Predigt zum 15. Herrentag nach Pfingsten / Herrentag n. Kreuzerhöhung (Gal. 2:16-20; 2 Kor. 4:6-15; Mk. 8:34-9:1; Mt. 22:35-46) (29.09.2019)

Liebe Brüder und Schwestern, 

in der Lesung zum Herrentag nach Kreuzerhöhung stellt der Herr die höchsten Ansprüche an alle, die Ihm nachfolgen wollen: „Wer Mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge Mir nach“ (Mk. 8:35). Diese feste Entschlossenheit ist unabdingbar für das ewige Leben, „denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um Meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten“ (6:36). Es geht also darum, zur Erlangung des ewigen Lebens bereit zu sein, unserem Herrn zuliebe alle nur erdenklichen Opfer zu bringen - bis zum Verlust des zeitlichen Lebens. Dieses (An-)gebot („Wer Mein Jünger sein will...“) ist keinesfalls überzogen, hat doch der Herr Sein Leben für das unsrige hingegeben. 

Als Prüfstein für unsere Entschlossenheit, besser – unsere Ernsthaftigkeit, nehmen wir die Lesung des heutigen 15. Herrentags nach Pfingsten. Ein Gesetzeslehrer, der unseren Herrn auf die Probe stellen wollte, stellt Ihm die Frage nach dem wichtigsten Gebot im Gesetz. Erwartungsgemäß gibt ihm der Herr zur Antwort: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten“ (Mt. 22:37-40; vgl. Dtn. 6:5 und Lev. 19:18). 

Wer diese Worte aufmerksam vernimmt, wird an sich selbst erkennen, dass er Gott, seinen Herrn nicht liebt: sein Herz wendet sich mit Leichtigkeit irdischen Dingen zu, zu Gott findet der Mensch jedoch nur schweren Herzens. Sein Herz erfreut sich an zeitlichen Annehmlichkeiten, an irdischen Glücksmomenten, es verlangt nach weltlichen Vergnügungen. Täglich verbringt er Zeit mit müßigen Dingen, hat Zeit für endlose Gespräche, sitzt die halbe Nacht am Fernseher oder Computer, tagsüber hängt er am Smartphone, aber eine Minute der stillen Einkehr und Hinwendung zu Gott ist für ihn unerträglich anstrengend. Wenn überhaupt, betet er bei ausgeschaltetem Herz und Verstand. Seine Seele sehnt sich nach Komfort und Sorglosigkeit („Ruh dich aus, iss und trink und freu´ dich des Lebens!“ - Lk. 12:19). Wenige Minuten im Gebet dauern gefühlt eine Stunde, an den Besuch eines Gottesdienstes ist aus Zeitmangel gar nicht zu denken – außerdem sind die Kosten zu hoch und die Entfernungen sowie der Stress einer Fahrt in die Kirche unverhältnismäßig groß (während der Geldbeutel bei der Gestaltung der Freizeit überaus locker sitzt, der Stressfaktor plötzlich überhaupt keine Rolle mehr zu spielen scheint und verstopfte Autobahnen kaum einen Hinderungsgrund für Vergnügungsfahrten in entlegene Regionen darstellen). Beim gelegentlich doch stattfindenden Kerzenaufstellen in der Kirche (wenn Not am Mann ist) intensiviert sich die Hinwendung zu Gott vielleicht etwas, aber es geschieht nicht um Gottes willen, sondern nur um seiner selbst willen. Sein Verstand interessiert sich den ganzen Tag, die ganze Woche, das ganze Jahr über für Politik, Sport oder Börsenkurse. Das „Abschalten“ an Sonn- und Feiertagen vollzieht sich in der Sauna, in der Kneipe oder auf dem Rummelplatz, nicht aber in der Kirche. Die besucht man regelmäßig ein-, zweimal im Jahr und sonst auch, wenn sich eine passende Gelegenheit dazu ergibt. Dabei ist es die Kirche allein, die in Not nachhaltig Abhilfe leisten kann. Die Kirche verfolgt nur ein Ziel: unser Heil. Wenn mich Christus also zum Tragen des Kreuzes aufruft, dann doch nicht, weil Er Selbst dazu ohne meine Hilfe nicht imstande wäre, sondern weil ich nur so die Gelegenheit wahrnehmen kann, auf der richtigen Seite zu stehen – jetzt und immerdar und in alle Ewigkeit – auf der Seite des Siegers! Christus hat die Welt besiegt (s. Joh. 16:33), aber um an Seinem Triumph teilhaben zu können, muss auch ich mich nach Seinem Königtum ausrichten, das nicht von dieser Welt ist (s. Joh. 18:36). Wenn wir nämlich gnadenlos ehrlich sind, müssen wir feststellen, dass wir auch den Mitmenschen gegenüber keine Liebe empfinden: wir interessieren uns nicht wirklich für die Nöte anderer, sind über eigene kleine private Missgeschicke mehr bestürzt als über Katastrophen globalen Ausmaßes oder über großes persönliches Leid in unserem unmittelbaren Umfeld. Dabei erwartet Gott im Gebot der Liebe zum Mitmenschen keine heroischen Taten von uns, keine grenzenlose Opferbereitschaft, sondern nur, dass wir den Nächsten lieben wie uns selbst. Doch woher nehme ich die Kraft, dieses Ideal zu verwirklichen?..

Eine ungefähre Vorstellung von dem, was Liebe zu Gott und den Mitmenschen bedeutet, erhalte ich immer dann, wenn ich mit Ihnen an den Gottesdiensten teilnehme und der unsterblichen himmlischen Mysterien Christi trotz meiner absoluten Unwürdigkeit gewürdigt werde. Wir sind zwar nicht besser als andere, aber kraft der Gnade Gottes überwinden wir in der Göttlichen Liturgie gemeinsam für einen Moment real all das in uns, was uns sonst von Ihm und auch voneinander trennt. Was würde ich mir aber wünschen, dass dies mein permanenter Normalzustand wäre!... Zumindest aber sehne ich mich danach, hier im Diesseits den Grundstein (s. 1 Kor. 4:10ff) dafür zu legen, dass jener Zustand dort im Jenseits ununterbrochen anhält. Möglich ist dies nur durch die Gnade des Heiligen Geistes, welche der Kirche zu Pfingsten herabgesandt worden ist. Wie manche dem sündigen Alltagstrott aus eigener Kraft, also ohne die heiligende Kraft der Kirche entfliehen wollen, bleibt mir ein Rätsel. Wahrscheinlich wollen sie das auch gar nicht. Sie sind ja zufrieden mit sich selbst und suchen ihr Heil in dieser Welt. Aber „was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt?“ (Mk. 8:36). Diese Frage müsste uns doch wohl alle beschäftigen. Ein Leben lang! Amen.

Jahr:
2019
Orignalsprache:
Deutsch