Predigt zum 33. Herrentag nach Pfingsten (1. Tim. 4: 9-15; Lk. 19: 1-10) (02.02.2020)

Liebe Brüder und Schwestern, 

als wir vor zwei Jahren mit einer Pilgergruppe im Heiligen Land waren, kamen wir u.a nach Jericho, die älteste Stadt der Welt, die unweit des Toten Meeres liegt. Hier besuchten wir das Kloster des heiligen Zachäus, in dessen Garten der noch immer blühende Maulbeerbaum, von dem aus der Oberzöllner die Ankunft des Herrn beobachtete (s. Lk. 19:4), steht. Heute befindet sich diese Sykomore unter einer Plexiglasschicht zum Schutz vor Zerstörung durch Witterungseinflüsse, Vandalismus oder übereifrige Devotionalienjäger. Am selben Ort hatte auch der Prophet Elisäus mit einer Schüssel voll Salz das ungesunde Wasser wieder gesund gemacht, worauf Todesfälle und Fehlgeburten in der Stadt aufhörten (s. 4 Kön. 2:19-22). Vom Kloster fuhren wir dann zum Haus des Zachäus, das der Russischen Geistlichen Mission untersteht und drinnen ein Kirchlein beherbergt. Obwohl sich die architektonischen Gegebenheiten im Laufe der Jahrhunderte unter oftmals wechselnden politischen, konfessionellen und kulturellen  Bedingungen geändert hatten, konnte man erahnen, dass hier zu Zeiten des Herrn eine opulente Villa in bester Lage gestanden haben muss. Wie zwei Jahrtausende zuvor Zachäus dem Herrn und Seinem Gefolge, so ließen auch uns die Schwestern der Mission im Refektorium ihre Gastfreundschaft angedeihen. In mir kam sofort der Gedanke auf: Welch ein Glück das für Zachäus gewesen sein muss, den Herrn Selbst bei sich zu Hause als Gast empfangen haben zu dürfen (s. Lk. 19:5-6)!.. Was würde unsereins dafür geben, diese Gunst ebenfalls erhalten zu können! - Doch das ist in der Tat jederzeit und dauerhaft möglich für jeden, zum Beispiel, wenn wir Notleidende oder Obdachlose aufnehmen (s. Mt. 25:40) oder wenn wir durch ein frommes und tugendhaftes Leben selbst zur Wohnstatt des Herrn werden (s. Joh. 14:23). Was sagt, was lehrt uns diesbezüglich die Geschichte von Zachäus?

Ich denke, er war an diesem Tag der glücklichste Mensch der Welt – und blieb es von da an sein Leben lang. Völlig unverhofft bekam er Besuch vom Herrn, was dazu führte, dass er in einem Augenblick sein ganzes Leben änderte (s.  Lk. 19:8). Aber wir erkennen hier auch: Gottes Weisheit und Güte bleiben den Menschen mit verhärteten und verstockten Herzen verschlossen (s. 19:7), wie im richtigen Leben auch, wo beinahe ausschließlich nach äußeren Gesichtspunkten geurteilt wird und nicht erkannt wird, was sich im Innersten eines Menschen abspielt. Gott allein kennt „die Regungen und Gedanken des Herzens“ aller Menschen, nur Er kann über sie richten (s. Hebr. 4:12). Wir täten also gut daran, uns um unser eigenes Seelenleben zu kümmern!.. Ich bin mir zudem sicher, dass jeder Mensch zumindest ein Mal im Leben „Besuch“ vom Herrn bekommt, sei es durch eine unerklärliche innere Rührung des Herzens, sei es durch ein einschneidendes Erlebnis, eine außergewöhnliche Begegnung oder – ganz selten – durch eine Erscheinung aus dem Jenseits. Ich kenne solche Menschen, die von Jugend an überzeugte Atheisten waren und durch solch ein „unerklärliches“ Ereignis gläubig und sogar zu Mönchen, Priestern oder Bischöfen wurden. Wie bei Saulus aus Tarsus erkennt Gott in den Herzen solcher Menschen das Potenzial, das in ihnen schlummert, und „greift ein“, sodass es beim Betreffenden sofort „wie Schuppen von seinen Augen“ (s. Apg. 9:18) fällt.

Aber auch wir regelmäßige Kirchgänger haben noch viel „Luft nach oben“, sodass Gott auch in uns noch weitreichende Veränderungen bewirken kann und will. „Fromm leben“ bedeutet für allzu viele immer noch, allein äußere Vorschriften einzuhalten – Gottesdienst, häusliche Gebetsregel, Fasten. Sonst darf man tun, was man will, und meint sogar, nun etwas dafür bekommen zu müssen. So jemand tut sich dann enorm schwer, nach Gottes Willen zu leben und diesen dann auch zu akzeptieren. Dabei versetzt Gott jeden von uns in die günstigsten Umstände zur Erlangung des Seelenheils! Dazu muss Gott keine idealen Zustände in dieser Welt schaffen. Not, Elend und Ungerechtigkeit aller Art stammen ja von den Menschen, Gott ist nicht ihr Urheber. Selbst da, wo von „höherer Gewalt“ die Rede ist, ist immer eine Beteiligung des Menschen (vgl. Gen. 3:17-19; 6:5-7; 18:20-21; 19:23-25; Ps. 105:38-40) ursächlich.

Welche ist dann also die Botschaft an uns? Wie können wir sonst, neben unserer durch Erziehung oder Selbstmotivation angeeigneten Frömmigkeit und unserer moralischen Gesinnung Gott gefällig leben? - Niemand von uns muss auf ein „Damaskus-Erlebnis“ wie beim Apostel Paulus warten. Doch können wir unsere Herzen empfänglich machen für die kleinen alltäglichen Botschaften, durch die unsere Schutzengel mittels unseres Gewissens auf uns einwirken. Wenn wir nur unsere hedonistischen Begierden und unseren egoistischen Willen hintanstellen, werden wir unser geistliches Gehör schärfen und dadurch für derartige „Mitteilungen“ sensibel sein. Der eigentliche Zweck des Fastens besteht darin, all das abzustreifen, was die in uns wirksame Gnade überlagert! Dann werden wir ohne größere Mühe die Andersartigkeit der Mitmenschen akzeptieren und sie als Mittler unseres Heils sehen. Diese Eingebungen des Herzens führen dazu, dass wir uns mit unseren Mitmenschen versöhnen, Konflikte vermeiden bzw. selbst zuerst um Vergebung bitten. Wenn das Herz dann erst einmal von allem Unrat gereinigt ist, findet sich darin genug Platz für Gottes Wirken. Gottes All-Machtbereich ist zwar unendlich – „des Herrn ist die Erde und ihre Fülle, der Erdkreis und alle seine Bewohner“ (Ps. 23:1) – und doch bleibt uns ein einziger Ort auf der ganzen Welt, an dem wir „Gastgeber“ für unseren Herrn sein können – unser Herz! Und so vermag jeder, der sich als Sünder sieht, wie Zachäus in einem Augenblick das Glück der verzeihenden Güte des Herrn erfahren. Auch und vor allem, wenn er in jedem seiner Mitmenschen den Herrn Jesus Christus erblickt und die Türen seines Herzens für ihn (bzw. für Ihn) öffnet. Amen.

Jahr:
2020
Orignalsprache:
Deutsch