Predigt zum 2. HT n. Pfingst. / Festtag aller Heiligen des Russischen Landes (Röm. 2:10-16; Mt. 4:18-23) (21.06.2020)

Liebe Brüder und Schwestern,

letzte Woche feierten wir das Gedächtnis aller Heiligen; heute also das Fest der Heiligen unserer Mutterkirche, der Russischen. Uns wird heute aber das Heilig sein an sich, also ohne die nationale Komponente, beschäftigen. 

Der auf Menschen angewandte Begriff „Heilige“ kommt in der Heiligen Schrift oftmals vor, im N.T. (s. z.B. Apg. 9:13,32; Röm. 15:25-26; 16:2,15; 1 Kor. 6:1-2; 14:33; 16:1,15 u.v.m.) und im A.T. (s. z.B. Lev. 11:44; 21:5-6; Num. 6:5; 16:3-7; Dt. 7:6; 33:2-3; 4 Kön. 4:9; Hiob 5:1 Ps. 4:4; 15:3; 29:5; 33:10; 36:28; 49:5; 51:11; 88:6,8; 96:10; 105:16; 115:6; 131:9,16; 144:10; 148:14; 149:1,5,9; Spr. 2:8; Dan. 7:18,25; 8:24 u.v.m.). Natürlich aber ist der Terminus technicus Heiliger im absoluten Sinne nur auf Gott anwendbar, denn „niemand ist heilig, nur der Herr“ (1 Kön. 2:2a; vgl. Ps. 85:8; Mt. 19:17; Mk. 10:18; Lk. 18:19), und „selbst der Himmel ist nicht rein vor Ihm“ (s. Hiob 15:15). Doch zugleich heißt es über Jesus Christus: „Denn Er, Der heiligt, und sie, die geheiligt werden, stammen alle von Einem ab; darum scheut Er Sich nicht, sie Brüder zu nennen und zu sagen: ´Ich will Deinen Namen Meinen Brüdern verkünden, inmitten der Gemeinde Dich preisen`/Ps. 21:23/; und ferner: ´Ich will auf Ihn Mein Vertrauen setzen` /Jes. 8:17/; und: ´Seht, Ich und die Kinder, die Gott Mir geschenkt hat` /Jes.. 8:18/. Da nun die Kinder Menschen von Fleisch und Blut sind, hat auch Er in gleicher Weise Fleisch und Blut angenommen, um durch den Tod den zu entmachten, der die Gewalt über den Tod hat, nämlich den Teufel, und um die zu befreien, die durch die Furcht vor dem Tod ihr Leben lang der Knechtschaft verfallen waren. Denn Er nimmt Sich keineswegs der Engel an, sondern der Nachkommen Abrahams nimmt Er Sich an. Darum musste Er in allem Seinen Brüdern gleich sein, um ein barmherziger und treuer Hohepriester vor Gott zu sein und die Sünden des Volkes zu sühnen. Denn da Er Selbst in Versuchung geführt wurde und gelitten hat, kann Er denen helfen, die in Versuchung geführt werden“ (Hebr. 2:11-18).

Gott allein ist aber von Seinem Wesen her heilig; wir können es der Gnade nach aber auch sein. Wenn also der Herr unsere Natur angenommen und dadurch geheiligt hat, wenn Er Seinen Brüdern in allem gleich war und als Hohepriester vor Gott die Sünden der Menschen sühnte, dann sind auch wir heilig. Wir sind es definitiv – der Gnade nach – im Moment der Taufe und Myronsalbung, nach der Beichte und beim Empfang der Heiligen Gaben, obwohl wir noch immer – dem Wesen nach – dieselben Sünder sind. Deshalb brauchen wir  gnadenvolle „Hilfsmittel“, um das Ziel des geistlichen Lebens – die Vergöttlichung des Menschen, zu verwirklichen. Die Voraussetzungen dafür sind auf jeden Fall gegeben in der Kirche, der Hüterin der geistlichen Gnadengaben. Ohne die Gnade aber sind wir Sünder, die Höllenqualen verdienen. Jeder, der die Gnade des Heiligen Geistes durch Unglauben oder durch unlauteren Lebenswandel missachtet, (vgl. Mt. 12:31-32; Mk. 3:28-29) „verzichtet“ so auf die Heiligung durch Jesus Christus, Der allein „die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt“ hat (s. Offb. 1:18b; vgl. Mt. 10:28b; Lk. 12:5). Dann ist nicht Gott schuld, sondern der Mensch, der selbst für sein Seelenschicksal verantwortlich zeichnet.

Christus ist der Weltenherrscher, Er hat die Welt besiegt (s. Joh. 16:33), aber: „Jetzt sehen wir noch nicht alles Ihm zu Füßen gelegt“ (Hebr. 2:8b). Erst müssen wir den Kampf gegen die „Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs“ (Eph. 6:12) bestehen und mit Christi Hilfe den „listigen Anschlägen des Teufels widerstehen“ (s. Eph. 6:11). Dann erst können wir das Reich in Besitz nehmen, „das seit der Erschaffung der Welt“ für uns bestimmt ist (s. Mt. 25:34). Doch vorher müssen wir uns als treue Diener des Herrn erweisen, um dann „an der Freude unseres Herrn teilnehmen“ zu können (s. Mt. 25:21,23). 

Als Prämisse im geistlichen Leben gilt das Eingeständnis der eigenen völligen Unwürdigkeit vor Gott. Dann ist kein Unheil, keine Läuterung in diesem Leben unverdient, - sind wir doch diejenigen, die noch viel Schlimmeres, nämlich die ewige Verdammnis durch das Getrennt sein von Christus, verdient haben.

So aber kann ich, selbst wenn mir das Schicksal eines Bettlers, Krüppels oder Unterdrückten beschieden ist, mit dem lebendigen Glauben an Gott unvergleichlich glücklicher als die Reichen, Schönen und Erfolgreichen dieser Welt sein. Wir alle kennen Fälle von unschuldigen Kindern, die unsägliches Leid in dieser Welt ertragen müssen. Keiner freut sich darüber. Aber Gott anzuklagen steht uns nicht zu (s. Ps. 50:6). Nur Gott weiß, wozu es gut ist. Wissen wir denn, was aus dem Kind geworden wäre, wenn es gesund geboren und wohlbehütet aufgewachsen wäre? - Nein. Gott aber weiß alles im voraus. Er handelt im Hinblick auf das Seelenheil immer gütig und gnädig. Aber auch das ist eine Sache des Glaubens. Ich jedenfalls wäre lieber als der Bettler Lazarus geboren, denn als der Reiche (s. Lk. 16:19-31; vgl. Jak. 2:5; 1 Joh. 3:17).

Folglich ist derjenige, welcher geistlich lebt und denkt, – selbst inmitten von Mühsal und Plagen – von Freude erfüllt. Weinen wird so einer nur über die Krankheit seiner Seele – die Sünde. Am Ende überwiegt aber die Hoffnung auf die Mildherzigkeit des Herrn. Wenn wir auf diesem geistlichen Fundament stehen, leben wir in der absoluten, der spirituellen Realität – in der Wirklichkeit des kommenden Äons. Dann gehören wir nicht mehr zu dieser Welt, die „unter der Macht des Bösen“ steht (s. 1 Joh. 5:19), sondern zum Reich Gottes (vgl. Lk. 17:21). In diesem Sinne sind wir also berufen, auch Heilige unserer irdischen Heimat zu sein, „als ein heiliges Volk“ Gottes (s. Ex. 19:6) – und das ungeachtet von Herkunft, Sprache, Nationalität, Hautfarbe und Kultur. Amen.    

Jahr:
2020
Orignalsprache:
Deutsch