Predigt zum 26. Herrentag nach Pfingsten (Eph. 5:8-19; Lk. 18:18-27) (15.12.2019)

Liebe Brüder und Schwestern,

einer der „führenden Männer“ – der Parallelstelle bei Markus zufolge geht dieser Mann dabei vor dem Herrn auf die Knie (s. Mk. 10:17) – wendet sich mit folgenden Worten an den Herrn: „Guter Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“. Der Herr erwidert ihm: „Warum nennst du Mich gut? Niemand ist gut außer Gott, dem Einen. Du kennst doch die Gebote: Du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch aussagen; ehre deinen Vater und deine Mutter!“ 

Wir können wohl davon ausgehen, dass dieser Mann kein Heuchler war, also keiner, der den Herrn prüfen oder Ihm eine Falle stellen wollte (vgl. Mt. 22:15; Mk. 12:13; Lk. 10:25), sondern aufrichtig den Weg des Seelenheils bestreiten wollte. Christus ist für ihn und für viele andere aber nur der „Meister“ (hebr. Rabbi), also ein Gesetzeslehrer, wenn auch ein ganz ungewöhnlicher – einer, der mit göttlicher Vollmacht lehrt und handelt (vgl. Mt. 7:29, Mk. 1:22). Welchen Sinn hätte es aber zu diesem Zeitpunkt aus der Perspektive des Angesprochenen gehabt, den Mann von der eigenen göttlichen Herkunft überzeugen zu wollen? Der Mann wäre dafür noch nicht empfänglich gewesen, zumal ja selbst die Jünger Christi mit ihrem Meister so ihre Schwierigkeiten hatten (s. z.B. Joh. 6:60-71). Und so fügt Sich der Herr kurzzeitig in das Geflecht von irdischer Denkweise und Streben nach himmlischer Seligkeit; es kann ja schließlich sein, dass es diesem Mann doch noch vom Vater gegeben sein wird, zur Erkenntnis der Wahrheit in Christus zu gelangen (s. Joh. 6:65). „Wer sucht, der findet“ (Mt. 7:8; Lk. 11:10). Und folglich lautet sinngemäß die vorläufige Botschaft an ihn: „Du erkennst zwar noch nicht, dass die Wahrheit nur wenige Schritte vor dir steht, aber anders als der karrierebewusste römische Prokurator und die auf ihren persönlichen Vorteil bedachten Schriftgelehrten und bigotten Pharisäer (vgl. Joh. 18:38; 9:41) bist du auf einem guten Weg dahin. Du bist vorerst jedoch noch nicht so weit, um zu erkennen, dass wer Mich gesehen hat auch Gott, den Einen, den Guten erkannt hat (vgl. Joh. 14:5-11). Da du aber in den Geboten bewandert bist, schreite weiter auf diesem Weg (s. Dtn. 5:16-21)“. Der Mann kennt die Gebote, selbstverständlich, er hat sie ja von Jugend an befolgt. Und für Heranwachsende ist es vollkommen unerlässlich zu lernen, dass man seine Eltern achten, nicht lügen, nicht stehlen und an Leib und Seele unbefleckt sein soll. Wer das von Kindheit an nicht beherzigt, kann kaum jemals zu einem guten und anständigen Menschen werden. Nun ist er aber erwachsen, zudem ein angesehener Mann im Volk. Er hat die von Gott gestiftete Ehe (s. Gen. 2:24; Ex. 20:14; Dtn. 5:18; vgl. Mt. 19:6; Mk. 10:9) hochgehalten, ist auch kein Mörder. Wenn alle nur so leben würden wie er, gäbe es viel weniger Leid auf der Welt. Aber seine Frage bezog sich doch auf das ewige Leben. Das hiesige, zeitliche Leben hat er ja so gut es geht im Griff. Die göttlichen Gebote haben ihm dabei Halt und Orientierung gegeben. Aber ist das schon ausreichend, auf Erden ein anständiger Mensch zu sein, um auch das himmlische Leben zu gewinnen?! Sicher bilden diese Gesetzesnormen die irdische Grundlage für das himmlische Leben. Einer, der lügt, stiehlt, mordet, die Eltern nicht achtet und Ehebruch begeht, kann bestimmt nicht den Frieden mit Gott finden; diese unerlässlichen Elementarregeln bilden zweifelsfrei das Fundament, aber was ist dann die Essenz des Gesetzes?.. Dazu weiter im Gespräch. Denn nun hat der Herr Seinen Gesprächspartner da, wo Er ihn haben wollte. Jetzt ist er, dieser gesetzestreue und schriftkundige Mann empfänglich für Höheres. Jetzt kann der Herr an ihn die Botschaft richten, die seiner wirklichen (höheren) Berufung entspricht: „Eines fehlt dir noch: Verkauf alles, was du hast, verteil das Geld an die Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben, dann komm und folge Mir nach!“ Die Reaktion: Enttäuschung, Betrübnis, Verbitterung – und lähmendes Entsetzen bei den danebenstehenden Zuhörern. So ist es auch bei vielen anderen, wenn Gottes Pläne nicht mit ihren eigenen Wunschvorstellungen übereinstimmen. „Ich wollte eine Familie gründen, Karriere machen, ´mich selbst verwirklichen`, aber Gott hat mir dabei nicht geholfen!“ - In ihrem Innersten wissen sie, dass Gott sie zu etwas Anderem, Höheren beruft, aber sie sträuben sich dagegen, wollen Irdisches nicht gegen Himmlisches eintauschen. Ist also Gott, da Er so mit uns handelt, etwa böse?.. Das sei ferne! Und doch ist es (anfangs) schwer zu akzeptieren, dass man seinen persönlichen Willen nicht „durchsetzen“ konnte. Um wie viel wertvoller ist es dann aber, wenn sich der menschliche Wille dem göttlichen Ratschluss fügt, wenn wir also alles, woran unser Herz bislang gehangen hat, aufgeben (vgl. Phil. 3:8), und wir unbeschwert Christus nachfolgen können und einen bleibenden Schatz im Himmel haben? Dass diese Versprechen keine bloßen Worthülsen sind, hat Christus Selbst vorgemacht, als Er Seinen menschlichen Willen dem des Himmlischen Vaters untergeordnet hatte (s. Mt. 26:39,42; Mk. 14:36; Lk. 22:42). Und würde mein Wille geschehen – wer sagt mir, dass ich nicht wie der arme Reiche wäre, von dem wir vor zwei Wochen gesprochen haben, der sich mit ganzer Seele dem materiellen Reichtum verschrieben hatte (vgl. Ps. 61:11), vor Gott aber nicht reich war (s. Lk. 12:21)? Also können wir uns Christus doch anvertrauen!

Gott kennt sehr wohl unsere Schwäche. „Nicht alle können dieses Wort erfassen, sondern nur die, denen es gegeben ist“ (Mt. 19:11). Wer nicht das Bessere erwählt hat, wird dafür viel Sorgen und Mühen haben (s. Lk. 10:42; vgl. Joh. 16:33; 1 Kor. 7:28), aber verloren ist er deshalb nicht. Würde Gott nach menschlicher Gerechtigkeit handeln, könnte gewiss keiner gerettet werden. Doch „was für Menschen unmöglich ist, ist für Gott möglich“. Amen. 

Jahr:
2019
Orignalsprache:
Deutsch