Predigt zum 22. Herrentag nach Pfingsten (Gal. 6:11-18; Lk. 8:41-56) (17.11.2019)

Liebe Brüder und Schwestern,

Metropolit Anthony (Bloom, + 2004) sprach mit einer Dame, die sich beklagte, da sie unentwegt zu Hause betete, Gott sie aber nicht erhörte. Darauf hin fragte sie der Metropolit: „Wenn sie etwas von einem Mitmenschen wollen, ihn um etwas bitten, - reden dann nur sie oder lassen sie den Gesprächspartner auch etwas sagen?“ - „Na, sicher doch. Ich will ja seine Antwort hören“. - „Sehen sie, ebenso müssen sie auch Gott ´zu Wort kommen` lassen...“ … Wie unvernünftige Kinder wenden wir uns manches Mal an Gott um Beistand. Doch Kinder wissen nicht, was gut für sie ist, die Eltern aber wissen es; und doch bedrängen Kinder ihre Eltern, bis sie ihnen diese Wünsche erfüllen. Die Schrift sagt jedoch: „Prüft, was dem Herrn gefällt“ (Eph. 5:10). So hätte die Dame auch mal eine Atempause einlegen sollen, um in ihrem Herzen die Antwort Gottes zu vernehmen. Ein Gebet ist kein Monolog, sondern ein Dialog – eine Zwiesprache  mit Gott! Wenn wir uns demütig vor Gott zeigen – wie es der Herr uns durch Sein eigenes Beispiel gelehrt hat (s. Mt. 26:39,42; Mk. 14:36; Lk. 22:42) –, wird Gott alles zum Besten führen (s. Röm. 8:28). Beten muss mit dem Eingeständnis verbunden sein, dass Gott besser weiß, was gut für uns ist (s. 2 Kor. 12:7-9), sonst ist jedes Gebet Zeitverschwendung. „Dein Wille geschehe“ (Mt. 6:10)! 

Nehmen wir die Frau, die seit zwölf Jahren an Blutfluss litt. Alle natürlichen Hilfsmittel, auf die sie sich wohl ihr Leben lang verlassen hatte, sind mittlerweile ausgeschöpft (s. Mk. 5:26). Mutmaßlich war sie eine wohlhabende, schöne und bestens situierte Frau gewesen. Solange sie gesund war, benötigte sie keinen himmlischen Beistand. Doch jetzt ist sie ihr Vermögen los und ihr Gesundheitszustand ist schlimmer als zuvor. Und erst, als jegliche Hoffnung auf irdische Hilfe dahingeschwunden ist, nimmt sie alle ihre Willensstärke zusammen und wendet sich im festen Glauben an unseren Herrn Jesus Christus. Allerdings darf sie sich nach der Gesetzesvorschrift gar nicht den Menschen nähern (s. Lev. 15:19-33) – wie soll sie dann erst an den Herrn herankommen?! - Und so entschließt sie sich, unter dem Schutz der Anonymität – Gesetz hin, Gesetz her – den Saum des Gewandes des Herrn zu berühren. Welch ein Glaube! Einer, der keine Gesetzesnorm benötigt. Aber wäre sie zu solch einem Glauben fähig gewesen, wenn sie nicht zuvor zwölf Jahre voller Verzweiflung gelitten und jegliches physisches Wohlergehen verloren hätte?! … Dieser Glaube hat ihr geholfen (s. Lk. 8:48). Und ich denke, sie muss in diesem Moment die glücklichste Frau der Welt gewesen sein – nicht so sehr, weil sie ihre leibliche Gesundheit wiedererlangt, sondern, weil sie den Herrn Jesus Christus erkannt hatte, Dessen Liebe alle Erkenntnis übersteigt (s. Eph. 3:18).       

Das im Verborgenen Geschehene wurde also offenbar. Doch gleich darauf erleben wir das Gegenteil. Der Herr erweckt die zwölfjährige Tochter des Synagogenvorstehers von den Toten, wofür es zahlreiche Zeugen gibt, und doch will Er, dass dieses unglaubliche Wunder geheim bleibt (s. Lk. 8:56). Ich  jedenfalls habe keine Ahnung, warum dies so geschah. Ich weiß nur: der Mensch will das Eine, Gott aber gibt das Andere. Das sollte uns genügen. Mir fällt jedoch auf, dass hier immerhin ein Synagogenvorsteher seine Glaubensschwäche offenbart (s. 8:50). Es sind im Vergleich zur soeben geheilten Frau andere Umstände – sie umging, situationsbedingt, das Gesetz, war aber nach all den Jahren der Prüfungen stark im Glauben, und wurde gerechtfertigt; er dagegen war von Amts wegen gesetzestreu, offenbarte somit bereits hier die Ohnmacht des Gesetzes (vgl. Röm. 8:3). Jairus benötigte die  Festigung im Glauben (vgl. Gal. 3:11) als Sofortmaßnahme, um den Herrn Jesus Christus zu erkennen. Zwei Wege – ein Ziel. „O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!“ (Röm. 11:35).

Schauen wir uns die Inder, Japaner, Chinesen und andere Völker an. Auch sie können nach Gottes Heilsplan gerettet werden (vgl. Röm. 2:17-29). Sind es nicht Heiden – ein römischer Hauptmann und eine kanaanäische Frau –, die im Neuen Testament durch ihren Glauben die rechtgläubigen Juden beschämen (s. Mt. 8:10; Lk. 7:9)? Zu welchem gesetzestreuen Juden hatte der Herr je gesagt: „Dein Glaube ist groß“ (Mt. 15:28; vgl. Mk. 7:29)?! Welch ein Potenzial an Glaubensstärke schlummert also in all diesen Völkern rund um den Globus! Wir werden sie aber wohl nicht durch unsere überheblichen Missionierungsversuche mit dem Licht des Evangeliums erleuchten können (wie unlängst ein evangelikaler Prediger es bei den indigenen Stämmen auf den Andamanen-Inseln versucht hatte und dabei sein Leben verlor). Geben wir also Acht, dass in uns „statt Licht nicht Finsternis ist“ (Lk. 11:35)! So blieben auch im Russischen Reich die Bekehrungsversuche unter den Naturvölkern zumeist erfolglos. Der hl. German (+ 1837) ging hingegen an das andere Ende der Welt nach Alaska, um dort in der Abgeschiedenheit der Wildnis ein Einsiedlerleben führen zu können. Belehren oder gar zivilisieren wollte er dort niemanden. Nur konnte er seine Liebe zu den Ureinwohnern Amerikas einfach nicht verbergen, so dass am Ende tausende Aleuten durch ihn an Christus glaubten. Das war gelebte Orthodoxie, echte „Gesetzestreue“ – ganz wie man will. So funktioniert auch, vereinfacht formuliert, unser neues „Gesetz“: „Wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt“ (Röm. 13:8) und: „Die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes“ (13:10). Wollen auch wir in diesem Sinne bemüht sein, komplett nach den Gesetzen Gottes zu leben, damit das „Licht, das die Heiden erleuchtet“ und die Herrlichkeit von Gottes Volk offenbaren soll (Lk. 2:32), auch in uns vor den Menschen leuchtet, und sie unseren Vater im Himmel preisen (s. Mt. 5:16) - Gott zuliebe, den Mitmenschen zuliebe, uns zuliebe. Amen.            

Jahr:
2019
Orignalsprache:
Deutsch