Predigt zum 7. Herrentag nach Pfingsten / Gedächtnis hl. Maria Magdalena (Röm. 15:1-7; Mt. 9:27-35) (04.08.2019)

Liebe Brüder und Schwestern,  

heute wollen wir einmal mit dem Ende der im Kalender vorgeschriebenen Lesung beginnen: „Jesus zog durch alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen, verkündete das Evangelium vom Reich und heilte alle Krankheiten und Leiden“ (Mt. 9:35). Das davor Geschehene ist schnell erzählt: der Herr öffnet die Augen zweier Blinder, heilt einen Stummen, der von einem Dämon besessen war. Das Volk ist begeistert ob dieser Wunder, doch die Pharisäer sind derart verhärtet in ihren Herzen, dass sie diese Heilkraft nicht Gott, sondern dem Anführer der Dämonen zuschreiben. Der letzte Satz des heute gelesenen Abschnitts ist aber der wichtigste, denn in ihm kommt das zum Tragen, worum es im Kern wirklich geht: die Verkündigung des Evangeliums vom Reich Gottes (vgl. Mt. 10:7; Lk. 4:43; Joh. 6:26-29). Ist diese Voraussetzung nicht gegeben, wird das Evangelium sträflich zweckentfremdet (s. 1 Petr. 3:16), denn wo das geschieht, wird ein „anderer Jesus verkündigt“, wurde ein „anderer Geist empfangen“ und ein „anderes Evangelium“ angenommen (s. 2 Kor. 11:4).

Heute sind wir in dieser Christus gegenüber feindlich gesinnten Welt berufen, das „Salz der Erde“ (s. Mt. 5:13)  zu sein. Salz vermag bekanntlich in geringen Dosen große Mengen von Nahrung schmackhaft zu machen und vom Verderben zu bewahren; ohne eine Prise Salz wären die erlesensten Speisen ungenießbar. Demnach sind wir als „Krieger Christi“ in der  Verantwortung, durch ein Leben nach den Geboten Christi diese Welt am Leben zu erhalten – und nichts weniger als das!.. Aber wenn wir die ganze Welt, die viel mächtigeren und zahlenmäßig weitaus stärkeren Nationen als Missionsgebiet betrachten, überschätzen wir uns da nicht selbst? Wäre es in der Tat nicht besser, wir würden uns alle in orthodoxe Nischen zurückziehen, meinetwegen hinter hohen Mauern und gut befestigten Verteidigungslinien, um das Fortbestehen unserer Zivilisation zu sichern?.. Oder gar auf eine Insel der orthodoxen Glückseligkeit auswandern?..   

Zur Klarstellung: uns liegt es ferne, die anderen mit zivilisatorischen Mitteln zu unterwerfen. Doch wer mit dem Herrn ist, wird mit Ihm siegen (s. Joh. 16:33; vgl. Spr. 21:31; 1 Kor. 15:57). Demnach wollen wir ausschließlich „durch das Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit in der Rechten und Linken“ (2 Kor. 6:7) siegreich sein. Die Wahrheit wird am Ende für alle offenbar (s. Mt. 10:26-28; Mk. 4:22; Lk. 8:17), nur müssen wir uns beherzt und ohne Furcht für das Evangelium einsetzen (s. Mt. 10:16; Lk.12:32), und zwar zu allen Zeiten und unter allen Umständen (vgl. 2 Kor. 6:1-10). Wir besitzen die stärkste Waffe, gegen die hochgerüstete Armeen und ausgefeilte Propagandastrategien letztlich machtlos sein werden – die Wahrheit! 

In der Brezhnew-Ära wurde der damalige Leiter des Kirchlichen Außenamtes Metropolit Philaret (Vakhromeev) bei einer Auslandsreise von westlichen Journalisten gefragt, warum die Kirche in der Sowjetunion denn keine Mission unter der atheistischen Bevölkerung betreibe (!). Die diplomatische Antwort des Metropoliten war: „Wenn eine kleine Kerze in einem großen dunklen Raum leuchtet, ist sie aus jedem Winkel des Raumes für jedermann sichtbar. Wer es wirklich will, wird den Weg zur Quelle des Lichtes finden“ (s. Joh. 1:9-10). Unsere Aufgabe muss vorerst sein, diese Kerze am Brennen zu halten. So schaffte es die heilige Maria, eine einfache Frau aus Magdala, die Patronin unserer Weimarer Kirche, das Evangelium vor dem Kaiser in Rom zu verkündigen. Das konnte sie so überzeugend tun, weil sie den Auferstandenen selbst gesehen hatte. Wir, die wir Christi Auferstehung mit leiblichen Augen zwar nicht gesehen haben, sind aber noch seliger, wenn wir den Glauben in uns tragen (s. Joh. 20:29) und darin so überzeugend sind, dass andere sich von unserem Vorbild inspirieren lassen. Wenn wir jedoch wie „getaufte Heiden“ leben und uns durch nichts von den uns umgebenden Andersgläubigen und Agnostikern unterscheiden, wird unseretwegen „der Name Gottes unter den Heiden gelästert“ (Röm. 2:24; vgl. Jes. 52:5), dann hätten wir umsonst gelebt. 

Der Herr wird uns reichlich Gnade gewähren, wenn wir uns würdig und ehrfurchtsvoll in Seinen Dienst stellen, und dann liegt es in der Hand Gottes, wann diese Saat aufgehen wird. Wir können Gott aber jetzt schon nicht genug danken für Seine Wohltaten. „Er will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim. 2:4) und: „Seid überzeugt, dass die Geduld unseres Herrn eure Rettung ist“ (1 Petr. 3:15), rufen uns beide großen Aposteln zu. Gott geht es also „um unsere gemeinsame Rettung“ (Jud. 3), aber die kann es nicht zum Nulltarif geben. Die Geduld des Herrn ist so groß, dass Er den bis zur elften Stunde säumigen mit dem seit der ersten Stunde zur Arbeit erschienen entlohnen will (s. Mt. 20:9). Doch für alle erst um fünf nach zwölf  Gekommenen gibt es statt der freiwilligen Nachfolge Christi wohl nur das unfreiwillige Erdulden irdischen Leids. Wir sind doch überzeugt, dass die gegenwärtigen Leiden – ob nun freiwillig oder unfreiwillig –  „nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll“ (Röm. 8:18). Der heilige Siluan vom Athos (+1938) seufzte immerfort: „Ach, wenn die Menschen doch nur erkennen würden, wie sehr sie Gott liebt!“ Die Liebe und Weisheit Gottes kennt wahrlich keine Grenzen: „O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind Seine Entscheidungen, wie unerforschlich Seine Wege! Denn wer hat die Gedanken des Herrn erkannt? Oder wer ist Sein Ratgeber gewesen? Wer hat Ihm etwas gegeben, so dass Gott ihm etwas zurückgeben müsste? Denn aus Ihm und durch Ihn und auf Ihn hin ist die ganze Schöpfung. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.“ (Röm. 11:33-36; vgl. Jes. 40:13-14). Wir alle sind in Gottes Schuld! Amen.      

Jahr:
2019
Orignalsprache:
Deutsch