Predigt zum Fest des Schutzes unserer Allerheiligsten Gebieterin, der Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria (Hebr. 9: 1-7; Lk. 10: 38-42; 11: 27-28) (14.10.2019)

Liebe Brüder und Schwestern,

zum Fest des Schutzes der Allerheiligsten Gottesgebärerin wird, wie sonst nur zum Hochfest Ihrer Einführung in den Tempel, der Abschnitt aus dem Hebräerbrief gelesen, welcher uns einen kurzen Einblick in den Opferdienst des Alten Bundes gewährt. Wir wollen die Lesung heute komplett anführen: „Der erste Bund hatte gottesdienstliche Vorschriften und ein irdisches Heiligtum. Es wurde nämlich ein erstes Zelt errichtet, in dem sich der Leuchter, der Tisch und die heiligen Brote befanden; dieses Zelt wurde das Heilige genannt. Hinter dem zweiten Vorhang aber war ein Zelt, das sogenannte Allerheiligste, mit dem goldenen Rauchopferaltar und der ganz mit Gold überzogenen Bundeslade; darin waren ein goldener Krug mit dem Manna, der Stab Aarons, der Triebe angesetzt hatte, und die Bundestafeln; über ihr waren die Cherubim der Herrlichkeit; die die Sühneplatte überschatteten. Doch es ist nicht möglich, darüber jetzt im einzelnen zu reden. So also ist das alles aufgebaut. In das erste Zelt gehen die Priester das ganze Jahr hinein, um die heiligen Dienste zu verrichten. In das zweite Zelt aber geht nur einmal im Jahr der Hohepriester allein hinein, und zwar mit dem Blut, das er für sich und  für die Vergehen des Volkes darbringt“ (Hebr. 9:1-7). So weit, so gut. Aber welchen allegorischen Gehalt hat dieser Abschnitt in Bezug auf die Gottesgebärerin? Wir werden im folgenden versuchen, darauf eine Antwort zu geben.

Der alttestamentliche Schrein, das ganz mit Gold überzogene Tabernakel, diente als irdisches Abbild des himmlischen Altars. Als symbolische Behausung Gottes deutete es auf mystische Weise die wahrhafte Behausung Gottes, den „lebendigen Tempel“, an – die unbefleckte Jungfrau und Gottesgebärerin. Das in einem goldenen Krug aufbewahrte Manna wies prophetisch auf das Himmlische Brot (s. Joh. 6:32-35) hin, für das die allreine Jungfrau als von Gott geheiligter Schrein diente. Die Jungfrau Maria war somit das „Tabernakel“ für den Mensch gewordenen Gott. Mit dem Manna befanden sich im Tabernakel noch der Stab Aarons, der auf die Legitimität Christi, des wahren Hohepriesters, hindeutete (s. Num. 17:16-26), sowie die Bundestafeln, die im voraus prophetische Kunde davon brachten, dass Christus auch der wahre Gesetzgeber ist (s. Ex. 24:12).

Von höchstrangiger Bedeutung war der innere Vorhang, der das Allerheiligste (das „zweite Zelt“) vom Heiligtum (das „erste Zelt“) trennte (s. Ex. 26:33). Während in das Heiligtum die Priester ganzjährig zu gottesdienstlichen Handlungen hineingingen, konnte in das Allerheiligste nur der Hohepriester, und das nur ein Mal im Jahr, eintreten. Dies geschah am Versöhnungsfest (hebr. yom kippur), wie es der Herr dem Mose geboten hatte (s. Ex. 30:10). 

Ferner wird im Brief an die Hebräer offenbar, dass selbst das Allerheiligste des Alten Bundes im Vergleich zur Herrlichkeit und der Gnade des Neuen Bundes unvollkommen war, wobei Letztere erst durch die Fleischwerdung Gottes für uns zugänglich geworden sind (s. Joh, 1:17 und Röm. 5:2). Bis dahin stand der innere Vorhang für die Trennung zwischen Gott und Mensch, doch durch das Versöhnungsopfer Christi wurde diese Trennwand zerstört (s. Mt. 27:51), was schließlich auch Sinnbild für die Versöhnung des Alten und des Neuen Bundes – der Juden und der Heiden –  diente (s. Eph. 2:14-22). In der Göttlichen Liturgie erinnert die Öffnung des Vorhangs nach der Priesterkommunion (die hinter verschlossenem Vorhang im Altar stattfindet) an diese Versöhnung, denn nun haben alle Gläubigen in der Kirche Anteil am Allerheiligsten – dem Leib und dem Blut Christi. - „Mit Gottesfurcht und Glauben tretet herzu!“…

Die kunstvollen Darstellungen der „Cherubime der Herrlichkeit, die die Sühneplatte überschatteten“ erinnerten daran, das Gott, der Herr, Der ja im Himmel auf den Cherubimen thront, den Menschen hier auf Erden Seine Anwesenheit schenkt. Zusammen mit den gestickten Bildnissen der Cherubime auf dem inneren Vorhang (s. Ex. 26:31) fungierten diese Abbildungen gewissermaßen als „alttestamentlichen Ikonen“. Das Vorhandensein solcher Darstellungen im Bundeszelt und im Tempel zu Jerusalem belegt, dass das zweite Gebot (s. Ex. 20:4-6) schon damals nicht im absoluten Sinne Anwendung fand. Jenes Gebot sollte die von heidnischen Stämmen umgebenen Juden vor dem Götzendienst bewahren, untersagte (im Allerheiligsten) aber nicht die bildliche Darstellung von mystischen Wesen, die Gott nicht zuwider waren. Gott Selbst darzustellen war natürlich strengstens verboten und zudem auch gar nicht möglich, da die göttliche Natur für menschliche Sinne vollkommen unbegreiflich ist. Die Fleischwerdung Gottes ermöglichte den Menschen aber die empirische Wahrnehmung des Logos in Seiner menschlichen Natur – und folglich auch die bildhafte Darstellung des Menschensohns.

Der Tag der Versöhnung im Alten Bund hatte lediglich die Funktion, auf die vollkommene Versöhnung im Neuen Bund hinzudeuten. Dieser Tag steht stellvertretend für den unvollkommenen und provisorischen Charakter des Alten Testaments (s. Röm. 10:4). Wurden da die Sünden der Menschen nur urbildlich und symbolisch mit dem Blut von Tieren gesühnt, werden sie hier wahrhaftig durch das Blut von Gottes Sohn abgewaschen (s. Lk. 22:20).                

Wenn nun die Menschwerdung Christi den heilsgeschichtlichen Mittelpunkt, den Wendepunkt im Verhältnis Gott – Mensch darstellt, kann hierbei nicht Diejenige missachtet werden, ohne die dieses Wunder der Liebe Gottes nicht hätte stattfinden können. Ihr gebührt unsere Verehrung an diesem Tag. Amen. 

Jahr:
2019
Orignalsprache:
Deutsch