Predigt zum 4. Herrentag nach Ostern / vom aufgerichteten Gelähmten (Apg. 9:32-42; Joh. 5:1-15) (10.05.2020)

Liebe Brüder und Schwestern, 

wir befinden uns in der festlichen Zeit, in der wir uns verstärkt auf das Kommen des Heiligen Geistes, den nächsten großen Höhepunkt des Kirchenjahres, vorbereiten. Pfingsten ist ja – nach der Auferstehung und der Geburt Christi – das dritte große Fest im Jahr, das bereits jetzt seine Schatten voraus wirft. Insofern fußt die Kirche Christi heute auf dem Brauchtum der alttestamentlichen Kirche, die ebenso drei große Feste kannte und zu denen sie die Gläubigen zur Versammlung in den Tempel rief (s. Ex. 23:14-17; Dtn. 16:16-17).

Gegenstand unserer Betrachtung ist heute zunächst die Heilung eines Gelähmten, der 38 Jahre lang am Teich Bethesda lag und vergeblich auf die von einem Engel des Herrn von Zeit zu Zeit verursachte Aufwallung des Wassers wartete, um von seinem Gebrechen geheilt zu werden. Analog dazu hören wir aus der Apostelgeschichte von der Heilung des Äneas in Lydda sowie der Auferweckung der Tabita von den Toten in Joppe durch den Apostel Petrus. Besonders die ersten beiden Fälle bestechen durch ihre Parallelität (s insbesondere Joh. 5:8 und Apg. 9:34), wenn man von der unterschiedlichen Zeitspanne der Lähmung des Mannes am Teich Bethesda und des Äneas in Lydda absieht. Man fühlt sich an die Worte des Herrn erinnert: „Amen, amen, Ich sage euch: Wer an Mich glaubt, wird die Werke, die Ich vollbringe, auch vollbringen, und er wird noch größere vollbringen, denn Ich gehe zum Vater“ (Joh. 14:12). Wenn wir dann noch die Auferweckung der Tabita in Joppe hinzunehmen, haben wir in der Tat eine Grundlage zum Nachdenken über den Sinngehalt der angeführten Worte des Herrn. Was meint der Herr mit „noch größeren Werken“ als die, welche Er Selbst vollbracht hat? Können Seine Nachfolger wirklich noch größere Werke vollbringen als Er Selbst (vgl. dazu Mt. 10:24-25)?! Wir sehen zwar anhand der heutigen Lesung aus der Apostelgeschichte, dass die Jünger in der Tat solche Werke vollbringen wie Er sie vollbracht hat, aber nicht größere. Kranke heilen und Tote aufrichten – ja, aber größere Werke? Gibt es die überhaupt? Was wären denn „größere Werke“ als das, was wir bei Jesus Christus sahen?..

Die oben angeführten Worte des Herrn stehen in einem konkreten Zusammenhang: Christus bestärkt Seine Jünger in dem Glauben, dass Er vom Vater ausgegangen ist, dass wir nur durch Ihn zum Vater gelangen können und dass der, welcher Ihn gesehen hat, auch den Vater gesehen hat (s. Joh. 14:6-10). Und dann sagt der Herr: „Glaubt Mir doch, dass Ich im Vater bin und dass der Vater in Mir ist; wenn nicht, glaubt wenigstens aufgrund der Werke!“ (14:11). Wenn also schon Seine Jünger nach Seinem Weggang zum Vater solche Werke vollbringen können wie Er sie vollbracht hatte, ist das nicht ein eindeutiges Zeugnis dafür, dass dadurch „der Vater im Sohn verherrlicht wird“ (14:13b)?! Dann ist folglich auch der Beistand, Den der Sohn vom Vater erbitten wird und Der für immer bei uns bleiben soll (s. 14:15) göttlichen Ursprungs und Wesens! Die „größeren“ Werke der Nachfolger Christi sind also von der äußeren Erscheinung nicht größer als die zuvor vom Herrn vollbrachten Werke, aber kraft des Heiligen Geistes werden sie noch mehr Menschen für das Königreich Gottes gewinnen. War die Predigt der Apostel an einem einzigen Tag der Niedersendung des Heiligen Geistes zu Pfingsten nicht erfolgreicher und nachhaltiger als die dreijährige Verkündigung des Herrn und die Seines Vorläufers? - Die Größe der Werke wird sich demnach gerade darin äußern, dass sie eben nicht vom Sohn Gottes, sondern von einfachen, unvollkommenen Menschen getätigt werden: „Wenn ihr in Mir bleibt, und wenn Meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt: Ihr werdet es erhalten. Mein Vater wird dadurch verherrlicht, dass ihr reiche Frucht bringt und Meine Jünger werdet“ (Joh. 15:7-8). Voraussetzung ist aber das Verbleiben in der Liebe des Herrn, ohne die wir absolut zu gar nichts imstande sind (s. Joh. 15:4f).

Welch eine Demut, welch eine Selbsterniedrigung Gottes! Aber auch welch eine Verantwortung wir haben! Diese besteht darin, dass wir: a) den Herrn Jesus Christus lieben; b) Seine Gebote befolgen; c) nach dem Weggang des Herrn Jesus Christus in der Gnade des Heiligen Geistes verbleiben: „Wenn ihr Mich um etwas in Meinem Namen bittet, werde Ich es tun. Wenn ihr Mich liebt, werdet ihr Meine Gebote halten. Und Ich werde den Vater bitten, und Er wird euch einen anderen Beistand geben, Der für immer bei euch bleiben soll. Es ist der Geist der Wahrheit, Den die Welt nicht empfangen kann, weil sie Ihn nicht sieht und nicht kennt. Ihr aber kennt Ihn, weil Er bei euch bleibt und in euch sein wird“ (Joh. 14:14-17). Im Grunde ist hier also die Rede von der Gnade des Heiligen Geistes, die wir empfangen werden und in der wir das Werk Gottes weiter fortführen sollen: „Wenn aber der Beistand kommt, Den Ich euch vom Vater aus senden werde, der Geist der Wahrheit, Der vom Vater ausgeht, dann wird Er Zeugnis für Mich ablegen. Und auch ihr sollt Zeugnis ablegen, weil ihr von Anfang an bei Mir seid“ (Joh. 15:26-27). Gottes Größe zeigt sich demzufolge in unserer Schwäche (vgl. 2 Kor. 12:9)! Unser Glaube zeichnet sich folglich durch das Streben nach der Gnade des Heiligen Geistes aus, denn dieses Streben ist das Merkmal der wahren Gläubigen: „Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die Ihn bitten“ (Lk. 11:13).

Gottes Gnade uns gegenüber ist grenzenlos; aber entsprechend groß ist unsere Verantwortung. Hüten wir uns davor, wie der nach 38 Jahren Geheilte nach dem Empfang der göttlichen Gnade unseren Herrn durch ein Leben, das Seinen Geboten und Seiner Liebe widerspricht, zu verraten (s. Joh. 5:15). Amen.    

Jahr:
2020
Orignalsprache:
Deutsch