Predigt zum 2. Herrentag nach Ostern / Thomas-Sonntag / Antipascha (Apg. 5: 12-20; Joh. 22: 19-31)

Liebe Brüder und Schwestern, 

der „Held“ der Lesung aus dem Evangelium am heutigen Tag ist der Apostel Thomas, der bei der ersten Erscheinung des auferstandenen Christus vor den hinter verschlossenen Türen versammelten Jüngern nicht anwesend war. Als die übrigen Jünger ihm vom auferstandenen Herrn erzählten, konnte er zunächst nicht glauben. So entstand die oftmals verwendete Metapher vom „ungläubigen Thomas“ („Фома неверный»). Doch das, was sich vor zweitausend Jahren im Innersten des Jüngers des Herrn abgespielt hat, ist bis heute ziemlich aktuell und realitätsnah. Mir scheint nämlich, dass der Zustand des, sagen wir mal, zweifelnden Thomas einen realen Bezug zu unserer heutigen kirchlichen Wirklichkeit hat. Ich bin jedenfalls fest überzeugt, dass der Apostel Thomas die Auferstehung Christi nicht partout negiert hat (es haben Ihn ja zehn seiner engsten Gefährten mit eigenen Augen gesehen), sondern eher davon ausging, dass es sich hierbei um eine Vision gehandelt haben muss (vgl. Lk. 24:37). Verständlich aus seiner Sicht, denn selbst die übrigen zehn Jünger, die den Auferstandenen betasten durften, konnten anfangs noch nicht gleich an die leibhaftige Auferstehung glauben (s. Lk. 24:41). Insofern ist die Reaktion des Apostels Thomas nicht mit der eines modernen Atheisten oder Nihilisten vergleichbar. Denn immerhin ist der Apostel Thomas, genannt Didymus (Zwilling), bereit, sich eines Besseren belehren zu lassen: „Wenn ich nicht die Male der Nägel an Seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in Seine Seite lege, glaube ich nicht“ (Joh. 20:25b). Er ist also grundsätzlich bereit und gewillt zu glauben. Es ist, wenn Sie so wollen, ein Glaubensbekenntnis unter Vorbehalt.

Und jetzt kommen wir, liebe Brüder und Schwestern ins Spiel. Wir Orthodoxe wissen doch, was Auferstehungsfreude ist. Ostern ist für uns die Freude, die uns, nach den Worten des Herrn, niemand nehmen wird (s. Joh. 16:22). Diese Auferstehungsfreude ist aber nur möglich, nachdem wir uns in den vorangegangenen Wochen durch Gebet und Fasten vorbereitet und uns von unseren Sünden gereinigt haben. Fragen sie doch Ihre alles besser wissenden Verwandten, Kollegen und Freunde, ob sie Freude empfinden, wenn sie „Gott im Herzen haben“. Wissen sie denn überhaupt, was Auferstehungsfreude ist?! - Wir empfinden diese Freude jede Woche bei der Feier der Auferstehung, auch zu anderen Festen des Kirchenjahres quillt unser Herz über vor Rührung und Freude. Das ist eine völlig objektive Realität, seit Generationen bestätigt und überliefert, auch heutzutage millionenfach bewährt, - und kein Hirnwahn irgendwelcher abgedrifteter Sektierer. Darauf wurden Kulturen und Zivilisationen gegründet, die Jahrhunderte und Jahrtausende überdauerten und in ihrem Kern heute noch währen, denn darauf gründet sich der Berg Athos und die gesamte monastische Tradition weltweit bis zu diesem Tage. Das ist kein Fanatismus, sondern christliche Kultur im wahrsten Sinne des Wortes.

Unsere „Gott im Herzen tragenden“ Mitmenschen bleiben uns folglich die Antwort schuldig: Was erwartet ihr nach dem Tod bzw. am jüngsten Tag? - Ihr seid vielleicht bessere Menschen als wir, aber wir kennen die Auferstehungsfreude aus eigener Erfahrung, streben diese ungetrübt in ewiger Form an, wenn wir dieses irdische Tränental durchschritten haben. Welchen Lohn aber wollt ihr in der Ewigkeit erlangen, wenn ihr euch Zeit eures irdischen Lebens nur an zeitlichen Dingen erfreuen wolltet (s. 1 Kor. 3:8)? „Straffreiheit“ für das Getauft sein, vielleicht, aber eine Belohnung – wofür? Ist der Apostel Paulus etwa auch ein fehlgeleiteter Fanatiker (s. z.B. Röm. 8:1-17) oder ein unverbesserlicher Utopist (s. z.B. 2 Kor. 12:1-13), der uns seiner krankhaften Phantasie entsprungene Geschichten auftischt (s. z.B. 1 Kor. 15:51-58)? Und wie steht ihr überhaupt zu unserem Herrn Jesus Christus? Hat nicht vor allem Er denen die Seligkeit versprochen, die um Seinetwillen Spott, Verfolgung und Beschimpfung bereitwillig erleiden (s. Mt. 5:10-12)?! Ihr aber ignoriert das geradewegs und baut eure eigene, komfortable und selbstsichere Gerechtigkeit auf (s. Röm. 10:3)?! Und ihr wollt Christen sein?.. Hört, was der Herr sagt: „Darum sage Ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen“ (Mt. 5:20).

Nun aber wieder zu uns Sündern, die wir nun mal sind. Wir haben trotz unserer Schwächen und Verfehlungen die Möglichkeit, die Freude der Auferstehung das ganze Jahr über in uns zu tragen, wenn wir als lebendige Bausteine am kirchlichen Organismus aktiv mitwirken (vgl. 1 Petr. 2:5). Ist das ein falscher Glaubenseifer? - Religiöser Fanatismus sieht ganz anders aus; er äußert sich in inadäquatem Verhalten bis hin zu Wahnsinnstaten, die in sehr seltenen Fällen auch durch „christliche“ Täter verübt werden können (z.B. Norwegen 2011, Neuseeland 2019). Religiöse Seriosität aber äußert sich in der Tat darin, dass man bereit ist, selbst für seinen Glauben zu sterben; Merkmal des religiösen Fanatismus hingegen ist die Bereitschaft, andere für seinen Glauben zu töten.

Wer aber die Freude der Auferstehung ständig in sich trägt, der wird seinen Nächsten ohnehin nicht lauthals und mit stark verbreiteten Pupillen von der Richtigkeit seines Standpunkts überzeugen wollen. Er wird stattdessen einfach nach seinem Glauben den Alltag leben und gegebenenfalls durch sein konkretes Handeln die Wahrheit Christi bezeugen können. Er wird keinen „handfesten“ Beweis fordern, um gläubig zu sein und den Auferstanden als seinen Herrn und Gott anzuerkennen (s. Joh. 20:27-28). So ist es nämlich besser für uns, denn: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh. 20:29b). Amen.       

Jahr:
2020
Orignalsprache:
Deutsch