck bringt, dass der Herr Jesus Christus an Land bleibt, dieweil Seine Jünger auf das andere Ufer des Sees fahren sollen. Die Jünger gehorchen scheinbar widerspruchslos. Nachdem sie abgelegt haben, geht unser Herr auf einen Berg und betet in der Abgeschiedenheit. Welch ein Vorbild für unsereins! 

Unter normalen Bedingungen müsste die Überquerung des Sees Genezareth (seine Oberfläche beträgt heute etwa 166 qkm; zum Vergleich: Chiemsee: ca. 88 qkm; Müritzsee ca. 122 qkm; Bodensee: ca. 536 qkm) etwa eine Stunde in Anspruch nehmen – die Nord-Süd-Ausdehnung beträgt 21 km, die West-Ost-Ausdehnung gar nur 13 km. Doch wegen des heftigen Gegenwindes befinden sich die verzweifelten Jünger in der vierten Nachtwache (kurz vor dem Morgengrauen) noch immer in der Mitte des Sees. Da kommt ihnen der Herr, auf dem Wasser schreitend, entgegen. Entsetzen packt sie, denn sie meinen, einen Geist zu sehen, doch der Herr spricht zu ihnen: „Habt Vertrauen,  Ich bin es; fürchtet euch nicht!“ (Mt. 14:27b). Sie aber zweifeln immer noch. Petrus spricht: „Herr, wenn Du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu Dir komme“ (14:28b). Als ihn der Herr auffordert, auf dem Wasser zu Ihm zu kommen, geht Petrus einige Schritte, doch als der Wind erneut weht, bekommt er es mit der Angst zu tun und beginnt unterzugehen. „Herr, rette mich!“ (s. 14:30) schreit er, und der Herr streckt ihm Seine Hand aus und sagt: „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ (s. 14:31). Als beide ins Boot steigen, legt sich der Wind sofort. Überwältigt von diesem Wunder fallen die Jünger im Boot vor dem Herrn nieder und bekennen erstmals: „Wahrhaftig, Du bist Gottes Sohn“ (s. 14:33). Statt in Bethsaida legt das Boot bald darauf in Genezareth an. Damit endet der heute vorgetragene Abschnitt aus dem Evangelium.

Was lehrt uns diese Erzählung?

  1. Neben der kirchlichen Gemeinschaft (symbolhaft dargestellt durch das Boot) müssen wir uns durch das persönliche Gebet den Aufstieg (wofür der Berg steht) zu einem tugendhaften Leben erarbeiten. Dann brauchen wir uns vor Gefahren jedweder Art nicht zu fürchten.
  2. Das Kirchenschiff ist immer im Auftrag des Herrn unterwegs. Der Herr lässt zwar zu, dass es immer wieder von Stürmen bedroht wird, doch Er Selbst ist immer in der Nähe, um schützend einzugreifen. Er spendet uns Trost in der Drangsal und in der Verzweiflung.
  3. Der Herr kennt unsere Schwäche im Glauben. Er heilt sie, indem Er durch immer neue Prüfungen und Anfechtungen von innen und von außen uns auf Seinen Beistand vertrauen lässt und damit unseren Glauben stärkt. Erst in der Prüfung kann sich zeigen, was der Glaube eines jeden von uns wirklich wert ist – davon handelt auch die heutige Lesung aus dem Apostelbuch (s. 1 Kor. 3:11-15). Christus schenkt uns Seine Gnade, damit wir uns der Herrlichkeit Gottes rühmen können. „Mehr noch, wir rühmen uns ebenso unserer Bedrängnis; denn wir wissen: Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung. Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, Der uns gegeben ist“ (s. Röm. 5:2-5).
  4. Unsere Kleingläubigkeit spiegelt sich in den Worten Petri wider: „Herr, wenn Du es bist...“ - Er glaubt doch in der Tiefe seines Herzens daran, dass er mit dem Herrn spricht, aber er sucht nach der letzten Gewissheit (vgl. Joh. 20:25). Wäre er sonst mitten auf dem tosenden See aus dem Boot gestiegen, um auf dem Wasser zu gehen?!.. Wir glauben im allgemeinen an die Allmacht Gottes, zweifeln aber im konkreten Fall, dass Er uns helfen kann.  Mit Kleingläubigkeit ist hier also eher Wankelmütigkeit, fehlende Standfestigkeit im Glauben gemeint (vgl. Mk. 9:24). Als Glaubende sehnen wir uns nach rationaler Gewissheit. „Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht“ (Hebr. 11:1; vgl. Joh. 20:29).
  5. Wenn wir die Prüfung im stürmischen Meer des Lebens „bestanden“ haben, gönnt uns der Herr immer wieder Ruhepausen. Er will, dass wir gestärkt aus allen Anfechtungen hervorgehen, um voller Dankbarkeit vor Ihm niederzufallen und auszurufen: „Wahrhaftig, Du bist Gottes Sohn“. Wie sonst sollen wir zu dieser alles menschliche Denken überragenden Erkenntnis gelangen?!
  6. „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht Meine Wege – Spruch des Herrn“ (Jes. 55:8). Gott führt uns auf Seinen Wegen; nicht wie die Menschen es wollen, sondern wie Er es will. Aufgrund unserer Schwächen und Verfehlungen kann Er immer wieder einen Kurswechsel vornehmen, um uns alle gemeinsam doch noch an das ersehnte Ziel zu bringen. Er allein kann bewirken, dass ein kleines zerbrechliches Boot auf stürmischer See unbeschadet bleibt und alle seine Insassen unversehrt in den sicheren Hafen auf dem gegenüberliegenden Ufer einlaufen können.

Schlussfolgerung: Ohne das uns von Gott gnädig bereitgestellte Schiff werden wir niemals das von Stürmen aufgewühlte Meer dieses Lebens überqueren können. Die Kirche ist folglich der einzige Garant dafür, dass wir allen Anfechtungen zum Trotz sicher am Ziel ankommen.  Amen.

Jahr:
2020
Orignalsprache:
Deutsch