Predigt zum Herrentag vom verlorenen Sohn (1 Kor. 6:12-20; Lk. 15:11-32) (16.02.2020)

Liebe Brüder und Schwestern, 

während der Vorbereitung auf die Große Fastenzeit werden wir mit dem Gleichnis vom verlorenen Sohn konfrontiert, das eine verkürzte Wiedergabe des gesamten Heilsgeschehens ist: der Mensch entscheidet sich für die „Unabhängigkeit“ von Gott und geht seinen eigenen Weg. Dabei frönt er den Leidenschaften und gleitet vollkommen ab. Hier besinnt er sich aber und macht sich reumütig auf den Weg zurück in das Haus seines Vaters, der ihn mit ausgebreiteten Armen und mit einem großen Festmahl empfängt... Seligkeit und Harmonie in der Gemeinschaft mit Gott – Versuchung durch „Freiheitsdenken“ und „Selbstbestimmung“ – Treuebruch und Abfall von Gott – Knechtschaft und Notleiden nach der Trennung von Gott – Reue und Umkehr – Versöhnung und Vergebung – Freude und noch größere Seligkeit nach der Wiedervereinigung mit Gott. - So lautet die Kurzbeschreibung des Weges zum Heil. 

Die Kirche hat liturgisch und spirituell die Weichenstellung dafür vollzogen, nun müssen wir auf dem vorgeschriebenen Weg voranschreiten und uns besinnen, welch eine Wonne die Gemeinschaft mit Gott in unserer unbeschwerten Kindheit und Jugend im Elternhaus bzw. zu der Zeit gewesen ist, als wir den Glauben annahmen; wie töricht und unheilvoll unser Bestreben war, nicht mehr auf die Eltern zu hören und unseren eigenen Weg gehen zu wollen; wie diese Abkapselung unweigerlich zum Verlust oder zum Erkalten des Glaubens führte, was wiederum in der Abkehr von bisher unerschütterlichen moralischen Grundsätzen gipfelte; welche innere Zerrissenheit und Beengtheit wir in der Folgezeit empfanden und wie wir uns voller Wehmut an unsere glückliche Kindheit im Schoße der Familie erinnerten; wie wir nun von uns aus den Weg zu Gott suchten und bemüht waren, die in uns noch vorhandenen Spuren des Glaubens wiederzubeleben; wie überwältigend das Glücksgefühl war, in das Haus des himmlischen Vaters zurückgekehrt und dort mit Freuden aufgenommen worden zu sein... Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor? - Möglich. Aber es kann auch ganz anders gewesen sein, denn jeder hat seine eigene Biographie. Vielleicht war der eine oder andere auch ohne seine Eltern, also von allein zum Glauben gekommen, ist aber danach wie der Hund zu dem zurückgekehrt, was er erbrochen hat und wälzte sich wieder wie die gewaschene Sau im Dreck (s. 2 Petr. 2:22; vgl. Spr. 26:11). Oder es gibt jemanden von uns, der niemals vom Glauben abgefallen war und auch stets die moralischen Grundsätze befolgt hat? Der wird jetzt sagen, dass das Gleichnis vom verlorenen Sohn nicht von ihm handelt und ihn folglich gar nichts angeht. Falsch! - In dem Gleichnis ist von zwei Söhnen die Rede, also auch von dem älteren, der seinen in das Elternhaus zurückgekehrten Bruder brüsk ablehnte. Auch auf diese Gefahr wird hingewiesen – sich gegenüber seinem schwachgeworden Mitbruder zu überheben. Der Apostel Paulus warnt:  „Wie kannst du den Diener eines anderen richten? Sein Herr entscheidet, ob er steht oder fällt. Er wird aber stehen, denn der Herr bewirkt, dass er steht“ (Röm. 14:4). Also steht es uns in keinem Fall zu, unseren Nächsten zu richten. Wer das tut, der übersieht sträflich, dass er selbst Sünder und in unermesslicher Schuld vor Gott steht, und wie alle Menschen nur durch Gottes unendliche Barmherzigkeit gerettet werden kann: „Ohne es verdient zu haben, werden sie gerecht, dank Seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus“ (Röm. 3:24). Wer sich dennoch zum Richter über andere aufspielt, maßt sich an, er hätte es aus Sicht Gottes „verdient“, als gerecht angesehen zu werden! - Was soll man da noch sagen?!..        

Wir Menschen können zudem gar nicht abschätzen, wie Gottes Gnade wirkt. Wir urteilen nach menschlichen Kriterien, befinden teils aus naiver Unkenntnis, teils aus Selbstherrlichkeit über „Gut und Böse“. Gott sagt aber: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht Meine Wege – Spruch des Herrn“ (Jes. 55:8). Also kann keiner Gottes Gedankengänge auch nur annähernd begreifen (s. Röm. 11:33-34). Was wir aber mit Bestimmtheit in Bezug auf uns Menschen sagen können ist, dass für Gott Kategorien wie „nett“, „cool“, „angenehm“ etc. nicht relevant sind. Durch dauerhaftes Grinsen erlangt man nicht das Seelenheil, dafür aber durch einen festen Glauben und einen Lebenswandel, der dem Glauben Ausdruck verleiht und diesem zur Ehre gereicht. Wenn die äußeren Taten in Übereinstimmung mit der inneren Glaubensüberzeugung stehen, wird Gott gewiss über einige charakterliche Unzulänglichkeiten hinwegsehen können; wenn aber ein ach so freundlicher  und allseits beliebter Zeitgenosse meint, es mit der christlichen Ethik nicht so genau nehmen zu müssen, - was kann er dann von Gott dafür erwarten? - Sich aus menschlicher Schwachheit in schwere Sünden verstricken – das kann jedem passieren; in solchen Fällen gibt es die Arznei der Buße. Sich diese Sünde aber quasi selbst zugestehen ist jedoch ein anderes Kaliber, denn es ignoriert Gott als Gesetzgeber und Richter. Wären wir tatsächlich unsere eigenen Richter, kämen wir jedes Mal „mit Bewährung“ davon, während unliebsame Mitmenschen immer die Höchststrafe aufgebrummt bekämen. Gut, dass (letztlich) nicht nach menschlicher Denkweise geurteilt wird! Denn wer jetzt vor dem Menschen gut dasteht, den könnte am Ende ein böses Erwachen erwarten (s. Mt. 5:10-12; Lk. 6:26). Wollen wir also stets bemüht sein, vor Gott reich zu sein (s. Lk. 12:21). Diesen Reichtum erlangt man sogar als Mittelloser (s. Mt. 5:3) durch die Umkehr. Wer sich aber über seinen Mitbruder erhöht, beraubt sich selbst jeglicher Gnade; er wird auch das verlieren, was er zu besitzen meinte (s. Mk. 4:25; Lk. 8:18; 19:26). Wollen wir also die bevorstehende Zeit der Buße als Möglichkeit wahrnehmen, unseren himmlischen Reichtum zu vermehren. Amen.   

Jahr:
2020
Orignalsprache:
Deutsch