Predigt zum Hochfest der Kreuzerhöhung (1. Kor. 1: 18-24; Joh. 19: 6-11, 13-20, 25-28, 30-35) (27.09.2019)

Liebe Brüder und Schwestern, 

wenn zum Hochfest der Kreuzerhöhung im Evangelium das frevelhafte Gericht über unseren Herrn Jesus Christus vor Pilatus, die gesetzlose Verurteilung, der Kreuzweg, die Kreuzigung, die Inobhutnahme der Mutter des Herrn durch den Evangelisten Johannes und der lebensspendende Tod Christi verkündet werden, fühlen wir uns für einen Augenblick in den Großen Freitag versetzt. Es ist die Geschichte des Verrates der Menschen an Gott, und es gibt niemanden unter uns, der sich persönlich nicht angesprochen fühlen sollte. Klar, historisch betrachtet waren wir nicht an der Verurteilung Christi beteiligt, wie wir auch selbst nicht Hand angelegt haben bei den zahlreichen Massenmorden des 20. Jahrhunderts. Was aber wäre gewesen, wenn wir die Gelegenheit dazu gehabt hätten? Ich glaube nämlich, dass wenn heute z.B. erneut die Bolschewiken in Russland an die Macht kämen, wieder 20% der Bevölkerung aktiv an der Ermordung von Priestern und der Zerstörung von Heiligtümern beteiligt wären, weitere 20% laut Beifall klatschen, die nächsten 20% teilnahmslos zuschauen und sich selbst nach der nun geltenden politischen Tagesordnung ausrichten würden, immerhin noch 20% zumindest im Geheimen über die geschehenen Untaten weinen und nur die verbliebenen 20% sich der Macht des Bösen tapfer aktiv entgegenstemmen würden. Ähnlich wäre es wohl auch in jedem anderen Land. Die Leute belügen sich selbst, wenn sie denken, sie würden sich niemals an den Missetaten früherer Generationen beteiligt haben (vgl. Mt. 23:30). Auch viele der jugendlichen Klimaaktivisten von heute fahren ja nicht mit dem Paddelboot nach Mallorca in den Urlaub; sie lassen sich zudem von Papa oder Mama mit dem SUV gerne morgens zur Schule bringen und abends von der Disco abholen, tragen von ausgebeuteten Frauen in Bangladesch angefertigte Klamotten und kaufen ihren Cheeseburger samt Verpackung bei McDonald´s. Täuschen wir uns nicht! Wir sind nicht besser als unsere Vorfahren.

Auch als der Wohltäter unserer Seelen am Kreuz hing, hatten Ihn Seine engsten Weggefährten verlassen, und keiner von den von Ihm Geheilten oder anderweitig Beglückten fand sich ein zu Seiner Verteidigung. Nur einige wenige Frauen hielten Ihm die Treue bis über den Tod hinaus. Immerhin bekannten sich  zwei der bislang geheimen Jünger (s. Joh. 19:38-42) nach dem Kreuztod Christi offen zu Ihm, während die sich bis dahin offen zu Ihm bekennenden Jünger Schutz im Verborgenen suchten (s. Joh. 20:19). 

Auf welcher Seite wer damals gestanden hätte bzw. heute evtl. stehen würde, kann aber in Bezug auf jeden Einzelnen nicht gesagt werden. Damals wurde ja einer der Zwölf zum Verräter, während sich ein Räuber mit dem letzten Atemzug zum Herrn bekannte. Aber jeder Einzelne von uns darf sich heute seine Gedanken machen, wie er sich damals verhalten hätte und wie er heute in einer entsprechenden Situation reagieren würde. Hilfreich bei dieser bislang noch hypothetischen Selbstfindung könnte die Vertiefung in die heute vernommenen Worte des Apostels sein: „Das Wort vom Kreuz ist denen, die verlorengehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft. Es heißt nämlich in der Schrift: ´Ich lasse die Weisheit der Weisen vergehen und die Klugheit der Klugen verschwinden` (vgl. Jes. 29:14). Wo ist ein Weiser? Wo ein Schriftgelehrter? Wo ein Wortführer in dieser Welt? Hat Gott nicht die Weisheit der Welt als Torheit entlarvt? Denn da die Welt angesichts der Weisheit Gottes auf dem Weg ihrer Weisheit Gott nicht erkannte, beschloss Gott, alle, die glauben, durch die Torheit der Verkündigung zu retten. Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden, wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ (1 Kor. 1:18-24). 

Wie reagieren denn wir auf das Wort vom Kreuz und auf die Torheit der Verkündigung? Verkündigen wir denn tagtäglich Christus als den Gekreuzigten oder fordern wir stattdessen Zeichen und suchen Weisheit? Handeln wir nicht eher nach der Weisheit der Welt, die Gott doch als Torheit entlarvt hat?! Finden wir, die Berufenen, tatsächlich Gottes Kraft und Gottes Weisheit im Wort vom Kreuz? … Selbst nach den Regeln dieser Welt ergibt sich bei vielen von Gott Berufenen ein schiefes Bild, denn nach den Gesetzen der Logik könnte es eigentlich nur zwei Kategorien geben: Gläubige, also fromme Christen, und Ungläubige, also Atheisten. Letzteren können wir (die Geistlichen) das Wort Gottes nur schwerlich verkündigen, weil sie den Weg in den Gottesdienst nicht finden und unsere Predigten im Video-, Audio- oder Textformat nicht zur Kenntnis nehmen. Aber was ist mit der großen Masse der getauften, aber nicht praktizierenden Christen? Nach den Regeln der menschlichen Weisheit müssten sie ihre Zurückhaltung von der Teilnahme am Leben der Kirche doch damit begründen, dass es vor dem furchterregenden Richterstuhl Christi in Bezug auf ein mildes Urteil zu ihren Gunsten völlig unerheblich sei, ob sie sich während ihres irdischen Lebens um den himmlischen Lohn bemüht haben oder nicht! Oder sie müssten explizit sagen, dass die Kirche, der sie durch die Taufe formal angehören, im Dunkeln tappt, da Beherzte eh´ genauso wie Lauwarme entlohnt werden. - Folgerichtig wäre demnach a) zu glauben und zu handeln (s. Jak. 2:26) oder b) nicht zu glauben und nicht zu handeln. Aber glauben und doch untätig bleiben?!.. Nein, Weisheit – selbst irdische – kann ich hier nicht erkennen. Es führt folglich kein Weg vorbei an der Annahme des Kreuzes und der an Christus Gott demütig gerichteten flehentlichen Bitte, uns beim Tragen unseres Kreuzes zu helfen. Und dieses Flehen wird dann ganz sicher Gehör finden. Amen.     

Jahr:
2019
Orignalsprache:
Deutsch