Predigt zum Herrentag der Vorväter (Kol. 3:4-11; Lk. 14:16-24) (29.12.2019)

Liebe Brüder und Schwestern, 

wieder ist es soweit. In der westlichen Hemisphäre ist der Trubel der Weihnachtstage für dieses Jahr vorüber, während wir uns in aller Ruhe auf die Ankunft unseres Heilands vorbereiten können. Auch manch einem abendländischen Christen stößt es sauer auf, dass die Adventszeit, die mal als Zeit der besinnlichen Einstimmung auf die Geburt des Erlösers galt, heute fast ausschließlich für kommerzielle Zwecke, politische Botschaften oder für rein sinnliche Vergnügungen genutzt wird. Schuld sind nicht allein die Atheisten.

Für uns, die wir uns nach dem Julianischen Kalender ausrichten, beginnt mit dem heutigen Tag der Vorväter die letzte und intensivste Phase der liturgisch-kontemplativen Vorfreude auf die Menschwerdung Gottes, die ja eine Zeit der gemäßigten Enthaltsamkeit ist und mit innerer Reinigung einhergeht. Diese asketische Grundhaltung steht im krassen Widerspruch zu der Vereinnahmung dieser heiligen Zeit durch das säkularisierte Weltverständnis. Passend dazu lesen wir heute in der Epistel: „Wenn Christus, unser Leben, offenbar wird, dann werdet auch ihr mit Ihm offenbar werden in Herrlichkeit. Darum tötet, was irdisch an euch ist: die Unzucht, die Schamlosigkeit, die Leidenschaft, die bösen Begierden und die Habsucht, die ein Götzendienst ist. All das zieht den Zorn Gottes nach sich. Früher seid auch ihr darin gefangen gewesen und habt euer Leben davon beherrschen lassen. Jetzt aber sollt ihr das alles ablegen: Zorn, Wut und Bosheit, auch Lästerungen und Zoten sollen nicht mehr über eure Lippen kommen. Belügt einander nicht; denn ihr habt den alten Menschen mit seinen Taten abgelegt und seid zu einem neuen Menschen geworden, der nach dem Bild seines Schöpfers erneuert wird, um Ihn zu erkennen. Wo das geschieht, gibt es nicht mehr Griechen oder Juden, Beschnittene oder Unbeschnittene, Fremde, Skythen, Sklaven oder Freie, sondern Christus ist alles und in allen“ (Kol. 3:4-11). Zudem ergeht heute die Frohe Botschaft an uns alle, dass unser Himmlischer Vater seit Anbeginn der Welt alles unternimmt, um uns dem Heil zuzuführen. Das Gleichnis vom Festmahl ist ja eine allegorische Wiedergabe der Heilsgeschichte von der Vorbereitung auf die Ankunft des Messias, als Gott zu verschiedenen Epochen des Alten Testamentes seine „Diener“ aussandte, damit die Menschen in der Gemeinschaft mit Ihm an der göttlichen Herrlichkeit (s.o. Kol. 3:4) teilhaben können. Dazu hätten sie ja jegliche irdische Aktivität (Lohnerwerb, Schöpfertum, Familie) keineswegs unterdrücken oder verneinen, sondern mittels heiligender göttlicher Gnade mit Gottes Willen in Einklang bringen (s. 1 Kor. 10:31), sprich, „alles Irdische abtöten“ müssen. Gemeint sind körperliche und seelische Leidenschaften, die zwar ihrem Ursprung nach in der Natur des Menschen gründen, infolge des Sündenfalls aber zum Schaden des Menschen gereichen. Gott will die Menschen wieder dahin bringen, wo sie vor dem Abfall von der himmlischen Herrlichkeit waren. Damals, in der ungetrübten Harmonie mit Gott, fand der Mensch quasi von Natur aus sein Glück in der himmlischen Gemeinschaftspflege mit Gott; Irdisches (Nahrung, schöpferische Betätigung, ungezwungene Verwirklichung des eigenen Potentials etc.) war mit dieser Herrlichkeit untrennbar verbunden. Doch nach dem Abfall von der paradiesischen Wonne musste Gott die Menschen „wachrütteln“, zu ihnen Boten schicken, die sie auf den rechten Weg der unverfälschten Suche nach der verlorengegangenen göttlichen Harmonie zurückbringen sollten. Diese Gesandten Gottes waren all die zahllosen Heiligen des Alten Bundes, derer wir am heutigen vorletzten Herrentag vor der Geburt Christi feierlich gedenken.

Wie zu Zeiten der Patriarchen, Richter und Propheten stand „das Irdische“ der Versöhnung mit Gott im Wege (s.o. Kol. 3:5: Unzucht, Schamlosigkeit, Leidenschaft, böse Begierden, Habsucht, die früher oder später unweigerlich zu Götzendiensten ausschweifen mussten). Und so ist es auch heute: die gesegnete Zeit der Vorbereitung auf das „Festmahl“ des Herrn wird durch profane Betriebsamkeit ersetzt. Sogar Weihnachtslieder – ein Herzstück abendländischer Frömmigkeit – unterscheiden sich in ihrer modernen Fassung kaum noch von Schlagern und Popsongs. Es ist generell so in der zeitgenössischen Kunst: Spiritualität wird (bestenfalls) durch Emotionalität ersetzt, an Stelle der vertikalen regiert nur noch die horizontale Dimension. Und so hörten wir in den zurückliegenden Tagen erneut „Weihnachtsbotschaften“, die im Kern nur eine Wiedergabe der Nachrichtensendungen und der Stammtischdiskussionen darstellten. Heute bestimmen Klimawandel, Migration, soziale Gerechtigkeit etc. die Tagesthemen. Vor zehn Jahren diktierte noch die globale Finanzkrise, die zwar längst nicht überwunden ist, aber als Stichwortgeber ausgedient hat, die mit Christbaumschmuck dekorierten guten Wünsche für eine bessere Welt.

Vordergründig unterscheidet sich auch die biblische Geschichte, heute quasi im Zeitraffer wiedergegeben im Gleichnis vom Festmahl, nicht von den die Menschheit bewegenden Themen der Moderne. Die Heilsgeschichte ist dem „Genre“ nach teils eine Familiensaga, die sich zur Entstehungsgeschichte eines konkreten Volkes weiterentwickelt. Es herrscht dort kein Mangel an familiärer Gewalt und Grausamkeit (z.B. Kain und Abel, Esau und Jakob, Josef und seine Brüder), an Naturkatastrophen (z.B. die Sintflut, der Untergang Sodoms und Gomorrhas, die zehn ägyptischen Plagen, die Dürre zu Zeiten des Propheten Elias; dazu die Sonnenfinsternis zu Gibeon), an Kriegen, Eroberungen und Knechtungen ganzer Völker (Gefangenschaften in Ägypten und Babylon), an grausamen Verfolgungen (z.B. zu Zeiten der Makkabäer). So gesehen ist die Bibel, wie manche zeitgenössische TheologInnen behaupten, auch politisch. Aber das ist nicht ihre eigentliche Zweckbestimmung. Die angesprochenen Ereignisse bildeten den genealogischen, ethnographischen, geologischen, geographischen, kulturellem und historischen Rahmen, in dem sich die Errettung des Menschen durch Gott – in der Geburt Jesu Christi – abspielt. So „umrahmen“ Kriege, Revolutionen, Terrorakte etc. auch in der jüngeren Geschichte bis hin in die Gegenwart das göttlich initiierte Heilsgeschehen der neutestamentlichen Ära. Ist man irdisch gesinnt, ist es schwer, darin Gottes Vorsehung zu erkennen. Für so jemand sind Schlagzeilen und Börsenkurse, Konjunkturdaten, persönliche Nöte und Sorgen, Konsum und Vergnügen „seine“ Welt. Er gleicht denen im Gleichnis, die dem Aufruf Gottes zum Streben nach himmlischer Herrlichkeit jedes Mal eine Absage erteilen, – sei es aus Geschäftigkeit (Landkauf), Sinnlichkeit (fünf Ochsengespanne) oder aus privaten Gründen (Heirat). Um Gottes Gunst verlustig zu gehen, muss man nicht zwingend ein Mörder oder Dieb sein, auch kein Atheist; es „reicht“ schon, wenn man „das, was irdisch an einem ist, nicht abtötet“, d.h. wenn man sich von dieser materiellen und vergänglichen Welt vereinnahmen lässt und „keine Zeit“  für die mit dem Blut Christi um unseretwillen erkaufte Herrlichkeit Gottes hat.

Die „große“ Politik, unsere persönlichen Sorgen und Nöte, unser Privatleben und alles Irdische sind ja Bestandteile unseres Lebens, ob wir wollen oder nicht. Wir mögen uns für Politik aktiv nicht interessieren, aber gänzlich entziehen können wir uns ihr nicht, selbst wenn wir es wollten. Wir müssen all diese materiellen und zeitlichen Faktoren lediglich als irdische Rahmenbedingungen, in den wir unser Seelenheil erwirken wollen, akzeptieren. Mehr nicht! Wir dürfen dabei nur das Ziel nicht aus den Augen verlieren! Besser auf einem klapprigen Dampfer und auf einer Holzbank bei karger Seemannskost klar Kurs auf den ersehnten Heimathafen halten als auf einem Luxusdampfer bei einer Irrfahrt infolge einer Havarie in Seenot geraten! Abgerechnet wird erst am Ende. 

Nichts auf dieser Welt geschieht entgegen dem Heilsplan Gottes. Auch die sogenannten Mächtigen dieser Welt sind nur mickrige Marionetten in den Händen Gottes (s. Röm. 9:16-17). Und so wollen wir das Schlusswort einem der „Vorväter“ überlassen, der im Alten Testament überaus zutreffend verkündete: „Gott ist uns Zuflucht und Stärke, ein Helfer in den Nöten, die heftig auf uns stießen. Deshalb fürchten wir uns nicht, wenn die Erde erschüttert wird und die Berge versetzt werden in die Herzen der Meere. Es rauschten und brausten ihre Wasser, erschüttert wurden die Berge durch Seine Macht. Des Flusses Strömungen erfreuten die Stadt Gottes, geheiligt hat Sein Zelt der Höchste. Gott ist in ihrer Mitte, nicht wird sie wanken, Gott hilft ihr in der Morgenfrühe. Völker kamen in Verwirrung, gesunken sind Reiche, der Höchste ließ Seine Stimme ertönen, es wankte die Erde. Der Herr der Mächte ist mit uns, der Gott Jakobs nimmt unser Sich an. Kommt und seht die Werke des Herrn, die Wunder, die Er tat auf Erden: Er nimmt die Kriege hinweg bis zu den Enden der Erde, den Bogen zerschlägt Er, und die Waffe zerbricht Er, und die Schilde verbrennt Er im Feuer. ´Seid still und erkennt, dass Ich Gott bin: Erhöhen werde Ich Mich bei den Heiden, erhöhen werde Ich Mich auf Erden`. Der Herr der Mächte ist mit uns, der Gott Jakobs nimmt unser Sich an“ (Ps. 45). Amen.                          

Jahr:
2019
Orignalsprache:
Deutsch